Seit wenigen Stunden ist es soweit: Das neue Portal der WAZ-Mediengruppe "Der Westen" ist online und bündelt die Nachrichtenseiten der einzelnen Regionalzeitungen zu einem Web-2.0-Paket. Der Startschuß zu diesem durchaus ambitionierten Projekt hatte sich mehrmals verzögert und war zuletzt umso gespannter erwartet worden. Von Medienprofis, die sehen wollten, wie die WAZ (immerhin ein Schwergewicht in der Zeitungs- und Medienbranche) den Modernisierungssprung schaffen will und ebenso gespannt von vielen Bloggern, die sehen wollen, wie sich Katharina Borchert die letzten Monate geschlagen hat.
Zur Aufklärung: die WAZ (Westdt. Allgemeine Zeitung) erreicht mit derzeit 28 Regionalzeitungen, die vorrangig im Ruhrgebiet und Westfalen erscheinen eine Auflage von 580.000 Exemplaren. Im Internet gab es bislang aber kein einheitliches Erscheinungsbild, sondern mehrere, unkoordinierte Zeitungsportale. Im letzten Jahr wurde Katharina Borchert, die sich als Lyssa in der Blogszene einen Namen gemacht hatte und ganz nebenbei (und vermutlich nicht karriereschädigend) Tochter des ehemaligen Landwirtschaftsministers Jochen Borchert ist, von der WAZ damit beauftragt das einheitliche Portal "Der Westen" zu gestalten.
Hält das vollmundig angekündigte Medienportal "Der Westen", was versprochen wurde? Sicher ist: das Projekt an den Start zu bringen, war eine beinahe herkulische Aufgabe.
Damit stand Borchert zugegeben vor einer durchaus respektablen Aufgabe. Selbst wenn man das nette Etikett einer "WAZ-Online-Chefin" trägt, dürfte es nicht leicht fallen, so viele Wünsche, Erwartungen und Forderungen zu koordinieren und zu erfüllen. Insgesamt sind es über 800 Journalisten, die von heute an ihre Texte nicht nur wie gewohnt bei der Redaktion abliefern oder eben konventionell in das (Print-)Redaktionssystem einschleusen, sondern selbst den Internetauftritt mitgestalten. Zumindest ein bißchen.
Thomas Knüwer, der indiskrete Handelsblattblogger, war schon vor Wochenfrist in den Redaktionsräumen in Dortmund1 Essen (wo u.a. 20 Onlineredakteure den Feinschliff und die Verantwortung übernehmen) und Thomas war durchaus angetan.2 Die taz warf ebenfalls vorab einen Blick auf das Projekt und wußte allerdings auch von Journalisten, die schon im Vorfeld leise rebellierten:
"Wir recherchieren, gehen auf Termine, fotografieren, schreiben, erledigen Layout und Korrektur – und jetzt sollen wir auch noch das Internet bestücken?", fragt eine Lokalredakteurin. Und ein Kollege sagt: "Wir machen bereits die Zeitung an der Leistungsgrenze." Die Online-Arbeit komme noch oben drauf. "Ich wehre mich nicht gegen das Internet", sagt die Redakteurin, "aber die Art und Weise, ohne Personalaufstockung, ohne zusätzliches Honorar, dagegen habe ich etwas."
Jetzt kann man sich selbst ein Bild machen und, nun ja, wer hatte auch erwartet, daß das Rad die Zeitung neu erfunden würde? Gut, es sind bislang nur wenig Artikel online3 und man sieht sicher erst in 2-3 Tagen, wie das neue Angebot überhaupt angenommen wird. Aber das Erscheinungsbild kommt doch recht brav daher. Übersichtlich zwar und aufgeräumt, aber doch auch ein wenig bieder.
In einem Interview mit der FAZ, das heute erscheint, betont Katharina Borchert (die eben frischgebackene Chefredakteurin ist), daß es v.a. auch um ein Umdenken im eigenen Haus gehe; die eigenen Mitarbeiter müßten an die Online-Darstellung herangeführt werden:
Wir wollen sie daran gewöhnen, nicht ausschließlich an Print, sondern immer auch an Online zu denken. Einige werden bald auch eine Videokamera zu den Terminen oder zumindest zu Interviews mitnehmen;
Eine andere – eher unausgesprochene – Hoffnung ist sicherlich, daß über die Einbindung und Aktivierung von Communities auch Inhalte nach dem AAL-Prinzip4 generiert werden; wenn engagierte User selbst Beiträge schreiben und Informationen liefern, dann wird die journalistische Arbeit durchaus erleichtert bzw. kann daran anknüpfen. Und Inhalte (neudeutsch: content) werden auf alle Fälle her- und bereitgestellt.
Im FAZ-Interview wird diesbezüglich die richtige Frage gestellt:
Trotzdem weichen Sie die Grenzen zwischen professionellem Journalismus und Amateur-Berichterstattung auf.
Und Katharina Borchert gibt eine beinahe unverantwortliche Antwort, die einerseits ausweichend-naiv, andererseits respektlos und herablassend daherkommt:
Das sehe ich nicht so. Die Arbeit eines professionellen Journalisten wird im Idealfall durch eine andere Qualität zu erkennen sein. Er hat ganz andere Ressourcen, Erfahrungen und Kontakte. Und, notabene, eine andere Sprache. Aber Blogs können eine durchaus spannende Ergänzung sein. Im Übrigen kennzeichnen wir die Unterschiede auch optisch auf unserer Seite.
Aha, wieder etwas dazugelernt: der Journalist verfügt – notabene! – über eine ganz andere Sprache, als der gemeine Blogger. Also ich für meinen Teil spreche und schreibe ja Deutsch und Journalisten, die ich schätze, bedienen sich meist ebenfalls dieser Sprache. ;-)
Naja, genug gemäkelt.5 Alles was sich zu dieser Stunde sagen läßt: der große Wurf ist es nicht und es ist ebenfalls durchaus fraglich, ob die Aufhübschung durch Web-2.0-Features genügt.
Lesenswerte Artikel und Interviews:
- FAZ: Wir mußten etwas tun; Interview mit K. Borchert, FAZ, 29.10.2007
- Stabe, Martin: New German regional newspaper site is well worth watching, PressGazette.co.uk, 28.10.2007
- WAZ-Portal: Der Westen
- Ich hatte mich u.a. durch diesen Wiki-Text etwas irreleiten lassen und war fälschlicherweise der Ansicht, die Onlineredaktion befände sich in Dortmund. Dem ist aber nicht so, wie Andreas in den Kommentaren bemerkt. In Dortmund selbst ist nur der WAZ-Ableger "Westfälische Rundschau" beheimatet, die aber mit immerhin 200 Journalisten auch an "Der Westen" beteiligt ist… [↩]
- Und mit seiner Einschätzung liegt er nach meiner Einschätzung goldrichtig: "Denn angesichts der himmelhohen Erwartungen wird sie beim Start richtig Prügel in der Blog-Szene kassieren. Ob der Westen aber ein Erfolg wird – das zeigt sich erst nach frühestens einem Jahr. Die Grundlagen, dass dem so sein wird, sind aber gelegt." [↩]
- Der Artikel zum SPD-Parteitag liest sich so... [↩]
- AAL=Andere arbeiten lassen [↩]
- Immerhin gesteht Katharina Borchert auch zu, daß selbst Journalisten nicht fehlerfrei sind. Wenngleich ihr Premierenartikel sprachlich etwas unbeholfen daherkommt, so halte ich die Idee, den Lesern die Möglichkeit zu geben, auf Fehler durch Blogkommentare hinzuweisen, durchaus für sinnvoll. [↩]
8 Gedanken zu „Was lange währt… » Die WAZ geht mit „Der Westen“ an den Start | Werkstattnotiz XVIII“
Dort oben steht „T.K. besuchte …. die Redaktionsräume in Dortmund“.
Dortmund und Essen sind zwar (global betrachtet) recht nah beieinander, aber man sollte sie dennoch nicht miteinander verwechseln. Die WAZ hat ihren Hauptsitz in Essen. In Dortmund sitzt einer ihrer größten Mitbewerber (Ruhr-Nachrichten, Verlag Lensing-Wolff) im Ruhrgebiet.
@Andreas:
Danke für den Hinweis. Vielleicht sollte man als Süddeutscher nicht über solche Themen schreiben… ;-)
Aber, genau: Thomas Knüwer besuchte das WAZ-Verlagshaus, das in Essen steht. Wo eben auch der Hauptsitz der WAZ liegt, nur (kleine?) Teile des WAZ-Imperiums (u.a. die „Westfälische Rundschau“) befinden sich in Dortmund.
Es wird die „800 Journalisten“ (Journalistinnen gibts, notabene, bei der WAZ dann ja wohl nicht) aber sicher freuen freuen, daß sie lt. Katharina Borcherts „Korrekturblog“ keinen einzigen fehlerfreien Beitrag zustande bringen. Diese Behauptung ist wirklich der ganz große Wurf – und zwar voll ins eigene Nest. Vielleicht sollte „Lyssa“ ja selbst mal öfters in eine Zeitung ihres Hauses gucken.
Ihr Hinweis mit den Rechtschreibfehlern war aber gut. Sonst hätte man ja auch schon gleich darauf hinweisen müssen, dass die Chefredakteurin höchstpersönlich bereits in der sechsten Zeile ihres ersten Artikels das Wörtchen „es“ vergaß…
Na denn – alles Gute zum Lunch
@Gerrit:
Ja, den Premiereneintrag im „Korrekturblog“ mußte ich auch mehrmals lesen. Schon erstaunlich, daß man einen einleitenden Satz derart vieldeutig und mißverständlich formulieren kann.
Um die Leser hier aufzuklären – Frau Borchert begann folgendermaßen:
Was will uns Katharina damit sagen? Doch bitte nicht, daß „kein einziger Text (=Inhalt) des neuen Portals ohne Fehler daherkommt?“ Aber auch eine andere (mögliche) Lesart, ist eher unfreiwillig komisch: denn will sie evtl. zum Ausdruck bringen, daß „kein einziger ihrer Journalistenkollegen fehlerfrei“ ist? Meint sie damit nun läßliche Fehler und Sünden, also die charakterliche Ebene, oder die krumme Nase des Redaktionskollegen…? ;-)
p.s.: „Lunch“? Ich habe mir nächste Woche als Lunch-Termin vorgemerkt… oder habe ich die Anspielung mißverstanden?