Wenn alle Experimente erfolgreich durchgeführt und dokumentiert wurden und der wissenschaftliche Fachartikel kurz vor der Fertigstellung steht, dann wird es im wissenschaftlichen Arbeitsprozeß häufig nochmal richtig spannend. Nein, nicht etwa weil der Einreichungsschluß für den Artikel bereits am nächsten Tag ansteht und die Schaubilder und Tabellen immer noch nicht an ihrem Platz sind. Zeitknappheit und Termindruck sind ein anderes Thema.
"Raubtierkäfig Wissenschaft": Wenn es darum geht, das Fell des Bären zu verteilen, ist Kollegialität und Fairness meist vergessen.
Richtig spannend wird es häufig dann, wenn die Studie abgeschlossen ist und die Berichte zur Veröffentlichung anstehen, denn dann stellt sich in vielen Fällen die Frage, wer an welcher Stelle der Autorenliste aufgeführt wird. Und – was Nichtwissenschaftler möglicherweise erstaunen wird – die bloße Nennung und v.a. die Position des eigenen Namens, sind alles andere als Nebensächlichkeiten. Zwar geht es in der Wissenschaft natürlich auch um die Annäherung an das, was man trivialerweise "Wahrheit" nennen könnte. Es geht um eine möglichst angemessene Beschreibung von Wirklichkeit und die wissenschaftliche Neugier ist gewiß der prominenteste Antriebsmotor.
Der "publication bias" der Wissenschaftsszene führt zu einem Wettlauf um die Nennung an erster Stelle der Autorenliste.
In der Wissenschaft geht es aber auch um Prestige, Macht und Karriere. Und die Anzahl der Veröffentlichungen und die Frage, bei wievielen Artikeln man dort an erster Stelle aufgeführt ist, spielt hierbei eine Hauptrolle. Und weil das so ist, weil sich die internationale Wissenschaft immer mehr zu einem Wettlauf um Positionen und knappe Ressourcen entwickelt, deshalb ist die Frage, wer als Erstautor genannt wird, häufig von heftigsten Auseinandersetzungen begleitet.
Die Auseinandersetzung um die Autorenreihenfolge kann traumatisch sein
Ein aktueller Artikel in "TheScientist" greift genau diese Begleiterscheinung des akademischen Publikationswesen auf;
"Authorship is the currency of a scientist’s career and research experience. Anita Sostek, divisional director at NIH’s Center for Scientific Review, says a researcher’s track record is extremely important to reviewers who decide to whom to award grants. "If you see somebody in the field a long time and they’re always in the middle, it looks like they’re not in the same leadership position as [people who are consistently] first or last authors."
Im August wurden in den USA einige forschungsinterne Kontroversen über die Autorenreihenfolge bekannt und "TheScientist" forderte seine Leser auf, der Redaktion per Leserbrief oder Comment eigene Erfahrungen mitzuteilen. Und wie man erfuhr, werden die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen beteiligten Wissenschaftlern mit harten Bandagen geführt:
"In more than 60 comments, many readers noted that authorship disputes can be traumatic, and that an overhaul of the whole system would be a welcomed change."
Und drüben bei Scienceblogs.com liest man bei "Effect Measure" bestätigend:
"Authorship priority disputes can be one of the most contentious and unpleasant experiences you can have in academia."
Das Problem wird natürlich verschärft, wenn die Arbeitsgruppen (etwa in der Chemie, der Medizin oder gar der Physik) größer werden und an Experimenten und Messungen viele verschiedene Wissenschaftler beteiligt waren. Und wenn dann noch Forscher unterschiedlicher Disziplinen (in denen es bzgl. der Autorennennung variierende Gepflogenheiten gibt)1 zusammenarbeiten, dann ist die Feststellung der Rangfolge fast genauso schwierig, wie die eigentliche Forschungsarbeit.2
Wie beziffert man den Grad der Beteiligung an wissenschaftlichen Studien?
Denn welcher Forscher hat welchen Anteil beigetragen? Wer war federführend in der Konzeption, wer hatte die wichtigsten Ideen, wer investierte am meisten Zeit bei der Umsetzung? Und dann – das ist das perfide daran – ist es leider häufig so, daß der Leiter der Forschungsgruppe, der zwar Verantwortung trug, an der konkreten Umsetzung des Projekts aber nur peripher beteiligt war, auf einmal die ‚pole position‘ für sich beansprucht. So geht es zu im Raubtiergehege Wissenschaft…
Aber gibt es eigentlich keine Regeln, könnte man fragen? Doch, die gibt es. Allerdings sind diese nicht verbindlich. Der "Scientist" weist zutreffend darauf hin:
According to the guidelines of the International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE), analyzing and interpreting data are the primary requirements for authorship, whereas acquiring funding, collection of data, and general supervision of research alone do not merit authorship.
Doch was nutzen Regeln, wenn sich die Platzhirsche, die Lehrstuhlinhaber und grauen Eminenzen nicht daran gebunden fühlen? In Deutschland orientiert man sich – wenn man denn mag – an den Vorgaben der DFG, die diese 1998 formuliert hat:3
"Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Veröffentlichungen tragen die Verantwortung für deren Inhalt stets gemeinsam. Eine sogenannte "Ehrenautorschaft" ist ausgeschlossen. […] Als Autoren einer wissenschaftlichen Originalveröffentlichung sollen alle diejenigen, aber auch nur diejenigen, firmieren, die zur Konzeption der Studien oder Experimente, zur Erarbeitung, Analyse und Interpretation der Daten und zur Formulierung des Manuskripts selbst wesentlich beigetragen und seiner Veröffentlichung zugestimmt haben, d.h. sie verantwortlich mittragen."
Eine sog. "Ehrenautorschaft" ist also ausdrücklich ausgeschlossen! Und ganz ähnlich heißt es in Art. 14 einer Richtlinie der ETH Zürich aus diesem Jahr:
"Autoren einer wissenschaftlichen Publikation
- leisten durch persönliche Arbeit einen wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag bei der Planung, der Durchführung, der Kontrolle oder der Auswertung der Forschungsarbeit,
- sind an der Erarbeitung des Manuskriptes beteiligt und
- heissen die Endversion des Manuskriptes gut.
In den wissenschaftlichen Veröffentlichungen müssen alle Personen als Autoren genannt werden, welche die Kriterien von Abs. 1 kumulativ erfüllen."
Werden solche Regeln zur "Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" beachtet oder belächelt? Siegen Tradition & Macht oder Fairness?
Die Betonung liegt auf "kumulativ"! ;-)
Die Frage ist nur: spielen solche Vorgaben in der Forschungspraxis tatsächlich eine Rolle? Welche Erfolgsaussichten haben die Betonköpfe in den Forschungsinstituten, die kraft ihres Amtes und ihrer Autorität darauf pochen, daß sie (egal ob maßgeblich oder gar nicht beteiligt) stets als Verfasser der Forschungsberichte mitgenannt sind? Wie sind Eure Erfahrungen?
Die wichtigsten Regelwerke und Empfehlungen:
- DFG: "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis", [PDF-Download], 1998
- ETH Zürich: "Richtlinien für Integrität in der Forschung und gute wissenschaftliche Praxis an der ETH Zürich", [PDF-Download], Mai 2007
International sind anerkannt:
- Uniform Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals: Writing and Editing for Biomedical Publication – Website: www.icmje.org
Interessante Artikel:
- Andrea Gawrylewski (2007): Bringing order to authorship, TheScientist, Vol. 21, pp.91
- Scienceblogs.com: Authorship on scientific papers, [Blog: "effect measure"], 14.11.2007
Und eben gefunden in den Kommentaren bei Scienceblogs:
- Teilweise ist es auch so, daß der letztgenannte Name sehr viel Reputation bedeutet. [↩]
- Hallo Freunde von der chemischen Zunft, Oli, Jochen, Martina oder unser heutiges Geburtstagskind Martin in den USA… habt ihr da auch negative Erfahrungen? [↩]
- Nach den aufsehenerregenden Fälschungsskandalen um den Krebsforscher Hermann hatte die DFG die Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft" initiitert; diese verfasste die "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis". [↩]
10 Gedanken zu „Ehre, wem Ehre gebührt? » Wissenschaftliche Publikationen und das Gerangel um die „Pole Position““
Im letzten Projekt, in dem ich mitgearbeitet habe, wurden gemeinsam von allen Personen (aus den 6 Kern-Ländern) „Authorship-Rules“ verfasst, die klar regelten, ab wann man Autor ist (also nicht nur Korrekturlesen, sondern auch etwas zu den Inhalten beisteuern) und wie die Reihenfolge aussieht. Und das hat sich gut auf alle Projektbeteiligten verteilt, sodass ich auch mal an erster Stelle einer Veröffentlichung stand. :-)
Genau den PHD-Strip habe ich gemeint. Ein echter Klassiker!
Ich habe das Problem dauernd. Ich kann ja in meinen Artikel praktisch nie alle Verfasser nennen, und dann läuft es meistens auf die Formulierungskrücke „Hauptautor und seine Kollegen“ hinaus.
Ich hab dabei immer ein schlechtes Gewissen, weil ich ganz genau weiß, dass ich damit die Doktoranden und andere Kochnechte, die eigentlich die ganze Arbeit gemacht haben, hinten runterfallen lasse.
Bei mir persönlich es zum Glück noch nie Probleme, aber ich habe schon von anderen gehört, wie sie von Kollegen berichten, die ihnen „aufs Auge gedrückt“ wurden, weil sie Institutsleiter etc sind. Es läuft halt häufig nach dem Prinzip, dass die sich das jahrelang erarbeitet haben und dann es vedient haben per se drauf stehen. Dann allerdings am Ende und nicht als Erstautor.
Ich kenne es so, dass die ersten drei die Wichtigsten sind, weil ja oft beim Zitieren nur diese genannt werden (oder auch nur der allererste).
Um die direkte Anfrage nicht unerhört ins Leere laufen zu lassen, schildere ich gerne meine Erfahrungen aus der Chemie, obwohl diese nachdem der Artikel schon zwei Wochen alt ist kaum noch Leserschaft finden wird. Meiner Meinung nach übrigens ein Nachteil der Bloggerei: Wegen der Fülle aktueller Informationen ist kaum noch Zeit für interressante Gedanken von Gestern.
Nun also zum Kern der Sache: In nunmehr 20 Pubsen in Sachen Chemie wurde mir immer ein würdiger Platz in der Autorenliste zugeschustert (eingeweihte verstehen den Hintergrund der eigentümlichen Wortwahl). Dies lag meiner Ansicht nach vor allem an den klaren Regeln (oder wie sagt man so schön: der Tradition) die in den jeweiligen Arbeitsgruppen herrschten. Diese waren zwar unter den jeweiligen Platzhirschen unterschiedlich, aber für alle in Frage kommenden Autoren gleich. So weit so gut!
Trotzdem weiß ich, dass mich ein subjektiv als unangemessen empfundener „Platz“ durchaus ärgern würde. Die beschrieben Problematik ist also nicht von der Hand zu weisen nur weil ich vielleicht Glück hatte. Ohnehin denke ich, dass es in der Chemie relativ leicht ist den Arbeitsaufwand für eine Messung oder Synthese zu bewerten und entsprechend zu „autorisieren“.
et ol. hat leider recht, Blogs sind nicht für eine lange Diskussion gebaut, sondern ehr für einen kurzen Aufschrei.
Durchaus schade
Ich stimme natürlich zu, daß Blogs einen Vorteil bzgl. Aktualität und pointierter Thematisierung haben. Allerdings glaube ich – wenn man die Rahmenbedingungen entsprechend gestalten würde -, daß Blogs auch vertieftere wissenschaftliche Diskussionen recht gut abbilden bzw. dokumentieren könnten.