Doping hat System. Wer sich in diesen Tagen beim Lesen der Berichte über die Dopingbeichten geläuterter Ex-Radprofis darüber wundert, daß einige der alljährlich gefeierten Radhelden offenbar zu unterstützenden Mitteln gegriffen haben, hat leider immer noch nichts verstanden. Die manipulative, leistungssteigernde Medikamenteneinnahme ist wesentlicher Bestandteil aller (Ausdauer-)Sportarten. Es muß klar sein: wenn sich die Nation über den positiven Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen freut, dann ist die Erfolgsbilanz immer auch der effizienten Arbeit der medizinischen Abteilungen zu danken. Der Spitzensport hat sich längst mit Doping arrangiert.
Wenn das Rennen beendet ist, besteigen die besten Athleten das Siegerpodest, baden im Beifall der Zuschauer und sonnen sich, was für die massenmediale Aufmerksamkeit und den Marktwert entscheidender ist, im Blitzlichtgewitter der Photographen. In der nachfolgenden Pressekonferenz wird dann nicht selten auf das Team verwiesen, ohne dessen hervorragende Arbeit die jeweilige Leistung nicht möglich gewesen wäre. Dabei ist unbestritten: derjenige, der hier Auskunft gibt (egal ob er auf den Namen Johann Mühlegg oder Jan Ullrich hört) hat an diesem Tag des sportlichen Wettstreits seinem Körper Höchstleistungen abgetrotzt. Und ebenso steht außer Frage, daß all die Athleten, die es bis in die Spitzengruppe ihrer Disziplin geschafft haben, nicht nur mit einem seltenen Talent gesegnet sind, sondern auch jahrelang mit eiserner Disziplin an der Perfektionierung ihrer physischen Leistungsfähigkeit gearbeitet haben. Erfolg im Spitzensport fällt einem nicht in den Schoß. Erfolg ist eine Riesenquälerei.
Und wenn die strahlenden Helden dann ihrem Team danken, dann ist das in den seltensten Fällen eine bloße Floskel. Der Dank und die Ehrerbietung an das Team ist keine Formulierung, die allein deswegen hervorgebracht wird, um sich selbst sogar in der Stunde des Triumphes möglichst sympathisch und bescheiden zu geben. Es ist zu offensichtlich, daß kein Sportler ohne die Anleitung und Tipps seiner Trainer und Betreuer, kein Athlet ohne die notwendige Arbeit der Masseure, Physiotherapeuten und Techniker bis an die Spitze gekommen wäre. Der Teil des Teams, der zumeist großzügig unerwähnt bleibt1, ist allerdings der Ärztestab. Kein Wunder, denn deren Aufgabe besteht (abgesehen von den offiziell-sichtbaren kleinen Betreuungsdienstleistungen2) vor allen Dingen in einer Arbeit, die hinter den Kulissen abläuft. Diese Arbeit ist fokussiert auf die Frage, mit welchen erlaubten und auch unerlaubten Mitteln den eigenen Athleten das Abrufen der maximalen Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt X möglich gemacht werden kann.
Omnipräsente Verführbarkeiten
Man sollte sich darüber keine Illusionen machen: auch die medizinischen Betreuerteams stehen innerhalb eines Wettbewerbs. Wenn nicht alle denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft werden und deshalb die erwarteten Erfolge ausbleiben, so steht die Zusammenarbeit für die nächste Saison in Frage. Und die Arbeit für eine Sportmannschaft, die Betreuung leistungsbereiter Athleten ist nicht nur deshalb attraktiv, weil man den muffigen Krankenhausfluren für eine gewisse Zeit entfliehen kann. Neben Ottmar Hitzfeld auf der Trainerbank einer Fußballmannschaft zu sitzen oder den Trubel des Ereignisses "Tour de France" hautnah mitzuerleben, ist auch für einen Arzt nicht ohne Reiz. Der Prestigegewinn der einem in der eigenen Zunft der Sportmediziner dadurch zufällt, ist hier nur ein Faktor unter vielen.
Es fällt also bei näherer Betrachtung des Phänomens Spitzensport auf, daß man es hier auf verschiedenen Ebenen mit Aspekten der Verführbarkeit zu tun hat. Denn wenn man die wesentlichen Akteursgruppen nacheinander in den Blick nimmt, so zeigt sich, daß sich die Sphäre des Sports für Sportler, Trainer, Ärzte und Journalisten jeweils in anderer Ausprägung darstellt, aber jeweils symbiotische Prozesse der gegenseitigen Abhängigkeit mitwirken. Hier ist nicht der Platz, um auch die ambivalente Stellung der Medien im Geflecht des massenmedial inszenierten Spitzensports zu beleuchten. Das soll ggf. später nachgeholt werden. Ebenso kann hier nur angedeutet werden, daß das Trainer- und Betreuerteam zwar häufig eine tragende Rolle spielt, wenn es darum geht, manipulative Praktiken zu nutzen, allerdings auch jeder Trainer sich in einer oftmals ähnlich dilemmatischen Situation befindet, die oben für die medizinschen Teams skizziert wurde: auch jeder Trainer weiß, daß sein Vertrag unter einem Erfolgsvorbehalt steht.3
Kein Täter nirgends?
Der Hinweis auf die Kontexte, in denen sich die Beteiligten des Dopingprozesses im Spitzensport befinden, soll allerdings nicht den Eindruck erwecken, es gäbe auf allen Seiten nur unschuldige Opfer. Ein Freibrief, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung läßt sich für keinen Sportler, keinen Trainer und keinen beteiligten Arzt ausstellen. Wer aber sind die Akteure, die für die Dopingpraktiken verantwortlich sind, die nach der jüngsten Welle der Enthüllungen nicht nur auf den Sportseiten diskutiert werden?4 Wie schizophren müssen die beteiligten Sportler sein, wenn sie so offensichtlich Raubbau an ihren Körpern treiben, gleichzeitig aber für gesunde Fitneßriegel in Werbespots lächeln? Mit welchen Mechanismen gewährleistet das "System Spitzensport", daß die hintergründigen Manipulationen trotz allem äußerst selten thematisiert und publik werden? Welche Sicherheitsvorkehrungen sind vorhanden, um das Nichtwissen bezüglich des eigentlichen Ausmaßes der betrügerischen Machenschaften zu stabilisieren? Und in welcher Tradition stehen Ärzte und Betreuer, die aktiv an illegalen und potentiell gesundheitsschädlichen Praktiken mitwirken?
All diesen Fragen, die im Kern um die vielfältigen Arrangements kreisen, die der Spitzensport im Umgang mit Doping gefunden hat, werde ich in drei weiteren Artikeln nachgehen. Bevor ich im dritten Beitrag sowohl auf die wenig ruhmreiche Vergangenheit, als auch die aktuellen Verstrickungen des sportmedizinischen Teams der Uniklinik Freiburg zu sprechen komme, will ich zunächst das "System Spitzensport", das als Synonym für das "System Doping" anzusehen ist, aus verschiedenen soziologischen Perspektiven skizzieren. Abschließend soll der Radsport, der Prototyp einer von Dopingarrangements kontaminierten Sportart, näher beleuchtet und im Hinblick auf seine historischen Kontexte rekonstruiert werden.
In den nächsten Tagen werden die weiteren Beiträge nach und nach eingestellt und von hier aus verlinkt:
- Scheinheiligkeiten, Blindheit und Systemzwänge » Dopingarrangements im Spitzensport I
- Initiationsriten und Inszenierungen für die Vorderbühne » Dopingarrangements im Spitzensport II
- Ärzte im Schafspelz. Die Freiburger Sportmedizin » Dopingarrangements im Spitzensport III
- Kontaminierte Tourhelden und andere strahlende Sieger » Dopingarrangements im Spitzensport IV
Link- und Literaturtipps:
- Meutgens, Ralf (2007): Doping im Radsport. Delius Klasing, April 2007.
- Bette, K.-H., Schimank, U. (2006): Die Dopingfalle. Soziologische Betrachtungen. Transcript Verlag.
- Bette, K.-H., Schimank, U. (2006): Doping im Hochleistungssport. Anpassung durch Abweichung. Suhrkamp: Frankfurt
- Haug, Tanja (2006): Doping. Dilemma des Leistungssports.
- Beune, Andreas (2005): Did Not Finish: Der Radsport und seine Opfer. 20 Himmelsstürmer im Porträt
- FTD (2007): Schmid und Heinrich: Haben Doping unterstützt, 23.5.2007
- Leyendecker, Hans (2007): Eine gewisse Chemie. Das kurze Gedächtnis von Medien und Publikum beim Thema Doping im internationalen Radsport, 23.5.2007
- Süddeutsche Zeitung (2007): Freiburger Ärzte gestehen Doping, 23.5.2007
- Burkert, Andreas (2007): Freiburg suspendiert Ärzte, SZ, 22.5.2007
- Hess, Jutta (2002): Sichtung und Wahrheit. Seit über 30 Jahren führen Brigitte Berendonk und Werner Franke den Kampf gegen das Doping. DIE ZEIT, 11/2002
- Es sei denn, es lag im Vorfeld eine konventionelle Erkrankung vor, für deren schnelle Bewältigung den Ärzten Dank ausgesprochen werden muß. Wenn den Radprofi wenige Tage vor Beginn des Rennens noch eine Infektion zur Bettruhe zwang, so werden die Wundertaten der medizinischen Begleitmannschaft selbstverständlich lobend erwähnt. Gleiches gilt bspw. für die schnelle Rehabilitation nach Bänder- oder Kreuzbandrissen. [↩]
- Darunter fallen just all die ärztlichen Verrichtungen, die innerhalb des institutionalisierten Sportsystems opportun, weil nicht sanktioniert sind: das reicht vom Auflegen des Eisbeutels bis zur Verabreichung einer Elektrolytinfusion. [↩]
- Wenn ich oben die vier Gruppen Sportler – Trainer – Ärzte – Journalisten genannt habe, so ist eine fünfte Gruppe (vielleicht sogar die entscheidende?), nämlich die Funktionärsclique des internationalen Spitzensports, nicht erwähnt. Dies liegt einzig daran, daß ich hier kaum eine prekäre Ausgangssituation erkennen mag, die es den Beiteiligten individuell unmöglich macht, aus dem "Systemzwang Doping" auszusteigen. Hier liegt m.E. weniger (in Grenzen) entschuldbare Verführbarkeit, sondern Korrumpierbarkeit und Machtgier vor. Das Dopingarrangement wird hinsichtlich vieler Aspekte erst durch die Unfähigkeit und/oder Verstrickung der Funktionärskaste möglich gemacht. [↩]
- In diesem Fall kommt man ja schon beim Bloggen ins Schwitzen: nachdem ich am Mittwochvormittag diese Artikelserie begonnen habe, überschlagen sich die Ereignisse: Rolf Aldag kündigt ein Geständnis an, Erik Zabel fängt zu weinen an, Rolf Bölts wirft sich sofort ins Büßergewand und gibt den Epo-Mißbrauch zu, die bislang als naive Handlanger agierenden Team-Telekom-Ärzte Heinrich und Schmid gestehen ebenfalls ihre Verstrickung. Warum haben es nun auf einmal alle so eilig? Nur weil Bert Dietz und Christian Henn so vorgeprescht sind? Muß Reinhold Beckmann nächste Woche gleich wieder eine Kollektivbeichte abnehmen? Hoffentlich funktioniert dann der Ton! Und Jan Ullrich hüllt sich vorerst weiter ins Schweigen. [↩]
7 Gedanken zu „Scheinheiligkeiten, Blindheit und Systemzwänge » Dopingarrangements im Spitzensport I“