Ganz in der Tradition liberalen Denkens steht Ralf Dahrendorf. Der Soziologe und Sozialphilosoph, der Ende der 60er Jahre kurzzeitig Bundestagsabgeordneter der FDP war und nach dem Wechsel der Staatsbürgerschaft seit einigen Jahren Mitglied des britischen Oberhauses ist, widmete sich in einem Essay der Verführungskraft des Sicherheitsarguments vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen.
In der Neuen Zürcher Zeitung skizziert er kurz, was Freiheit im liberalen Sinne kennzeichnet, um dann zu erläutern, durch welche staatlichen Maßnahmen diese Freiheit gefährdet ist. Die "Bewegungsfreiheit" in einem umfassenden Sinn – so Dahrendorfs Forderung – müsse verteidigt werden:
Doch fängt die Bewegungsfreiheit vor der eigenen Haustür an, und zu ihr gehört nicht nur die physische Mobilität, sondern auch die Möglichkeit, sich neue Horizonte der Zugehörigkeit (zum Beispiel zu politischen Parteien) zu suchen, ja die virtuelle Mobilität, zu der die elektronische Vernetzung der Welt ermuntert.
Die immer weitergehende Verschärfung von Polizei- und Haftgesetzen ist ihm freilich ein Dorn im Auge. Die Tatsache, daß Terrorverdächtige mit dem Argument der Gefahrenabwehr wochenlang festgehalten werden, ist ihm Anlaß zur Kritik; ursprünglich durfte ein Verdächtiger in England ohne Anklage maximal 12 Tage lang festgehalten werden. Dieser Zeitraum wurde – da u.a. in Fällen islamistisch motivierten Terrors umfangreiche Ermittlungen über Ländergrenzen hinweg vorgenommen werden müssen – auf 28 Tage erweitert. Blair scheiterte mit dem Antrag auf Ausweitung auf 90 Tage, nun aber plädiert Gordon Brown für mindestens 56 Tage. Dahrendorf vermutet, daß wohl ein Kompromiß gefunden werden wird, aber:
Dennoch liegt hier eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit vor, die mit der liberalen Ordnung nicht vereinbar ist. Sie ist auch nur begrenzt wirksam. Von 1228 unter den britischen Terrorgesetzen Verhafteten sind bisher 41 rechtskräftig verurteilt, hingegen 699 ohne Anklage entlassen worden. Ich fand schon die Verlängerung der Haft ohne Anklage auf 28 Tage ungerechtfertigt und werde wohl (im Oberhaus) gegen jede weitere Verlängerung stimmen.
Allerdings verknüpft Dahrendorf mit dem neuen Premier Gordon Brown vorsichtige Hoffnungen; die Tatsache, daß Blair sich fast vorbehaltlos an George W. Bushs Seite im Kampf gegen den Terror stellte, hält Dahrendorf für sehr bedauerlich:
Blair hat überdies wiederholt gesagt, Sicherheit sei die erste Voraussetzung der Freiheit, ja Sicherheit sei unentbehrlicher Teil der Freiheit. Da ist es dann nicht weit zu einer Haltung, die zuerst Sicherheit fordert und die Freiheit unter «ferner liefen» behandelt.
(…) Es ist aber wichtig, genau zu sein in der Art, in der wir über Freiheit reden. Wer zuerst etwas anderes will, um dann zur Freiheit zu kommen, hat die Freiheit zum Luxusgut erklärt und wird sie vermutlich nie erreichen.
Seien wir also ganz im Sinne Dahrendorfs sensibilisiert und kritisch, wenn uns Einschränkungen der (Meinungs-, Bewegungs- oder Versammlungs-)Freiheit abverlangt werden. Erinnern wir uns an die Mahnung Dahrendorfs, daß Freiheit eben kein Luxusgut für bessere Zeiten sein darf. Die offene Gesellschaft braucht wachsame Freunde.
- Dahrendorf, Ralf (2007): Bewegungsfreiheit. Anmerkungen zur Diskussion über Freiheit und Sicherheit. NZZ, 18. August 2007
Literaturtipps:
- Ackermann, Ulrike (Hg. – 2007): Welche Freiheit. Plädoyers für eine offene Gesellschaft. Matthes & Seitz Berlin. (mit Essays von Ralf Dahrendorf, Ian Buruma, Wolfgang Sofsky, Gerhard Schulze u.a.)
- Dahrendorf, Ralf (2006): Versuchungen der Unfreiheit. Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung. Beck.
- Popper, Karl (1945): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (Band 1+2)
2 Gedanken zu „Die offene Gesellschaft und ihre Freunde » Ralf Dahrendorf erinnert daran, daß Freiheit kein Luxus ist | Werkstattnotiz IV“