Die größte Verfassungsbeschwerde gegen die größte politische Dummheit aller Zeiten? | Werkstattnotiz XXXI

Die meisten Leser werden vermutlich nicht wissen, daß der Autor der Wissenswerkstatt vor einigen Jahren das Fach "Politische Wissenschaften" an einer inzwischen zur Eliteuniversität geadelten Hochschule studiert hat. Und da die Arbeit an einer (wissenschafts-)soziologischen Doktorarbeit noch keinen neuen "Titel" einbringt, ist der einzig legitime Namenszusatz den ich führen darf, derjenige eines "… Politikwissenschaftlers M.A.".

Ich hoffe freilich, daß ich mit dieser Beichte nun keine treuen Werkstattbesucher enttäuscht oder ernüchtert habe. ;-) Und die Wortmeldungen zu tagespolitischen Fragen werden auch zukünftig eher Mangelware bleiben. Da aber gestern von den Mitgliedern der Regierungsfraktionen des Bundestags eine mehr als unerfreuliche Entscheidung getroffen wurde, will und muß ich heute doch wenigstens kurz auf das Thema "Vorratsdatenspeicherung" hinweisen. 

Gut, ich nehme an, daß meine Leser ohnehin vielfältig interessiert und informiert sind und sie insofern die Diskussion erstens schon seit Monaten verfolgen und zweitens, selbst wenn sie nachts geweckt würden, alle Argumente aller Parteien sofort aufsagen könnten. Mit den Argumenten der Befürworter des nun auf den Weg gebrachten Gesetzes ist man schließlich auch schnell fertig, denn viel anderes, als daß man sich erhofft durch die massive Ausweitung der Speicherung (fast) aller anfallenden Telekommunikationsdaten irgendwann eventuell (Terror-)Anschläge zu verhindern oder wenigstens nachträglich rekonstruieren zu können, ist hier ja nicht zu hören.

Trauerspiel im Bundestag: Allein die Abgeordneten der Grünen, FDP und Linkspartei stimmten gegen das "Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung"

Nachdem die Diskussion in ihren Details in allen seriösen Zeitungen sowieso dokumentiert ist, erspare ich mir hier weitere Ausführungen. Allerdings möchte ich auf die die (Sammel-)Verfassungsbeschwerde verweisen, die derzeit in Vorbereitung ist. Sobald das am gestrigen Freitag vom Bundestag1 beschlossene Gesetz vom Bundesrat bestätigt und vom Bundespräsidenten unterschrieben ist, soll in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Bislang haben sich dieser Sammelklage schon 7.000 Bürger angeschlossen (darunter u.a. der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch, der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum und die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger).

Der Verfassungsbeschwerde, die vor drei Tagen von Innenminister Schäuble mit einem unsäglich dummen Vergleich2 diffamiert wurde, kann man sich hier anschließen:

Die hauptsächlichen Kritikpunkte zielen auf die Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit, außerdem des "Rechts auf informationelle Selbstbestimmung". Daneben wird – so die in meinen Augen plausible Kritik – das Fernmeldegeheimnis verletzt.

Sollte eine effizientere Terrorismusbekämpfung nicht ein paar Zugeständnisse wert sein?

Was interessiert es mich, könnte man sich fragen? Schließlich hat man nichts zu verbergen und wenn die zuständigen Stellen so besser auf Verbrecherjagd gehen könne, soll es einem Recht sein? Zählt hier auch das oftmals schiefe Prinzip des "der Zweck heiligt die Mittel"?

Der gute Zweck heiligt selbstverständlich niemals die Mittel. Und die Einwände liegen auf der Hand: denn bisher wurden ausschließlich solche Daten erfaßt, die (so das einschränkende Kriterium) "rechnungsrelevant" waren. Drei Monate lang mußten bislang Einwahl- und Verbindungsdaten gespeichert werden, um sie ggf. später zu Abrechnungszwecken (!) heranzuziehen. Neu ist eben, daß für einen Zeitraum von 6 Monaten sämtliche (!) IP-Adressen, inkl. der Ortsdaten, alle E-Mailverbindungsdaten sowie selbstverständlich alle Kennwerte/Rufnummern von allen anfallenden Telefongesprächen und SMS-Kontakten protokolliert und gespeichert werden.

Die Frage lautet freilich, welchen Nutzen diese Archivierungs- und Protokollierungsmaßnahmen versprechen und welche Schäden sie anrichten. Aber während die Vorteile mehr als hypothetisch sind, sind die Nachteile und Gefahren ganz offensichtlich. Vom gewaltigen Mißbrauchspotential einmal abgesehen, genügt es allein schon, sich um die Pressefreiheit zu sorgen, um den Gesetzentwurf abzulehnen. Denn wie Heribert Prantl gestern in der Süddeutschen Zeitung zutreffenderweise schrieb:

"…es geht hier nicht um bequemere Berufsausübung; es geht um die Grundlagen des Journalismus, um seine demokratische Funktion. Alle großen politischen Skandale der Bundesrepublik, auch und vor allem die mit strafrechtlichem Einschlag, sind von der Presse aufgedeckt worden, nicht von der Staatsanwaltschaft. Man kann sich fragen, welche dieser Skandale ruchbar geworden wären, wenn die Informanten schon damals die Speicherung ihrer Daten und den staatlichen Zugriff darauf hätten befürchten müssen."

Im Grunde genügte (fast) schon dieses Argument, um sich der oben verlinkten Verfassungsbeschwerde anzuschließen. Tun Sie es also jetzt! ;-)


Zahlreiche weitere Infos und Links findet man auf der Seite:

  1. 366 Abgeordnete von 524 Stimmberechtigen stimmten mit Ja. []
  2. Schäuble sagte lt. taz: ""Wir hatten den ‚größten Feldherrn aller Zeiten‘, den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten". []
  3. Mit richtigem Namen lautet es: "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" []

2 Gedanken zu „Die größte Verfassungsbeschwerde gegen die größte politische Dummheit aller Zeiten? | Werkstattnotiz XXXI“

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