Es gibt genau zwei Arten von Künstlern: auf der einen Seite diejenigen, die glauben, Kunst sei letztlich auch nur irgendeine Art von Handwerk, das mit Geduld und Fleiß erlernt und ausgeübt werden könnte. Kunst wird hier als Kunstfertigkeit verstanden, als außergewöhnliches Talent etwa oder eben schlicht eine Begabung, die den Künstler aus dem Durchschnitt seiner Zeitgenossen heraushebt. Und dieses – nennen wir es das konventionelle – künstlerische Selbstverständnis hat unbestritten seinen wahren Kern: denn tatsächlich treffen die meisten Sänger, die in den gewöhnlichen Pop- und Rockbands ihren Dienst tun, mit höherer Wahrscheinlichkeit den richtigen Ton, als man es dem gewöhnlichen Radiohörer zutrauen würde.
Künstler der konventionellen Kategorie qualifizieren sich für ihre Berufsausübung dadurch, daß sie häufiger den richtigen Ton treffen, als es dem Durchschnitt ihrer Hörer gelänge.
Leider ist das allerdings auch das Beste, was sich über die Vertreter dieser Kategorie sagen läßt: ihre Darbietungen bewegen sich zumeist unter der Schwelle, ab der es beginnt lästig zu werden. Wenn der Nachbar frühmorgens beginnt unter der Dusche zu singen, so ist man bemüht die schiefen Töne und Disharmonien durch eifriges Geklapper mit dem Müslibesteck zu übertönen. Wohnte Robbie Williams nebenan, würde man dessen morgendliche Stimmgymnastik vermutlich gerade noch ertragen.
Diese Gruppe der konventionellen, geschäftsmäßigen Künstler ist diejenige, die wir alltäglich sehen, hören, lesen. Und vielleicht ist es sogar notwendig, daß diese Broterwerbskünstler in ihrer Allgegenwart so unübersehbar und unüberhörbar sind. Denn neben diesen unzähligen braven, bemühten Schriftstellern, Malern und Musikern gibt es ja noch die zweite Gruppe von Künstlern, deren Außergewöhnlichkeit durch die Existenz der 08/15-Künstler noch frappierender ist: die Mitglieder der anderen Gruppe sind zwar meist ebenso wie ihre Kollegen mit überdurchschnittlichem Talent ausgestattet, was aber im Grunde vollkommen nebensächlich ist. Denn die Angehörigen dieser anderen Kategorie zeichnen sich vor uns anderen durch genau eine Eigenschaft aus, die man vermutlich als Begnadung bezeichnen muß.
Für Künstler der zweiten Kategorie – und die Band "Arcade Fire" ist der beste Beweis – ist es im Grunde eine Frechheit, sie überhaupt mit den konventionellen Musikern zu vergleichen; in ihrer Einzigartigkeit (bei der Noten von Besessenheit mitschwingen) haben sie sich zu weit von dem entfernt, was für den großen Rest erreichbar oder genauer: denkbar ist.
Nicht Kunst machen – Künstler sein
Ein Schriftsteller oder Musiker, der innerhalb seiner Profession als "begnadet" einzustufen ist, hebt sich von seinen Standeskollegen nicht allein durch seine sprachliche oder eben musikalische Fähigkeit ab. Die vollkommene Singularität erklärt sich dadurch, daß diese Künstler nicht auf der Bühne stehen, weil eben zufälligerweise genug Menschen die Karten für das heftig beworbene Konzert gekauft haben. Diese Künstler stehen auf der Bühne, weil sie nicht anders können, weil sie sich einfach durch ihre Texte, durch ihre Musik artikulieren müssen.
Und die Angehörigen dieser zweiten Kategorie sind in diesem Sinne auch nicht einfach bessere Schriftsteller oder bessere Musiker, als ihre Kollegen der ersten Gruppe. Während die ersteren häufig Mühe haben, die Erwartungen, die man an eine künstlerischen Darbietung heranträgt, leidlich zu befriedigen, stellt sich diese Frage bei Lesungen oder Konzerten der anderen Gruppe niemals. Der Unterschied, der zwischen diesen beiden Gruppen liegt, läßt sich insofern auch nicht in Metern messen; es ist keine Frage der Distanz, nicht eine Frage des ‚besser‚ oder ‚schlechter‚. Die Begnadetheit wird offensichtlich, wenn der oder die Künstler mit ihrem und in ihrem Werk aufgehen, mit ihm eins werden. Wenn wir nicht mehr unterscheiden können, zwischen Urheber und Werk. Diese Verschmelzung zu einem neuen Ganzen, finden wir bei Kunst-Imitatoren der "Kategorie 1" nie.
Denn es gibt schlicht und unbestreitbar Künstler, deren originäre Gestaltungskraft und (Bühnen-)Präsenz nicht selten Züge von Besessenheit annimmt; dies veranlaßt Kommentatoren dann bisweilen dazu, den Vergleich von "Genie & Wahnsinn" zu bemühen, die angeblich nah beieinanderliegen. So ganz falsch, liegen sie nicht immer damit. Das genialische Moment werden all die Fußgänger unter den künstlerisch Tätigen niemals erreichen, nicht einmal eine Ahnung davon.
Die kanadische Indie-Rock-Band "Arcade Fire", diese kunterbunte Folk-Hippie-Kommune, die sich um das Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne gruppiert, zählt ganz offensichtlich zur zweiten Kategorie. Auf Konzerten sieht deren Bühnendarbietung dann u.a. so aus:
Plattentipps:
- Arcade Fire (2007): Neon Bible.
- Arcade Fire (2004): Funeral.
Linktipps:
- Poplog: Kanadaserie, Platz 2: Arcade Fire, 15.8.2007
1 Gedanke zu „Genie und Wahnsinn » Die Singularität der kanadischen Band „Arcade Fire““
hmm, „Arcade Fire“ , noch nie gehört.
danke, für den tip, wissenswerkstatt ! da werd ich mich wohl oder übel reinhören müssen. das video rockt ja schon ordentlich. WOW