Die Blogosphäre ist ja immer auch so etwas wie ein Seismograph: ein fein justierter Apparat, der Befindlichkeiten, Stimmungen und Diskussionen aufzeichnet. Und alle sitzen gebannt vor ihren Bildschirmen und kucken gespannt, wann die Nadel wieder mal richtig ausschlägt.
Die Zeigerausschläge werden freilich je unterschiedlich bewertet; und für den einen ist ein kleines Zucken der Nadel schon ein bejubelnswertes Ereignis, während für den anderen mindestens das ganze Gerät scheppern muß. Und alle warten natürlich darauf, daß sich das nächste große Ding, der nächste Hype, das nächste Megathema ankündigt. Denn dann muß man zu den ersten gehören… das ist ja Ehrensache, sozusagen.
Wollen sie wissen, was das nächste Megathema ist? Soll ich ausplaudern, was ich dem Seismographen abgelauscht habe? Hmmm…? Ich bin unschlüssig… vermutlich spare ich es mir auf, um dann mit großem Getöse darauf hinzuweisen. Oder vielleicht ja auch nicht? Vielleicht streue ich es heimlich, still und leise…?
Was demnächst ganz sicher ansteht und ich verraten darf? Gut, ich will mich dann nicht länger zieren: einerseits beginnt am Wochenende das Oktoberfest und ich werde dann wieder mit dem Rad einen Slalomparcours zwischen dem betrunkenen Volk fahren dürfen; andererseits findet am Freitag und Samstag der Workshop „Das neue Netz?“ in Bamberg statt, zu dem ich morgen aufbrechen werde. Mein Vortrag für Samstag steht zu 98% und ich bin sehr gespannt auf die sich ergebenden Diskussionen…
Nun aber zur Sache, zu den Querverweisen:
»1.Mir braucht man wirklich wenig zu erzählen, wenn es um selektive Wahrnehmungsprozesse und dergleichen geht. Die Uniseminare zur Wahrnehmungspsychologie und den spannenden Effekten liegen zwar schon Jahre zurück, dennoch ist mir da noch manches erinnerlich. Aber obwohl mir klar ist, daß der persönliche Bias entscheidet, kommt es mir in den letzten Tagen so vor, als sei ein Thema aktueller und brisanter als zuvor: es geht um die Frage, was Wissen und Wissenschaft in Blogs, oder noch umfassender: im Web 2.0 zu suchen hat. Und das kommt mir doch nicht nur so vor, weil ich momentan selbst zu dem Thema arbeite? Egal: nun einige Verweise und der erste bezieht sich auf die Diskussion um bloggende Professoren, die Robert Basic vom Zaun gebrochen hat.
Kennt jemand Hochschullehrer, die einen eigenen Blog betreiben? Es ist dringend ein wissenschaftliches Blog-Portal erforderlich…
Kennt jemand Hochschullehrer, die einen eigenen Blog betreiben? Nun ja, ich habe selbst in den Kommentaren bei Robert eifrig mitgemischt und klar ist in meinen Augen auch: es gibt hunderte Professoren, die statische Webseiten pflegen (mal mehr, mal weniger) und auch auf diesen gibt es wissenswerte Informationen zu finden. Aber, dennoch ist wahr: man findet derzeit nur ca. 25-30 Professoren-Blogs. Ein Trauerzeugnis? Vielleicht! Entscheidend dabei ist freilich immer, mit welchen Inhalten die Blogs gefüllt sind. Wenn nur das letzte Buch beworben wird, dann will ich das nicht lesen. Auch Blogs von Profs, die Medienökonomie oder Informatik lehren, reißen mich nicht vom Hocker. Ich setze das in diesen Disziplinen fast schon voraus.
Ich bin der Meinung, daß aber auch das wissenschaftliche „Fußvolk“ – also Doktoranden, wiss. Hilfskräfte, Assistenten – etwas zu sagen haben. Deshalb ist dringend ein Portal erforderlich, wo solche Blogs versammelt sind. Das war schon länger meine Idee – nun hat Markus (es gab kurze Mißverständnisse, ist aber erledigt) ein Wiki auf seiner Seite installiert, wo man ggf. seinen Blog eintragen kann. In einigen Tagen werde ich aber ggf. weitere Pläne präsentieren. Hängt auch damit zusammen, daß ich gerne etwa zwischen originären Wissenschaftsblogs1 und lediglich von Wissenschaftlern betriebenen Blogs2 unterscheiden würde.
Zur Diskussion:
- Basicthinking: Bloggende Professoren, 16.9.2007
- Und nochmal zum selben Thema: Basicthinking: Portal für Wissenschaftlerblogs, 17.9.2007
- Wiki bei Michael, um sich mit seinem Blog einzutragen: Akademikerblogs
»2. Weiter im Text und weiter zum Thema „Wissenschaft in der Blogosphäre“. Letzten Freitag schon kam eine Meldung über den Äther, die mich hat aufhorchen lassen. Aber nicht nur ich wurde hellhörig, auch andere [hier und hier] haben darauf verwiesen. Um was es geht?
Wie per Pressemitteilung publik wurde, beteiligt sich die „Hubert Burda Media“ an Scienceblogs, einer Tochter des amerikanischen Medienunternehmens „Seed Media Group“. Prominente Namen, Platzhirsche jeder auf seine Weise. Die FAZ weiß folgendes:
Scienceblogs ist eine Plattform für inzwischen 65 Blogger, die über Wissenschaftsthemen wie Klimawandel, Medizin oder Biologie schreiben, dabei aber vor allem Nicht-Wissenschaftler als Leser im Auge haben. Scienceblogs gilt als eine der größten Wissenschaftsgemeinschaften im Internet mit mehr als 1,7 Millionen Besuchen im Monat und gehört zu den meistgelesenen Blogs der Welt.
Start des Portals soll dem Vernehmen nach schon Anfang 2008 sein. Zielsetzung bei der Sache: dem Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit einen Raum geben. Sicher keine schlechte Motivation – das Verhältnis zwischen Experten und Laien ist allerdings, so darf ich den Verantwortlichen schonmal sagen, durchaus prekär. Aus der Technik- und Wissenschaftsforschung weiß man etwa aus den Auseinandersetzungen um Risikotechnologien, daß man sehr leicht viel Porzellan zerdeppern kann. Glaubwürdigkeit und Authentizität sind hier das A und O.
Dennoch ist das alles sehr lohnenswert und mehr als spannend. Schließlich stellt Marcel Reichart, der bei Burda für das Projekt verantwortlich zeichnet, die richtigen Punkte dar: Klimawandel, Bio- und Nanotechnologie, „Neuroforschung“3 – das sollen u.a. Schwerpunkte sein. Wenn das mal nicht lebhafte Diskussionen verspricht?
- FAZ: Burda steigt bei Seed Media ein, 13.9.2007
- Marcel Reichert (R&D-Chef bei Burda): Scienceblogs, 15.9.2007
»3. „Wissenschaft goes Public“ könnte man also sagen und tatsächlich sprießen allerorten Projekte aus dem Boden, deren Intention darauf hinausläuft: nämlich kräftig frischen Wind in den Elfenbeinturm zu pusten. Wenn am Ende auf beiden (!) Seiten mehr Verständnis entwickelt wurde und so etwas wie gegenseitiges Lernen angestoßen werden kann, soll es mir recht sein.
Ebenfalls in diesem Bereich tummelt sich neuerdings scivee.tv.4 Haben Sie sich schon länger gefragt, wieso es kein Forscher- bzw. Akademiker-Youtube gibt? Nein?
Um ehrlich zu sein: ich auch nicht. Ich gehöre aber damit eventuell der aussterbenden Spezies an, die nicht glaubt, daß Wissenschaft sich unbedingt dem Zeitgeist andienen müßte. Allerdings wer mag, der darf seine Forschungsergebnisse auch gerne in 8 Minuten in einem Videoschnipsel präsentieren. Das alles ist nun bei scivee.tv möglich. Bislang sind nur wenige Videos online, was daran liegen mag, daß nur Projekte sich darstellen dürfen, die ihre Ergebnisse in Open-Access-Journalen zugänglich machen.
Hier gilt abwarten und sehen, wie sich die Sache entwickelt. Peter Mühlbauer wußte bei telepolis folgendes:
Doch selbst wenn die Veröffentlichung herausragender Forschungsergebnisse ausbleibt, könnte SciVee die Qualität der akademischen Lehre beleben, indem es mehr und bessere Informationen zur Verfügung stellt, als sie üblicherweise beim „Vorsingen“ von Bewerbern auf eine Professorenstelle geboten werden. Und wer weiß: Vielleicht finden Berufungen in nicht so ferner Zukunft ja nicht nur nach der politischen Ausrichtung, den persönlichen Kontakten und der Publikationsliste statt, sondern auch nach den auf Video festgehaltenen didaktischen Qualitäten.
- Forscher-Videoportal: www.scivee.tv
- telepolis: Videoportal für Wissenschaftler, 22.8.2007
»4. So, bevor mir aber noch Leser abspringen, weil ich nur noch zum Thema „Wissenschaft 2.0“ blogge, hier noch was zur Abwechslung. Was habe ich eingangs erwähnt? Das Oktoberfest öffnet seine Pforten?
Dann abschließend etwas Nachhilfe in bayerischer Lebensart und Kultur – es eignet sich didaktisch ganz hervorragend das kleine Lehrgedicht von Hans-Jürgen Buchner, der unter seinem Namen „Haindling“ besser bekannt ist.
Bayern, des samma mir
Seid’s freindlich – jawoi!
Seid’s freindlich hob I gsagt – jawoi!
Seid’s freindlich hob I gsagt no amoi –jawoiMir kannst no a Weissbier bringa !
Bayern, des samma mir! Jawoi!
Bayern, des samma mir! Jawoi!Bayern, des samma mir!
Bayern jawoi des samma mir!
Bayern, des samma mir!
Mir samma mir des samma mir!
Bayern, des samma mir,
Bayern und des bayerische Bier!
Bayern und des Reinheitsgebot,
des is unser flüssiges Brot!
Schön, nicht? Und das beste: ich selbst bin gar kein Bayer. Nur zugewandert. Sowas gibt’s auch. Und der Reiz der Wiesn will sich mir auch nicht erschließen. Zu Haindlings nettem Song gibt es auch ein Video. Das ist, wie man merkt, nicht authentisch – aber auf andere Weise wären die unsäglichen Herrschaften der Band „Rammstein“ auch gar nicht zu ertragen. Ich plädiere für musikalische und sonstige Re-Education für die Rammsteinianer durch Hans-Jürgen Buchner!
- Studenten, Doktoranden, Profs etc., die hauptsächlich zu wissenschaftlichen Themen bloggen. [↩]
- Wenn der wiss. Assistent bspw. mehr über seine Kakteenzucht, als über sein Fach schreibt. [↩]
- Ich nehme an, er meint damit die Neurophysiologie/Hirnforschung. [↩]
- Dahinter stecken die National Science Foundation, die Public Library of Science (PLoS) und das San Diego Supercomputing Center. Alles ehrbare Adressen. [↩]
5 Gedanken zu „Querverweise » Fundstücke, Lesenswertes & Links – 15“
Ganz profan – abseits meiner Dankbarkeit für die Hinweise – der Link zu SciVee.tv funktioniert nicht, es fehlt das „http://“ im Quelltext.
Ich habe das Portal sofort in meiner Blogroll aufgenommen. ;)
Hallo Erik,
Danke für den Hinweis. Der Link ist korrigiert und kann nun direkt angeklickt werden.
Grüße, Marc
In „meinem“ Gebiet, der Game Studies, gibt es einige Forscher, die ihren Blog gern wenn nicht mit spielwissenschaftlichem, dann aber doch zumindest mit spielrelevantem Content füllen. http://www.jesperjuul.net/ludologist/ ist so einer, den ich gerne lese… Ansonsten sieht es wirklich mau aus. Unsere Institutsleiterin hatte zwischenzeitlich auch einen Podcast; aber der hatte nichts wissenschaftliches, sondern nur ihre eigene Wahlwerbung. Hieß „Schlaflos in Heidelberg“, bezeichnenderweise.
Ich muss sagen mich wundert es nicht, dass sich Naturwissenschaftler beim bloggen bedeckt halten. Den alten Platzhirschen fällt es schon schwer online ein Buch zu bestellen und die „Jungen“ haben keine Zeit, denn: Will man auch mal Platzhirsch sein ist es selbstverständlich täglich neben dem Forscheralltag (nicht selten abendlich) wild in die Tasten zu hauen um Artikel, Forschungsanträge, Forschungsberichte, Peer-Reviews und Abstracts noch bis zur Deadline durchzuboxen. Das mindert die Lust in der verbleibenden Freizeit am Computer zu verharren und zu texten.
Wagt man sich dennoch in die Blogsphären springen einem die verhassten Schlagwörter, welche auch „Herr Burda“ kennt, entgegen und man muss sich der Galle im Mundraum erwehren.
Da erkläre ich Dir, Marc, doch lieber persönlich wie man aus Gold wertloses weißes Pulver macht und warum ein Rausch nicht unerheblich zum Klimawandel beträgt. Die Frage ist nur: Wann??!?
@EmmJay: Danke dafür, daß sich wieder eine Wissenslücke gefüllt hat: „Game Studies“ waren mir bislang als eigenständige Disziplin kein Begriff…
@Oli: Ah, sehr schön von Ihnen zu hören. Und um auf Ihre geschätzten Anmerkungen einzugehen:
Ja, die Tatsache, daß die arrivierten Herrschaften („Platzhirsche“), die seit Jahren gemütlich auf ihren Lehrstühlen thronen, eher eine geringe Internet- und erst recht Blogaffinität aufweisen, trifft zweifelsohne zu. Wir haben erst die letzten Tage im Soziologenkreis debattiert, daß man Professoren genau in zwei Gruppen aufteilen kann: in diejenigen die Mails ausdrucken lassen und diejenigen, die ihr Mailprogramm selbst bedienen (können). [Das jedenfalls die These von Benedikt.]
Insofern eine Generationen- und Sozialisationsfrage, ganz klar.
Zweitens – die Zeitfrage. Ja, ebenso verständlich. Ich hatte an anderer Stelle (vgl. oben den Link zu Robert Basic) bereits selbst darauf verwiesen, daß die Zurückhaltung von Profs u.a. darauf zurückzuführen ist, daß schlicht andere Dinge (du nennst sie: Drittmittelanträge, Papers etc.) Priorität haben. Für’s bloggen bekommt man keinen akademischen Orden angesteckt. Es ist einfach kein Anreiz gegeben, es sei denn man begeistert sich aus freien Stücken (intrinsische Motivation).
Hmm…? Den Seitenhieb auf die Schlagwörter und „Herrn Burda“ verstehe ich nicht ganz. War er nicht lieb zu Euch Chemikern? ;-)
Und zur Frage, wie es sich mit moderner Alchemie verhält, könnte ich ja wohl in deiner Diss etwas nachlesen (wenn ich sie denn verstünde) – den Zusammenhang von Rausch und Klimawandel finde ich spontan verlockender. Selbst wirst Du ja keinen Blog aufmachen, oder? Dann mal treff tratschen ‚in echt‘? Von mir aus gerne… :-)