Soeben tickert die Agenturmeldung durch die Onlinejournale, daß am vergangenen Samstag (31.3.2007) Paul Watzlawick in seiner kalifornischen Wahlheimat Palo Alto verstorben ist. Der 1921 im österreichischen Villach geborene Philosoph, Psychologe und Kommunikationstheoretiker ist einem weltweiten Publikum v.a. durch seinen Bestseller Anleitung zum Unglücklichsein ein Begriff geworden.
Weitaus spannender als dieser populär-essayistische Band, in dem Watzlawick mit augenzwinkerndem Humor aus seinem Erfahrungsschatz als Psychoanalytiker und Familientherapeut plaudert, sind seine Beiträge zum sog. »Radikalen Konstruktivismus«. Zusammen mit Ernst von Glasersfeld und Heinz von Foerster gilt er als dessen Hauptvertreter. Aufbauend auf Thesen von J. Piaget wird innerhalb dieses theoretischen Entwurfs Wirklichkeit als originäre schöpferische Leistung des erkennenden Subjekts aufgefasst. Für eine soziologische Analyse des (wissenschaftlichen) Erkennens sind die sich daraus ergebenden Konsequenzen natürlich hochinteressant: denn wenn jede Behauptung einer (meßbaren?) Realität als Ergebnis eines konstitutiven Akts des erkennenden Subjekts anzusehen ist, dann ist (wissenschaftliche) Realität [=Wirklichkeit] auch je anders möglich.1
Mit anderen Worten: der radikale Konstruktivismus illustriert die Relativität allen Erkennens und somit auch den kontingenten Charakter von Wissen und Wissenschaft. Auch kann man ohne Zweifel behaupten, daß die Wissenssoziologie ohne die Arbeiten Paul Watzlawicks sicher ärmer wäre, denn obwohl er sich kaum je dezidiert in deren Debatten eingeschaltet hat, so verdanken große Studien, wie bspw. Karin Knorr-Cetinas "Fabrikation der Erkenntnis", dem Werk Watzlawicks sicher einige Impulse.
Und auch für die Analyse des wissenschaftlichen Forschungsprozesses zu Beginn des 21. Jahrhunderts halten die Arbeiten Watzlawicks mit Gewißheit immer noch vielfältige Anregungen bereit:
Wenn wir nach langem Suchen und peinlicher Ungewissheit uns endlich einen bestimmten Sachverhalt erklären zu können glauben, kann unser darin investierter emotionaler Einsatz so groß sein, dass wir es vorziehen, unleugbare Tatsachen, die unserer Erfahrung widersprechen, für unwahr oder unwirklich zu erklären, statt unsere Erklärung diesen Tatsachen anzupassen.2
Ließe sich die Tendenz, unliebsame Forschungsergebnisse auszublenden oder gar zu leugnen, besser verständlich machen als in diesem knappen Zitat?
Und schließlich sei noch ein weiterer3 Aspekt genannt, der sich zwingend aus dem Theorieprogramm des radikalen Konstruktivismus ergibt: nämlich die Beobachterabhängigkeit und Relativität von Erkenntnis/Wirklichkeit, die es unmöglich macht, für die eigene Wirklichkeitsinterpretation und Lesart eine höhere Autorität zu reklamieren. Oder wie es Watzlawick selbst formulierte:
Aus der Idee des Konstruktivismus ergeben sich zwei Konsequenzen. Erstens die Toleranz für die Wirklichkeiten anderer – denn dann haben die Wirklichkeiten anderer genauso viel Berechtigung wie meine eigene. Zweitens ein Gefühl der absoluten Verantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, daß ich meine eigene Wirklichkeit herstelle, bin ich für diese Wirklichkeit verantwortlich, kann ich sie nicht jemandem anderen in die Schuhe schieben.4
Literaturempfehlungen:
- Watzlawick, P./Beavin, J./Jackson, D. (2007): Menschliche Kommunikation. 11. Aufl., Bern, Huber.
- Watzlawick, Paul (2006): Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen. 6. Aufl., Piper.
- Watzlawick, Paul (2002): Die Möglichkeit des Andersseins. Zur Technik der therapeutischen Kommunikation. Bern, Huber.
- Watzlawick, Paul (2001): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. 6. Aufl., Bern, Huber.
- Foerster, Heinz v. / Glasersfeld, Ernst v. / Hejl, Peter M. (2006): Einführung in den Konstruktivismus. 9. Aufl., Piper.
- Sautter, C. / Sautter, A. (2005): Wege aus der Zwickmühle. Doublebinds verstehen und lösen. Verlag für Syst. Konzepte.
- Wie auch zu anderen Philosophen, Autoren und Themen der Erkenntnistheorie finden sich viele weitere Informationen zu Paul Watzlawick in Beats Biblionetz. [↩]
- Watzlawick, Paul (1976): Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen.S. 66; zitiert bei Beats Biblionetz [↩]
- und gerade in Zeiten absolut behaupteter Wahrheitsansprüche nicht unwesentlicher [↩]
- Watzlawick, Paul (1982): Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit. Ein Gespräch über den Konstruktivismus. München, S. 31. [↩]
6 Gedanken zu „Paul Watzlawick » Kommunikationsschleifen“
„Radikaler Konstruktivismus“ schön und gut, aber wie kommt es dann, dass die Menschen doch ganz gut darin sind, sich auf bestimmte Sachen zu einigen? Dass sie Dinge zumindest so „gleichartig“ wahrnehmen können, dass sie in der Lage sind, sich sprachlich darüber zu verständigen?
In meinen Augen ist Realität zwar zu einem gewissen Maße konstruiert, aber das erfolgt keinesfalls beliebig und willkürlich, sondern in mehr oder weniger engen Grenzen. Die spannende Frage ist dann, was diese Grenzen bestimmt: Soziale Konstruktion oder tatsächlich eine „objektive Realität“?
P.S.: Sehr schöne Seite und ein spannendes Konzept. Viel Erfolg damit! *gleichmalrssfeedabonnier* ;-)
Hallo Nils,
besten Dank für deinen Kommentar und das nette Lob bzgl. der Seite.
Deine Einwände das Programm des „Radikalen Konstruktivismus“ betreffend sind natürlich durchaus berechtigt. Mir kam es allerdings auch nicht darauf an, ein umfassendes Loblied auf alle Aspekte dieser theoretischen Position anzustimmen. Falls dieser Eindruck entstanden sein sollte, dann möchte ich das an dieser Stelle nochmals korrigieren und klarstellen.
Für wichtig und inspirierend halte ich eben v.a. die Konsequenzen, die sich daraus ergeben; nämlich beispielsweise, daß Wahrnehmung stets Beobachtungs- und Standpunktabhängig ist. Und das meint (jedenfalls nach meinem Dafürhalten) keine zufällig-willkürliche Beliebigkeit von Wirklichkeitsinterpretationen, sondern schlicht je auch anders mögliche [d.h. kontingente] Wirklichkeit(en). Genau hier sehe ich für die Wissenschaftssoziologie und -theorie noch weitere Anschlussmöglichkeiten.
In welchen Grenzen Wirklichkeits-/Realitätskonstruktionen (vernünftigerweise?) ablaufen, ist dann wieder eine andere Frage. Wie so oft gilt allerdings auch hier, daß diese Grenzen fließend sind. Zusammenfassend: einer Beliebigkeit möchte auch ich hier nicht das Wort reden, allerdings bin ich Watzlawick und Co. durchaus dankbar für ihre Arbeiten, die wenigstens einen Gegenpol zu einem naiven Realismus bilden, der allzu oft von einer eindeutig und stabil abbildbaren „Welt“ ausgeht.
Letzte Anmerkung zu deinem Hinweis darauf, daß die Erfahrung ja die Möglichkeit von sprachlicher Verständigung lehrt und das sogar alltäglich. Natürlich muß ich Dir auch hier Recht geben, denn auch ich gehe üblicherweise davon aus, daß beim Blick aus dem Fenster meine Mitmenschen dasselbe sehen. Aber, sehen sie es nicht vielleicht anders? Und, Gegenbeweis: wieviele (traurige) Beispiele soll ich Dir nennen, die illustrieren, daß (sprachliche) Verständigung in der angeblich doch „gemeinsamen“ Welt mit schöner Regelmäßigkeit grandios mißlingt? ;-)
Hab mir schon gedacht, dass wir da durchaus einer Meinung sind… ;-)
Aber um die Frage mal weiter zu spinnen: Wie sieht es denn bei der „Wissenskonstruktion“ mit den Naturwissenschaften aus? Ist die gemessene Wellenlänge des Lichts auch reine Konstruktion? Und wenn dann die Tatsache dazu kommt, dass reflektiertes Licht in einem bestimmten Frequenzbereich von allen Angehörigen einer Sprachgemeinschaft mit demselben Wort (z.B. „rot“) bezeichet wird? Hält sich nicht auch die Mathematik für eine „universale Sprache“, deren Aussagen von subjektiven Standpunkten unabhängig ist und wenn sie das nicht ist, warum nicht?
Oh, neue Argumente, wie schön. ;-)
Und alle durchaus legitim und (zumindest auf den ersten Blick) plausibel. Da ich aber (selbstverschuldet?) in die Rolle des Verteidigers einer konstruktivistischen Perspektive geraten scheine, kann ich es nicht gelten lassen, daß die Tatsache von vordergründig universal geteilten Sinnesempfindungen die Behauptung einer je individuellen Realitätskonstruktion obsolet macht.
Denn allein die (freilich empirisch nachweisbare) Übereinstimmung von Angehörigen einer Sprachgemeinschaft in der Beschreibung eines Sinneseindrucks bedeutet für sich allein genommen doch nur recht wenig. Genaugenommen eben nur, daß offenbar eine Konvention (also schlicht Gewohnheit) innerhalb eines bestimmten gemeinsamen Sprach- und Kulturhorizontes besteht eine Sache bspw. als „rot“ zu bezeichnen. Aber (hier wären wir bei Wittgenstein) was lehrt uns die Beobachtung dieses Sprachspiels anderes, als daß offenbar eine Vereinbarung besteht etwas als „rot“ zu bezeichnen? Wenn das Beispiel der Bewohner von Regionen, die sich durch Permafrost auszeichnen nicht bereits überstrapaziert wäre, würde ich darauf verweisen, daß dort angeblich bis zu 27 verschiedene Termini für „Schnee“ existieren. Vielleicht ein kleines Indiz dafür, daß man die Sozialisation und Lern- und Gewohnheitseffekte nicht außer Acht lassen sollte. ;-)
Da ich im Moment in Eile bin, breche ich meine kurze Erwiderung ab. An anderer Stelle werde ich gerne wieder auf diese interessanten Fragen eingehen.
Ich denke, das wird durch soziale Konditionierungen geregelt. Kommunikation bzw. Gesellschaft „prägt“ sozusagen den Rahmen dessen, was als Realität „angenommen“ oder akzeptiert wird. Mit Luhmann (und dieser wiederum mit Spencer Brown) wird durch Beobachtung Realität konstruiert (siehe http://www.strengejacke.de/2006-09-06/gesetze-der-form). Aber wenn ich etwas als „grün“ bezeichne, was fast alle anderen als „blau“ bezeichnen, dann wird es langsam problematisch mit meiner Realität. Ein Problem übrigens, was in der Altenpflege im Umgang mit Demenzkranken alltäglich ist. Wahrnehmung lässt sich nicht leugnen, und im „Normalfall“ sorgt die Sozialisation dafür, dass die Kontingenz eingeschränkt wird.