„Working poor“ » Die prekären Lebensverhältnisse freischaffender Wissenschaftler, Künstler und Journalisten | Werkstattnotiz XXVII

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist positiv. Seit einigen Monaten muß man, wenn allmonatlich die neuesten Zahlen aus Nürnberg vermeldet werden, nicht mehr innerlich zusammenzucken. Die Zeiten, als dort – wie früher – stetig neue Rekordarbeitslosenzahlen bekanntgegeben wurden, sind vorläufig vorbei. Bernhard Jagoda1 hat seinen Job einfach zur falschen Zeit gemacht…

Unter solchen Bedingungen hat derjenige, der eine Arbeit sucht, auch reale Erfolgsaussichten. Allerdings gibt es auch Branchen, in denen Festanstellungen immer seltener werden. Das weite Feld des Journalismus zählt dazu. Ein Großteil der Reportagen, Essays und Berichte in den Medien ist das Produkt der Arbeit von freien Journalisten. Solchen also, die nicht Mitglied einer Redaktion sind und insofern auch kein festes Gehalt erhalten. Bezahlt wird jeweils nur die gelieferte Leistung, eben der jeweilige Artikel. Manchmal darf man aber auch auf die Überweisung des Honorars lange warten.

Woran erkennen Sie einen freien Journalisten? – Am ängstlichen Blick auf seinen Kontoauszug…

Gabriele Bärtels, die seit 10 Jahren auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdient, hat die Sorgen und Nöte einer freien Journalistin in der letzten ZEIT beschrieben. Obwohl "beschrieben" ist vermutlich das falsche Wort. Es ist eher ein Hilferuf. Eine Anklage und frustriert-resignativer Appell, daß die Situation der vielen freischaffenden Journalisten schon seit langem untragbar ist.

Der Text sei dringend zur Lektüre empfohlen. Es ist ein subjektiver Erfahrungsbericht, die Schilderung des Alltags einer keineswegs unerfahrenen Journalistin, die für ihre Arbeit auch schon mit mehreren Preisen bedacht wurde.

Es handelt sich beim ZEIT-Text um wenig anderes als die Beleuchtung eines Phänomens, das unter dem Etikett "working poor" immer wieder thematisiert wurde. "Working poor" steht für Armut trotz Arbeit und meint just die Tatsache, daß die betroffenen Personen kein Einkommen erzielen, das zur Existenzsicherung ausreichen würde. Daß freilich zu dieser Personengruppe auch Akademiker (freie Wissenschaftler, Journalisten, Künstler…) zählen, wird meist übersehen.

Einige besonders eindrückliche Passagen des Textes von Gabriele Bärtels seien hier aber dennoch zitiert – zu ihrem Tagesablauf eben u.a. der ängstliche Blick aufs Konto :

Jeden Morgen schaute ich angespannt auf mein Onlinekonto, ob endlich das Honorar von Zeitung X oder Y eingegangen ist, doch dies war nicht der Fall, obwohl mir die Redakteure die Überweisung schon vor Wochen zusagten.

Ein grundsätzliches Problem, das in allen Berufsfeldern zu finden ist, in denen Freiberufler ihre Tätigkeit anbieten, ist die Asymmetrie zwischen den einzelnen Akteuren; mit anderen Worten: auf dem Konto des Redakteurs geht mit schöner Zuverlässigkeit sein Gehalt ein, das zwar zumeist nicht berauschend ist, aber immerhin regelmäßig und verläßlich kommt. Die freien Journalisten haben genau diese Sicherheit nicht und sind eben auf die Abnahme und Bezahlung ihrer Texte existentiell angewiesen.

Ich darf nicht böse mit der Redakteurin werden, denn ich bin auf sie angewiesen. Ich darf auch nicht zu deutlich machen, wie dringend der Abdruck für mich gewesen wäre und dass nun wieder ein Loch gähnt, wo ich mit einem Honorar fest gerechnet hatte.

Ungleiche Positionen: die Freiheit des freien Journalisten wird mit Unsicherheit erkauft!

Und die angesprochene Asymmetrie führt dann nicht selten dazu, daß sich diese ungleiche Machtverteilung auch in den Verhaltensmustern niederschlägt:

Und wird der Text nicht gedruckt, erfahre ich manchmal erst nach Monaten, dass dies nie der Fall sein wird. Nur in Ausnahmefällen benachrichtigt der Redakteur mich, meistens vergisst er es. Ich bin ja auch kein Lebewesen für ihn, sondern nur eine E-Mail oder bestenfalls eine selten gehörte Telefonstimme. Dass die Geschichte dann für andere Zeitungen nicht mehr aktuell ist, ist nicht sein Problem.

Kaum verwunderlich, daß nach nur einigen Wochen, in denen die meisten Artikel keine Abnehmer bei den Zeitungen fanden, das Konto in den Minusbereich rutscht. Und Gabriele Bärtels schildert diese Phasen wie folgt:

Ich kann mich auch nicht mit Freunden zu einer Tasse Kaffee verabreden. Es nagt an meinem Stolz, wenn ich ihnen jedes Mal offen oder durch die Blume sagen muss, dass sie die Rechnung übernehmen müssen. Es nagt noch mehr an meiner Würde, wenn ich sie am Monatsende händeringend bitten muss, mir zu helfen, die Miete aufzubringen. Eigentlich ist es nicht bitten, sondern betteln.

Es gibt sicher Personen, die mit solchen Frustrations- und Demütigungserlebnissen besser zurecht kommen; verständlich aber ist das Gefühl, das Gabriele Bärtels beschreibt allemal:

Mein Vermieter wohnt im Haus. Bin ich wieder im Rückstand, so schäme ich mich in Grund und Boden, wenn ich ihn auf der Treppe treffe, und vergesse, dass ich für meine Texte Preise gewonnen habe. Er wird mir nicht ansehen, dass mein Einkommen unter dem eines Hartz-IV-Empfängers liegt. Ich lege Wert auf ein gepflegtes Äußeres und kann bei Interviewpartnern schlecht ohne vernünftigen Haarschnitt auftauchen. Deswegen spare ich lieber an etwas, das man von außen nicht sieht, wie zum Beispiel Essen…

Plagiate und Texteklau sind zwar verboten, aber wie kommt man zu seinem Recht, wenn man einen Rechtsstreit nicht riskieren kann?

Und auf eine besonders perfide Randerscheinung des ungesicherten journalistischen Gewerbes weist Gabriele Bärtels ebenfalls hin: nämlich die Übernahme eigener Texte auf fremden Seiten. Natürlich ist das nicht erlaubt, schließlich hat jeder Autor die Rechte an seinem eigenen Text, solange er die Nutzungsrechte nicht explizit anderen einräumt. Aber, man müßte ja erstmal in der Lage sein, sein Recht auch durchzusetzen:

Beinahe täglich entdecke ich Texte von mir im Internet, die sich jemand stillschweigend heruntergeladen hat, um seine Homepage damit zu schmücken. Die Rechtslage ist so, dass ich für solchen Diebstahl Honorar fordern könnte. Doch wer sich keinen Rechtsanwalt leisten kann, um seine Forderungen einzutreiben, der fängt besser nicht damit an. Das Einzige, was ich mir einhandele, sind pampige Antworten wildfremder Leute, die meinen, geistiges Eigentum sei so frei wie Luft und Sonne. Die meisten dieser Menschen sind angestellt und nehmen ihr monatliches Festgehalt für selbstverständlich.

 

Wie oben erwähnt: der Artikel ist auch in voller Länge sehr lesenswert und die Situation, die Gabriele Bärtels beschreibt, trifft in ähnlicher Art bspw. auch auf Wissenschaftler zu. Und ich weiß, wovon ich rede. ;-(

 


Zum selben Themenkreis:

  • Schäfer, Claus: Effektiv gezahlte Niedriglöhne in Deutschland, WSI Mitteilungen 7/2003 [Download als PDF]
  • Shipler, David K. (2005): The Working Poor. B&T Verlag.
  • Barbara Ehrenreich (2001): Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft, Kunstmann Verlag.
  1. So hieß der langjährige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit bis 2002. []

1 Gedanke zu „„Working poor“ » Die prekären Lebensverhältnisse freischaffender Wissenschaftler, Künstler und Journalisten | Werkstattnotiz XXVII“

  1. Oh, ich könnte das gar nicht ohne feste Stelle, das würde mich wahnsinnig machen. Natürlich vorausgesetzt, man bekommt eine feste Stelle…
    Aber auch als Festangestellter an der Uni mit einer halben Stelle verdient man erstaunlich wenig! Ich komme zwar ganz gut über die Runden, da ich keine teuren Hobbies oder Spezialausgaben habe, aber wenn beim Klassentreffen mein ehemaliger Schulkamerad mit einem Audi TT Cabrio ankommt, dann ist das schon ein Augenöffner.

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