Umweltschutz, Kampf gegen Armut, Menschenrechte… » Strategien der Mobilisierung und die Inflation medialer Good-Will-Kampagnen | Werkstattnotiz XVII

Kein Tag vergeht, ohne daß einem von irgendeiner Seite abverlangt wird, sich mit drängenden Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen. Und es ist schließlich unabweisbar: die klimaschädlichen Emissionen steigen, Menschenrechte werden weiter nationalen oder egoistischen Interessen geopfert und die Schere zwischen den reichen und armen Regionen öffnet sich.

Grund genug also, um auf diese Mißstände hinzuweisen. Grund genug, um für Solidaritäts- und Informationskampagnen die Werbetrommel zu rühren. Wenigstens ein Stückchen Aufmerksamkeit für die in Not geratenen Menschen, nur ein wenig mehr Bewußtsein für die prekäre ökologische Situation, in die wir (industriellen) Nationen uns hineinmanövriert haben. Wer sollte daran etwas auszusetzen haben? Geht uns die Lage der Welt und ihrer Bewohner nicht alle an?

Gibt es die guten und die bösen Blogger?

Die Argumente, die so oder ähnlich lauten, haben eines gemeinsam: sie haben gewaltiges moralisches Gewicht. Heißt das aber gleichzeitig, daß man als Zeitungsleser auch die Pflicht hat, an den anstehenden Spendenaktionen zur Weihnachtszeit teilzunehmen? Heißt das folglich auch, daß man die Blogcommunity in zwei Lager einteilen kann? Die „Guten“, die sich an den Blogaktionen à la „Free Burma“ brav beteiligen und in die „Bösen“, die weiterhin nur ihr eigenes Süppchen kochen?

Ist es überhaupt sinnvoll, selbst an solchen Aktionen teilzunehmen? Wie stehen die Chancen für das jeweilige Anliegen Mitstreiter zu finden? Welche Strategien verfolgen die Organisatoren, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen?

Einigen dieser Fragen möchte ich im folgenden etwas nachspüren. Ich hatte bereits einige grundsätzliche Überlegungen bzgl. der Schwierigkeit die Blogszene zur Teilnahme an solchen events zu motivieren angestellt [vgl. „Die Launen der Blogdiva…“] und gestern einen Vergleich der Reichweite der beiden Blogaktionen „Free Burma“ und „Blog Action Day“ vorgenommen [vgl. „Wir sind viele…].1 Als vorläufiges Fazit ist festzustellen: Blogger haben ein sehr feines Sensorium ausgebildet, wenn es darum geht, sie zu einem bestimmten (weil erwünschten) Verhalten zu animieren. Hier ist eher mit trotziger Skepsis, als mit blinder Gefolgschaft zu rechnen. Zweitens zeigt sich anhand solcher Aktionen: die globale Blogosphäre weist deutliche Sprachgrenzen auf.

In diesem dritten Teil werde ich kurz die begleitenden (Online-)Kampagnen der diese Woche stattfindenden Aktionen „Blog Action Day“ und „Deine Stimme gegen Armut“ bewerten und kommentieren.

„Blog Action Day“ – Hürden der weltweiten Kommunikation

Wie ich bereits hier ausgeführt habe, ging die Idee zum „Blog Action Day“ von drei australischen Bloggern aus. Diese nutzten einerseits ihre durchaus renommierten Blogs, um ab Anfang August für den Aktionstag am 15.10.2007 zu werben. Andererseits stand sehr schnell eine sehr professionelle Kampagnenseite im Netz. Dort ist in allen wichtigen internationalen Sprachen das Anliegen des Aktionstages beschrieben:

Am 15. Oktober werden sich Blogger überall im Internet zusammentun, um die Öffentlichkeit auf ein ausgewähltes Thema aufmerksam zu machen. Das Thema für den Blog Action Day 2007 ist die Umwelt. Jeder teilnehmende Blogger wird sich auf seine ganz persönliche Weise eines von ihm selbst ausgewählten Umweltthemas annehmen.

Die Beiträge an diesem Tag sollten sich also um das Thema „Umwelt“ („Environment“) drehen; dabei wurden die Blogger aufgefordert, einen individuellen Artikel zu schreiben und die Frage aus ihrer jeweiligen Sicht zu beleuchten.2

Unter anderem stand auf der Website folgendes Youtube-Video zur Verfügung, das die Idee nochmal einprägsam transportieren sollte:

 

Auffallend ist: die Resonanz in Deutschland blieb weit hinter dem Potential zurück. Einige Vermutungen dazu habe ich im letzten Beitrag bereits angestellt. Die Kommunikation über Sprachgrenzen hinaus ist offenbar immer noch problematisch. Außerdem wird sichtbar, daß es von essentieller Bedeutung ist, sog. A-Blogger mit im Boot zu haben. In Deutschland ist das nicht gelungen bzw. nicht versucht worden.

Am griffigen Slogan „One day. One issue. Thousands of voices.“ kann es m.E. nicht gelegen haben. Dennoch ist die Feststellung von Liisa ohne Einschränkungen zutreffend:3

Schaut man sich die Liste der an dem Tag teilnehmenden Weblogs an, fällt ebenfalls auf, dass Weblogs aus Deutschland mit der Lupe gesucht werden müssen. Und ich frage mich mal wieder, woran das liegt? Mir ist das schon bei anderen länderübergreifenden Blogaktionen aufgefallen, dass sich die deutschen Blogger da gerne sehr zurückhalten.

Ist das schlicht blankes Desinteresse? Bekommen sie solche Aktionen gar nicht mit, weil die »maßgeblichen« Blogs in Deutschland (sog. A-Blogger) sich kaum darum kümmern und es darum nicht »interessant genug« ist…

Mein persönliches Resümee: Der „Blog Action Day“ wurde professionell aufgezogen und die Herangehensweise ist vielversprechend. Nächstes Jahr soll ebenfalls am 15. Oktober die zweite Auflage folgen. Es wird erforderlich sein, daß zumindest in den „großen“ Blognationen ebenfalls Mitstreiter und Bloginsider gefunden werden, die hier für Aufmerksamkeit sorgen. Wenn man es nicht schafft 1-2 Blogger der Topkategorie zu begeistern, dann wird auch nächstes Jahr kein größerer Erfolg drin sein.

„Deine Stimme gegen Armut“ – Großer Aufwand und Mißachtung der Blogszene 

Nun noch ein kurzer Seitenblick auf die heute stattfindende Aktion „Deine Stimme gegen Armut“ resp. „Stand against poverty„. Bevor später die Reklamationen kommen und mir vorwerfen, daß ich hier Äpfel mit Birnen vergleiche. Ja, diese internationale Kampagne – für die sich eine Vielzahl prominenter Künstler engagiert – ist keine originäre Online-Aktion. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf Aktionen, die heute weltweit in verschiedenen Städten organisiert werden, häufig in Verbindung mit (kleinen) Konzerten. Getragen ist das alles von der symbolischen Idee: „Stand up and speak out!„. So das heutige Motto.4

Allerdings ist den Veranstaltern und Verantwortlichen (federführend die Entwicklungshilfeabteilung der Vereinten Nationen) freilich daran gelegen, möglichst viele Teilnehmer zum Mitmachen zu bewegen. Wenn die Konzertbühne aufgebaut ist und davor verlieren sich ein paar dutzend Besucher, gibt das auch kein überzeugendes Bild ab. Ziel ist es, primär ein Zeichen zu setzen und Bewußtsein für die weltweite Armut zu erzeugen. Der Aufruf zur Beteiligung liest sich wie folgt:

Am 17. Oktober 2007 findet der weltweite Aktionstag gegen Armut („White Band Day“) statt. Millionen Menschen auf der ganzen Welt werden an diesem Tag darauf aufmerksam machen.
Gemeinsam werden die Staats- und Regierungschefs daran erinnert, ihre Versprechen einzuhalten und die UN-Entwicklungsziele (MDGs) bis 2015 umzusetzen.

Daran gekoppelt ist ein Weltrekordversuch:

„Deine Stimme gegen Armut“ ruft dazu auf, am 17. Oktober aktiv am „Stand up & Speak out“-Weltrekordversuch teilzunehmen.
Ziel dieser globalen Aktion ist es, dass binnen 24 Stunden möglichst viele Menschen gemeinsam Aufstehen und ihre Stimme gegen Armut erheben.

Dafür wurden Kino- und Fernsehwerbespots gedreht, PDF-Flyer zum Download angeboten und auch ein Blog eingerichtet. Wenn man das Webangebot allerdings näher betrachtet, so kann kaum verwundern, daß die Aktion zumindest in der Blogszene kaum Widerhall gefunden hat. Zwar ist die Website natürlich von Profis gestaltet, allerdings ist offenbar niemand darunter, der ein wenig Blogerfahrung besitzt.

Das aufwendig gestaltete Video ist bspw. nirgendwo in einer YouTube-Version verlinkt.5 Zwar findet man es dort auch, aber wer sich auf der Aktionsseite informieren und mit Material versorgen will, wird enttäuscht. Denn in Erinnerung bleibt dieses Video sicher dem einen oder anderen:


 

Eine verpasste Möglichkeit unter vielen. Denn anstatt die Möglichkeiten eines Weblogs zu nutzen, werden nur sporadisch kleine Artikel eingestellt, aktuelle Informationen über den Fortschritt der Planungen finden sich so gut wie gar nicht und etwas mehr Hintergrundinformationen hätten meiner Einschätzung nach auch nicht geschadet. Bedenkt man, daß es auch in Deutschland eine Vielzahl von Blogs mit politisch-sozialkritischer Ausrichtung gibt und das Thema „Armut“ durchaus Anlaß für Diskussionen und Engagement bietet, kann man nur den Kopf darüber schütteln, wenn man sieht, daß in den letzten Wochen (!) nur 2-3 Kommentare im Aktionsblog aufliefen.6

Man hätte es auch jemanden machen lassen können, der sich damit auskennt.

Als kleine Randbemerkung sei noch der Hinweis erlaubt, daß die „Pflege“ bzw. „Betreung“ des Blogs offenbar auch nur sehr nachlässig erfolgt: Kommentare bzw. Trackbacks werden nur mit erheblicher Zeitverzögerung freigeschaltet. Wer zum Dialog und Mitmachen anregen will, sollte hier gewissenhafter sein. Zumindest was den Kampagnenblog betrifft erlaube ich mir das Urteil: man hätte die Sache jemanden machen lassen, der sich damit auskennt.

Auch hier gilt: schade, daß es eine durchaus unterstützungswürdige Aktion durch kleine Fehler und Unkenntnis der Blogszene versäumt, eine stärkere Aufmerksamkeit und Onlinepräsenz zu erzeugen. Und wenn man bedenkt, daß ein Teil der heutigen Aktion eigentlich darauf abzielte, daß auf möglichst vielen Websites die jeweiligen Betreiber ein Photo von sich mit dem Slogan „Ich zeige Gesicht gegen Armut!“ zu sehen ist, dann kommt man aus dem Kopfschütteln kam mehr heraus. Wußte bei den Organisatoren hier in Deutschland niemand, daß auch Blogs im weiteren Sinne „Webseiten“ sind und auch Leser haben?

Abschließend läßt sich sagen, daß es durchaus handwerkliche Fehler gibt, die der Mobilisierung für die beiden genannten „Good Will“-Kampagnen nicht dienlich waren. Wer sich schon die Mühe macht und einen Blog aufsetzt, der sollte auch bereit sein, sich in die Szene hineinzudenken oder jemanden fragen, der hier Insiderkenntnisse hat. Vielleicht lernen die Organisatoren ja noch dazu?

Generell stellt sich allerdings die Frage, ob man – wenn sich derlei Aktionstage häufen – nicht verstärkt Abstumpfungseffekte heraufbeschwört. Ich habe hierauf auch keine Antwort. Allerdings läuft man – so meine Vermutung – durchaus Gefahr, daß sich interessierte und potentiell engagierte Leser, Blogger, Bürger ermüdet abwenden, wenn solche Kampagnen allzu inflationär werden.7

In diesem Sinne kann man vermutlich nur daran erinnern: es gibt auch ein zuviel des Guten. Aber wenn man „das Gute“ erreichen will, darauf aufmerksam machen will, daß es Unrecht, Armut, Hunger gibt, dann sollte man das auch möglichst „gut“ tun. Die Aktion heute war davon – was die Blogosphäre angeht – noch ein gutes Stückchen entfernt.

 

Die beiden vorgehenden Artikel zur selben Frage:

 

  1. Thomas Pleil hat sich ebenfalls an einem Vergleich der beiden Aktionen versucht… nachzulesen hier. []
  2. Einen guten Überblick über die verschiedenen Varianten der Beteiligung gibt u.a. Marie Naumann hier in der ReadersEdition. []
  3. Die kaum verwunderliche Kritik an der Aktion ist ebenfalls in Liisas Blog gut nachzulesen; hier äußert sich „creezy“ folgenderweise: „Ehrlich gesagt packen mich solche Aktionen genau nicht, weil sie rein gar nichts bewirken. Mitmachen kann jeder, der Spaß daran hat. Nichtmitmachen kann jeder, der darin wenig Sinn sieht. Warum soll ich ausgerechnet zum 15.10. zum Thema Umwelt bloggen? Nur weil mich einer zum Schaf einer ganzen Herde machen will?“ []
  4. Der heutige Aktionstag fand im Rahmen der übergreifenden „Milleniumsaktion“ der UN statt. []
  5. Darüberhinaus ließe sich auch fragen, ob man für den aktuellen Aktionstag nicht den Verweis auf den G8-Gipfel hätte rausschneiden können. []
  6. Und auch am heutigen Aktionstag sind Blogposts, die sich mit der Kampagne befassen oder zum Mitmachen aufrufen, so gut wie nicht zu finden. Ausnahmen sind hier und hier nachzulesen. Und ein kritischer Kommentar steht hier. []
  7. Aber es wäre vermutlich einmal zuviel um die Ecke gedacht, wenn man die These aufstellt, daß das offensichtlich dilettantische Vorgehen dadurch zu verstehen ist, daß man die Blogszene eben nicht „belästigen“ wollte? []

6 Gedanken zu „Umweltschutz, Kampf gegen Armut, Menschenrechte… » Strategien der Mobilisierung und die Inflation medialer Good-Will-Kampagnen | Werkstattnotiz XVII“

  1. Du hast die Gründe sehr gut zusammengefasst. Ich habe z.B. von der Aktion letzte Woche durch den Newsletter erfahren. Den hatte ich abonniert nach den Konzerten im Sommer. Von einem Blog wusste ich gar nichts, obwohl ich die Seite aufgerufen habe….
    Eigentlich wollte ich auch einen Beitrag verfassen, denn in Rostock fand so ein Ereignis statt. Aber da es die dritte Blog-Aktion innerhalb kurzer Zeit war, habe ich es dann doch gelassen.

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  2. Ganz ehrlich? Ich hab vom Blog action day erst über das fish-blog erfahren.

    Obwohl ich viele Wissenschaftsblogs abboniert habe, war das da irgendwie kein so großes Thema.

    Entweder das oder ich war die letzten beiden Wochen so mit Umzug beschätigt, dass ich es schlicht verpennt habe.

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  3. Ich habe vom Blog Action Day in einem Blog gelesen, auf das ich zufällig gestossen bin und habe dann in meinem Blog Promotion dafür gemacht. Habe selbst natürlich auch teilgenommen. Es kommt natürlich auch darauf an, wie man als Initiator das Thema, das Anliegen darstellt. Ich fand das Thema interessant, aber es war so in Richtung „Schreib mal einen Aufsatz“ und das Thema „Umwelt“ war vielleicht auch zu unspeziell.
    Teilnehmen werde ich aber weiter an derartigen Aktionen.

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