Genau vor einer Woche stimmte die Mehrheit der Delegierten beim Hamburger SPD-Parteitag für die Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Sie widersetzten sich damit der Empfehlung der Parteiführung und leiteten damit eine neue Runde in der nun schon über 30 Jahre andauernden Diskussion um Geschwindigkeitsbegrenzungen ein.
Die Argumente zwischen den verschiedenen Interessensgruppen sind schon längst ausgetauscht. Und ebenso klar ist: der Umstand, daß auf über 50% Prozent des deutschen Autobahn-Wegenetzes kein Tempolimit einzuhalten ist, ist europaweit quasi einzigartig.1 Seitdem freilich das Thema Klimaschutz auf der politischen Agenda an prominenter Stelle steht und die Reduktion der CO2-Emissionen ein wichtiges Anliegen jeder Regierung sein muß, haben die Befürworter des alten Slogans "Freie Fahrt für freie Bürger" noch schlechtere argumentative Karten.
Da werden dann bisweilen haarsträubende argumentative Pirouetten gedreht, um letztlich doch an der bisherigen Linie festzuhalten. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla meldet sich kaum überraschend mit Sätzen wie diesem zu Wort:
„Der Nutzen eines allgemeinen Tempolimits steht in keinem Verhältnis zu den Einschränkungen für die Autofahrer. Mit der CDU sind solche Gängeleien nicht zu machen.“ [Quelle: Welt]
Die Erklärung, weshalb eine Geschwindigkeitsobergrenze allerdings eine Gängelung darstellt, bleibt er freilich schuldig. Schließlich ist der Straßenverkehr an allen Ecken und Enden reglementiert, wieso nicht was die Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen angeht?
Politisches Argumentationskabarett
Die obskursten Argumente, die immer wieder bemüht werden, lauten dann u.a. so:
"Auf geraden Straßen besteht bei Tempo 130 die Gefahr einzuschlafen."
Nur seltsam, daß unter solchen Umständen überhaupt Kraftfahrzeuge zugelassen sind, die dieses offenbar prekäre Limit nur kaum oder nicht überschreiten.2 Und sollte man – wenn diese Einschlafgefahr so triftig ist – nicht viel eher sogar eine Mindestgeschwindigkeit einführen? Also eine Verpflichtung mindestens 130km/h zu fahren? ;-)
"Das Tempolimit würde vermutlich unzureichend befolgt, die Polizei wäre mit der Kontrolle überfordert."
Naja, diese Argumentationslogik ist ähnlich gewagt. Interessante Vorstellung, wenn alle Verhaltensweisen, die nur schwer kontrollierbar sind, plötzlich freigegeben werden.3
Es nützt ja nur ein bißchen…
Eine der aktuellen Diskussionen kreist um die Frage, wieviele CO2 durch ein Tempolimit eingespart werden könnte. Die Berechnungen gehen hier etwas auseinander, aber auch Skeptiker räumen ein, daß wohl wenigstens 2,5 Millionen Tonnen CO2 durch diese Maßnahme eingespart werden könnten. Jedoch sei das ja gerade – so das Lamento – mal ein knappes Prozent des Gesamtvolumens, das die Bundesrepublik ingesamt gemäß der Klimaschutzabkommen einsparen will bzw. muß. Insofern seien diese 2,5 Millionen Tonnen ja kaum der Rede wert…
Auch eine interessante Logik – schließlich lassen sich auf diese Weise auch fast alle andere Klimaschutzmaßnahmen (Energiesparlampen, Stand-By-Schaltung, Nutzung des ÖPNV etc.) als überflüssig delegitimieren.
Keine Argumente pro Tempolimit? Was zählt die Reduktion der CO2-Emissionen? Was zählen weniger Verkehrstote pro Jahr?
Nach diesem Muster könnte man noch weitere "Argumente" der Autofahrerlobby zerpflücken. Die zu erwartende Anzahl der Verkehrstoten, die sich vermindern ließe, gehört ebenfalls dazu. Der ADAC sieht hier freilich (entgegen allen Erfahrungen aus den Nachbarländern oder den Expertenmeinungen von Verkehrswissenschaftlern) keine Vorteile, die sich aus einem Tempolimit ergeben…
Kurz und prägnant nimmt Gregor Honsel auf dem Technoloy Review-Blog dazu Stellung:
„Es gibt kein einziges sachliches Argument, das ein Tempolimit rechtfertigt“, meint CDU-Bundestagsfraktionsvorsitzender Volker Kauder. Bitte sehr, hier sind welche: Die kinetische Energie nimmt im Quadrat zur Geschwindigkeit zu. Zwischen rechter und linker Spur herrscht heute manchmal eine Geschwindigkeitsdifferenz von mehr als hundert Stundenkilometer. Haben diese beiden Fakten einen Einfluss auf die Sicherheit? Definitiv.
Übrig bleibt dann nur noch die Frage, ob ein Tempolimit auf Akzeptanz bei der Bevölkerung stieße. Die volkskundigen Herrschaften von ADAC oder CDU glauben zu wissen, daß der Autofahrer – womit wohl auch alle anderen Bürger/innen eingeschlossen sind – keine Beschränkung wolle. Bestätigt wird diese Haltung durch Umfragen, wie diejenige von FORSA (durchgeführt diese Woche). ntv vermeldet dann auch prompt "Tempolimit 130 unpopulär".
"Die Menschen wollen kein Tempolimit!" – Ach, wirklich?
Die aktuellen Zahlen weisen dann aber bei genauem Hinsehen lediglich 54% der Befragten aus, die kein Limit wollen, gegen 46%, die sich ein Tempolimit wünschen. Und, zur Erinnerung: im Frühjahr ergab dieselbe Frage (ebenfalls von FORSA durchgeführt, nachlesbar: hier) genau das gegenteilige Ergebnis: 60% wollten damals die Einführung von Tempobegrenzungen. Will also nochmals ernsthaft jemand behaupten, man stelle sich mit einem Tempolimit gegen die Bevölkerung?
Und abgesehen davon: seit wann ist die "Meinung" der Bevölkerung die Richtschnur für Entscheidungen der Bundesregierung – wurde bei den HartzIV-Gesetzen, der Erhöhung der Mehrwertsteuer etc. auch zur Bedingung gemacht, daß eine 2/3-Mehrheit diesen Schritten im Vorfeld zustimmt?
Links:
- ntv: Tempolimit 130 unpopulär, 1.11.2007
- Umweltbundesamt (2003): CO2-Minderung im Verkehr, Studie, [PDF]
- Lediglich in Island und auf der Isle of Man gibt es ebenfalls keine Geschwindigkeitsbegrenzungen. [↩]
- Schwächer motorisierte PKWs älterer Baujahre erreichen höchstens auf abschüssiger Strecke 140km/h oder mehr.. [↩]
- Wie sieht es hier mit der Legalisierung weicher Drogen aus? Lehrt nicht die Erfahrung ebenso, daß die Polizei kaum alle kiffenden Jugendlichen kontrollieren kann? ;-) [↩]
3 Gedanken zu „Wie es Euch gefällt… » Argumentative Pirouetten und die Frage nach dem Tempolimit auf Autobahnen | Werkstattnotiz XXVI“
Das ist eine ganz dicke, freche Lüge. Hier ist ein Papier von Uniprofessoeren des Verkehrswesens aus dem Jahr 2004 mit einer ganzen Latte von sachlichen Argumenten:
http://vplno1.vkw.tu-dresden.de/svt/html/presse/geschw_bab_sep2004.pdf
Die Lobby der Automobilfirmen ist bei dieser Thematik sehr aktiv und natürlich der ADAC, der Geschwindigkeitsbegrenzung ja mit Beschneidung der persönlichen Freiheit gleichsetzt.
Wenn man häufig auf Autobahnen unterwegs ist, dann meint man, dass sich dies bald von selbst löst. 130km/h ist ja auf vielen Strecken kaum noch erreichbar. Ich hätte kein Problem mit einer Begrenzung auf 130km/h.
Die Argumentationen der Raser … ähh .. „Freiheit“ liebenden Bürger kann ich beim besten willen nicht folgen. Daher – Petition fürs Tempolimit unterschreiben!
http://itc.napier.ac.uk/e-Petition/bundestag/view_petition.asp?PetitionID=558