Dilemma der Museumspädagogik: Fragen aufwerfen oder beantworten? | Werkstattnotiz XL

Was erwarten wir uns von einem Museumsbesuch? Gut, ich gestehe, die Frage müßte unbedingt differenziert werden, denn den Weg in eine Kunstgalerie tritt man vermutlich mit einer anderen Motivation an als denjenigen in ein Technikmuseum. Und die Lehrerin einer Schulklasse stellt andere Erwartungen an die Aufbereitung der Exponate als eine Touristengruppe, die vor dem Herbstregen geflohen ist und sich stattdessen die Zeit im Museum vertreibt.

Und es soll auch Zeitgenossen geben, die ins Museum gehen, um dort aus den Fenstern zu blicken.1 ;-) Dennoch ist es eine überaus spannende Frage, was ein Museum leisten kann und soll. Daß die Museen kaum den unterschiedlichen Wünschen der verschiedensten Besuchergruppen gerecht werden können, ist klar. Wie sieht aber eine zeitgemäße Präsentation der Exponate aus?2

Björn Kröger – der ja einen Großteil seiner Arbeitszeit in Museen zubringt – hat vor wenigen Tagen sein Unbehagen an der vorherrschenden Ausstellungspraxis formuliert. Denn bspw. die meisten naturkundlichen Museen – so Björns Wahrnehmung – verfolgen dieselbe Strategie, die sich freilich häufig in einer Simulation von Authentizität erschöpft. Konkret: der ausgestopfte Hirsch wird mit einigen Tannenzweigen garniert und vor eine Waldtapete gestellt. Dazu gesellen sich einige Schautafeln, die suggerieren, auf ihnen seien die wesentlichen Informationen nachzulesen.

Museen als Bildungsinstitutionen im Geist der Aufklärung

Töten Museumsbesuche die Neugier? Suggeriert die Präsentation der Exponate zu oft, daß alles Wißbare und Wissenswerte bereits dargestellt ist? Ist es nicht der Kardinalfehler die Besucher „fraglos zu machen“, anstatt sie voller (neuer) Fragen zu verabschieden?

Diese Darstellungsweise ist natürlich kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, daß das moderne Museumswesen im 19. Jahrhundert seine Geburtsstunde hatte und von Anfang an als Bildungsinstitution gedacht war. Schon sehr früh (nämlich 1826 im Senckenberg-Museum in Frankfurt) wurde in Museen Unterricht für Schulklassen gegeben. Und für Angehörige des Bürgertums gehören Museumsbesuche seitdem zum guten Ton: man gibt sich bildungsbeflissen.

Die Museumspädagogik zielt fast ausschließlich darauf, Antworten zu geben. Und erfolgreich ist eine Ausstellung dann, wenn sie ihre Besucher mit dem satt-wohligen Gefühl entläßt, etwas gelernt zu haben. Für Björn ist diese Paxis aber höchst unbefriedigend:

Es wird mir etwas aufgedrängt, was ich zu sehen habe, und wie ich es zu sehen habe. Ein aufklärerischer Imperativ verkittet die Präparate, die hinten in den Sammlungen voller Geheimnisse stecken.

Ich persönlich muß gestehen, daß ich nicht mit den Museumsmachern tauschen möchte. Aber die Frage, welche Anforderungen ein Museum erfüllen soll, ist äußerst spannend. Denn grundsätzlich gibt es wohl zwei Pole: auf der einen Seite den Versuch, die Exponate möglichst so aufzubereiten, daß die Besucher maximal hohe Lerneffekte erzielen können. Hier steht also die Wissensvermittlung im Vordergrund, das Beantworten von Fragen.3 Auf der anderen Seite gibt es die Bemühung transparent zu machen, daß die Darstellung im Museum immer hochartifiziell ist. Konzepte dieser Ausrichtung versuchen stattdessen darauf abzuzielen, bei den Besuchern tiefergehendes Interesse zu wecken. Hier geht es also vorrangig darum, Fragen aufzuwerfen anstatt sie zu beantworten.

Für Björn steht fest, daß er sich Museen der zweiten Gattung wünscht. Eine gelungene Darstellung im Museum solle ihn nicht

  …fraglos und beeindruckt machen, [sondern] neugierig und fragend.

Diese Aussage kann ich sehr gut nachvollziehen, denn ein Museum, das seine Besucher in dem Gefühl entläßt, alles Wissenswerte hätte es sich in den letzten 2-3 Stunden angeeignet, hat einen Großteil seiner Möglichkeiten verfehlt.4

 


Linkempfehlungen:

 

 

  1. Jedenfalls hatte Max Goldt einst die Frage gestellt: „Im Museum gucke ich immer am liebsten aus dem Fenster. Sie auch?“ []
  2. Björn fordert u.a., daß sie sich als Re-Präsentation darstellen. []
  3. Dies ist eben das gängige Programm, wie es immer wieder für die Museumspädagogik fomuliert wurde. So etwa hier: Ziel eines Museums soll sein, „daß sich zwischen den ausgestellten Realien – in Bezug aufeinander – Bedeutungsräume, Bedeutungszusammenhänge eröffnen, in denen die Objekte – jenseits bloß formaler oder gattungslogischer Bestimmung […] als Lernensembles“ wirksam werden. vgl. (Hoffmann, Detlef/Knigge, Volkardt: Museumspädagogik. In: Müller-Rolli, Sebastian (Hg.): Kulturpädagogik und Kulturarbeit. Weinheim/München (Juventa) 1988, S.120) []
  4. Bei Björn drüben hat sich noch eine kleine Diskussion zu diesen Fragen entfaltet. []

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