Die Tatsache, daß man als Blogger gefährlich lebt, sollte inzwischen bekannt sein. Aber auch wer Wissenschaft betreibt, kann ins Visier von Strafermittlungsbehörden geraten. Dieses Risiko ist vermutlich bei Ingenieuren und Naturwissenschaftlern geringer, bei Sozialwissenschaftlern dagegen erhöht. Ich werde mich fortan also in Acht nehmen und doppelt und dreifach bedenken, was ich hier einstelle. ;-)
Bevor ich auf diese Frage detailliert eingehe, sei an dieser Stelle noch ein neuer Erdenbürger begrüßt: seit gut zwei Tagen dürfen sich irgendwo im Schwäbischen zwei glückliche Eltern über Nachwuchs freuen. Emil Paul – exakt 3.300 Gramm schwer und 50cm groß – sei hiermit herzlich Willkommen geheißen. Ich bin schon jetzt gespannt, wann er selbständig nach seinem Namen googelt und möglicherweise auf diesen Eintrag stößt. Ob er früher Suchmaschinen bedienen lernt oder erst Mörike- oder gar Rilke-Gedichte auswendig vorsagt (womit sich neuerdings junge Damen im Vorkindergartenalter die Zeit vertreiben), sei dahingestellt.
»1. Nun aber zur eingangs erwähnten Problematik: vor einigen Tagen war in den Zeitungen bereits nachzulesen, daß am 1. August u.a. ein Berliner Wissenschaftler unter Terrorverdacht festgenommen wurde. Der Verhaftung waren Ermittlungen vorausgegangen, die ergaben, daß sich der Beschuldigte – er ist promovierter Politologe – mindestens einmal mit Angehörigen einer "militanten gruppe" getroffen hat. Außerdem erfolgte eine Hausdurchsuchung.
Nach bisherigem Kenntnisstand beruht die Inhaftierung des Sozialwissenschaftlers allerdings auf der folgenden Begründung der Bundesanwaltschaft:
1.) der Wissenschaftler Andrej H. beschäftige sich mit Phänomenen des Linksextremismus und ein wissenschaftlicher Artikel aus dem Jahr 1998 enthalte auffällige Schlagworte, die sich auch in Schreiben der "militanten gruppe" (mg) befunden hätten.
2.) „Als Mitarbeiter eines Forschungszentrums [stünden Andrej H.] Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen“.
3.) Außerdem verfüge Andrej H. über die „intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen, die für das Verfassen der vergleichsweise anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe erforderlich sind“.
Um es klarzustellen: ich kann mir nicht anmaßen zu beurteilen, ob die Vorwürfe substantiell berechtigt sind oder nicht. Allerdings sind es glaubhafte Quellen, die bislang eindeutig dahingehend informieren, daß die Bundesanwaltschaft außer den oben angeführten Verdachtsmomenten nichts gegen Andrej H. in der Hand hält. (vgl. Frankfurter Rundschau, 16.8.2007)
Allerdings halte ich es für mehr als fragwürdig, daß man – abgesehen von der persönlichen (aber evl. auch zufälligen?) Bekanntschaft mit Sympathisanten der linksextremen Szene – allein dadurch, daß man "die intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen" dafür hat, auch anspruchsvolle Texte zu verfassen, ins Fadenkreuz der Ermittler gerät.
Sollte diese Denk- und Arbeitsweise der Ermittlungsbehörden Schule machen, so muß ich an dieser Stelle alsbald wohl alle Terrorvereinigungen dazu aufrufen, ihre Bekennerschreiben und Pamphlete bitte fortan nur noch in radebrechendem Dumpfdeutsch zu verfassen. Und keinesfalls, liebe Terroristen, verwendet irgendwelche Phrasen, wie sie auch in der Wissenswerkstatt vorkommen! Danke!
Man könnte fast lachen, wenn es nicht so ernst wäre.
Seit einigen Tagen ist es möglich, sich als Unterstützer einem "Offenen Brief" von internationalen Wissenschaftlern anzuschließen, der an die Generalbundesanwaltschaft gerichtet ist. Aus der Pressemitteilung:
Nach zahlreichen Protesten in Deutschland fordern jetzt namhafte Wissenschaftler aus dem Ausland die sofortige Einstellung des 129a-Verfahrens, das derzeit die Bundesanwaltschaft (BAW) führt. Unter Anführung der intellektuellen Fähigkeiten und des Zugangs zu wissenschaftlichen Bibliotheken werden in diesem Verfahren mehrere deutsche Wissenschaftler verdächtigt, einer "terroristischen Vereinigung" anzugehören, der "militanten gruppe". Insgesamt sind sieben Personen betroffen, von denen sich vier in Haft befinden, darunter auch der Soziologe Dr. Andrej Holm.
Zu den Erstunterzeichnern gehören so renommierte Personen wie Prof. Dr. Dieter Rucht, Prof. Dr. Saskia Sassen, Prof. Dr. John Urry oder Prof. Dr. Richard Sennett.
Der "offene Brief" kann [hier] unterzeichnet werden. Ein wenig mehr Infos gibt es auch auf den Seiten der Hamburger Volkskundler [hier].
»2. Wir bleiben in der Universität. Unter dem Titel "Wissenschaftskommunikation an Post-Akademischen Universitäten" hat Björn Kröger bereits vor drei Wochen einige interessante Gedanken angestellt und auf einen sehr lesenswerten Essay von Dirk Baecker hingewiesen, der in der Lettre International 77 erschien und den Titel "Kleine Universitäten" trägt.
Baecker befaßt sich darin kurz mit den Effekten, die die Rede von wissenschaftlicher Exzellenz mit sich bringt, widmet sich dann ausgehend von den Veränderungen des "Bologna-Prozesses" der "Institution" Universität wie sie gewachsen ist, wie sie gedacht war und was sie in Zukunft bedeuten könnte. Er kommt dabei u.a. zum Schluß, daß sich Universitäten mehr mit den gesellschaftlichen Kontexten auseinandersetzen müssen, sich in ihnen bewähren und an sie anschließen müssen. Das ist nun vermutlich so abstrakt, daß man schon selbst den Baecker’schen Artikel lesen muß.
Das soll auf alle Fälle ein Gewinn sein, denn es sind so hübsche Randbeobachtungen enthalten wie die folgende:
Deswegen ist die Universität bis heute und damit gegen das Interesse von Hochschullehrern, die sich ihre Reputationsgewinne aus ihren Forschungsbeiträgen versprechen, von der Lehre her zu denken. Die Universität ist primär nicht eine Stätte der wissenschaftlichen Forschung, sondern eine Sozialisationsagentur für die Heranführung des Nachwuchses an die komplexeren Fragen von Welt, Leben und Gesellschaft. Wissenschaftliche Forschung ist innerhalb der Universität, worin auch immer ihre eigenen Ziele bestehen, auf ihren Beitrag zu dieser Art von Lehre zu befragen. Und das trifft sich noch nicht einmal schlecht, wenn man davon ausgehen darf, dass die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft nicht in der Feststellung überprüfbaren Wissens besteht, sondern in einer kontrollierten Form von Ungewissheitssteigerung, die es erlaubt, immer wieder neue Fragen so aufzuwerfen, dass neue Probleme gestellt werden können.
Björn Kröger ist nach mehrmaligem Lesen etwas zwiegespalten:
Baecker umschreibt seine Universität der Zukunft, die “kleine Universität”, aus der Perspektive eines Soziologen als ein Ort, an dem sich die Dozenten nicht mehr an ihren Bücherregalen orientieren, sondern zunehmend auch an den Praxiserfahrungen ihrer Studiengänge, als eine Universität in der “vom Besonderen auf das Besondere geschlossen” werden soll. Das hörte sich dann eigentlich in meinen Ohren ganz gut an, und ich konnte beruhigt schlafen. – Die vielen kleinen nicht-Eliteunis als Ort eines Dialogs zwischen Lernenden und Lehrenden. Das kommt ja meinem aufklärerischem Romantizismus ganz nah.
(…) Fraglich bleibt ein wenig, ob die Interessen, die wir Wissenschaftler vertreten im besten Gewissen unhabhängig bleiben werden, wenn wir unter immer größerem Sachzwang von McKinsey, Bertelsmann und Co handeln.
Wer sich selbst eine Meinung bilden will:
- Baecker, Dirk (2007): "Kleine Universitäten: Dichte Vernetzungen im globalen Kampf um geistige Kapazitäten", in: Lettre International 77, Sommer 2007, S. 82-95. [hier als PDF]
»3. Nun noch kurz und knapp der Verweis auf ein interessantes Interview mit dem Wiener Evolutionsbiologen Franz Wuketits, der sich neuerdings auch mit einem Buch in die Diskussion zwischen Philosophie und Hirnforschung eingemischt hat. Das erinnert mich daran, daß ich selbst noch einen umfänglicheren Artikel zu dieser Thematik in Vorbereitung habe – bis dahin seien die Leser mit diesem Interview vertröstet:1
sueddeutsche.de: Was bringt Sie aber überhaupt zu der Überzeugung, dass wir keinen freien Willen haben?
Wuketits: Erst einmal ist jeder von uns gewissermaßen zweifach gebürdet: Zum einen durch die Evolution unserer Gattung. Alle unsere Aktivitäten entspringen Fähigkeiten, die in unserer Stammesgeschichte entstanden sind. Dabei geht es letztlich immer darum, zu überleben und sich fortzupflanzen. Unsere Kulturen stellen lediglich Verfeinerungen der Evolutionsstrategien dar.
sueddeutsche.de: Und die zweite Bürde?
Wuketits: Das ist unsere jeweilige Biografie. Je älter wir werden, umso mehr schleppen wir mit uns herum: Erfahrungen, Prägungen, Wünsche, Hoffnungen, Ängste. Davon können wir uns nicht trennen. Alle Entscheidungen, die wir treffen, treffen wir auf der Basis dieser stammesgeschichtlichen und individualgeschichtlichen Faktoren.
sueddeutsche.de: Und da ist kein Platz und keine Notwendigkeit für einen freien Willen?
Wuketits: Weder noch. (…)
- SZ-Interview mit Franz Wuketits: "Moralisches Verhalten ist reiner Eigennutz", SZ, 17.8.3007
»4. Abschließend ganz kurz und knapp der Verweis auf ein wunderbares älteres Lied von "Final Fantasy", dem Soloprojekt von Owen Pallett, der hier schon mehrmals belobigt wurde. Es handelt sich um den Song "This Is The Dream Of Win And Regine", der nach den beiden Gründern der kanadischen Band "Arcade Fire" – nämlich Win Butler und Régine Chassagne – benannt ist:
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