Zugegeben: Vom Ausgang der hessischen Landtagswahl hängt weder der Weltfrieden, noch mein persönliches Wohlergehen ab. Ich habe die letzten Jahre der Regentschaft des unsäglichen Roland Koch überstanden und falls der CDU-Hardliner nochmal ans Ruder kommt, dann werde ich diese mißliche Tatsache in bewährter Politikmanier bewältigen: nämlich "aussitzen" und mich freuen, daß hier in Bayerns Landeshauptstadt mit Christian Ude ein sympathisch-liberaler Schnauzbart das Sagen hat.
Holt der Routinier Roland Koch auf der Zielgerade doch noch auf? Oder erkennen die hessischen Wähler endlich, daß man einen populistischen Vereinfacher nicht wählen sollte?
Allerdings werde ich am kommenden Sonntag das Wahlergebnis mit Hochspannung erwarten und mich darüber amüsieren, daß in der Wahlberichterstattung alle 15 Minuten darauf verwiesen wird, daß man live aus dem Foyer des hessischen Landtags in Wiesbaden (!) sende.
Das hindert freilich die Zuseher in keinster Weise daran, daß man weiterhin dem Irrglauben anhängt, Frankfurt sei Landeshauptstadt. Egal: wichtig ist, was hinten rauskommt und zu meiner Überraschung hat die SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti gute Chancen um dem Koch gehörig die Suppe zu versalzen. ;-)
Der prototypische Polit-Unsympath sieht ja – immerhin erkennt er seine mißliche Situation und die schwindende Wählergunst – seit einigen Wochen bereits seine Felle davonschwimmen, weswegen er einigermaßen panisch nach dem Strohhalm "Jugendkriminalität" griff. Wer Koch kennt, kann kaum verwundert gewesen sein, daß dieser das Thema bar jeder Sachkenntnis und unbefleckt von moralischen Skrupeln1 für seine Zwecke instrumentalisierte.
Und nachdem seine Warnrufe vor den randalierenden Inländerfeinden nicht den gewünschten Erfolg zeigen, setzt der rasende Roland nun auf altbekannte Lagerwahlkampfparolen: "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen!" So lautet ja sein neuester Slogan.
Doch immer wenn dazu aufgerufen wird, eine bestimmte Person oder politische Gegner zu "stoppen", dann beschleicht mich ein ungutes Gefühl – die BILD glaubte einst ja auch, ihre Leser auffordern zu müssen, Rudi Dutschke zu stoppen. "Stoppt Dutschke jetzt", hieß es und einer tat es dann auch…
Analyse des Fernsehduells Koch vs. Ypsilanti
Damit aber genug Plakat- und Sloganschelte betrieben. Denn gestern abend gab es nun ein TV-Duell zwischen Roland Koch und Andrea Ypsilanti. Da ich selbst beim Münchner Bloggertreffen2 war, konnte ich die Debatte nicht ansehen. Dafür liefert der Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber hier eine ausführliche Zusammenfassung.
Er protokolliert v.a. die technischen Abläufe des Duells, die Fragetechnik der Moderatoren und die Reaktionen von Koch und Ypsilanti. Außerdem analysiert er mögliche kommunikative Strategien der Kandidaten.
"In die Verteidungsversuche von Andrea Ypsilanti wirft Koch ein ebenso knappes wie gönnerhaftes „Ganz ruhig, Frau Ypsilanti“ ein. Dabei ging erstmalig ein vernehmbares Raunen durch die Gruppe der Beobachter, man darf gespannt sein, ob sich hierzu eine Entsprechung in der Breitenwahrnehmung beobachten lässt."
Außerdem beschreibt Bieber – der live vor Ort war – wie sich die Situation im Studio darstellte. Und er weist auf die Versuche der Kandidaten hin, die "post-debate debate" für sich zu bestimmen. Koch stürzte sich offenbar gleich nach Ende der Sendung auf die Journalistenmeute, um seine Interpretation des Debattenverlaufs in die Mikrofone zu nuscheln. Es geht schlicht darum, sich als Sieger darzustellen…
Jan Schmidt hat die Medienberichte quergelesen und stellt fest, daß bei den professionellen Beobachtern kein Konsens zu finden ist:
Interessant aber auch die unterschiedlichen journalistischen Einschätzungen: SpON sieht keinen der beiden als klaren Sieger, doch “wie so oft spielte Koch nicht den Landesvater, sondern den Raubauz”. Focus Online spricht dagegen von einem Punktsieg für einen friedlichen Koch: “Besonders Koch, der normalerweise einen aggressiven Debattenstil pflegt, hielt sich im Ton auffällig zurück und gab sich staatsmännisch.”
Und auf ntv.de heißt es: “Es war aber Ypsilanti, die nach dem 90-minütigen Streifzug durch die Landespolitik den Eindruck größerer Angriffslust hinterließ.”
Es bleibt also spannend. Zu hoffen ist, daß nicht noch weitere Heckenschützen à la Clement3 auftauchen…
Link:
- Bieber, Christoph: Koch vs. Ypsilanti – Debatte in acht Runden, in: Internet und Politik (Blog), 20.1.2008
- Hier steht er dem Münchner OB-Kandidaten der CSU – Josef Schmid – in keiner Weise nach. Dieser schreckte nicht einmal davor zurück, ein unsägliches Fahndungs-Photo-Plakat mit infamen Slogans plakatieren zu lassen. [↩]
- Das wieder einmal ausgesprochen nett und unterhaltsam war. Herzlichen Dank an Klaus Eck, der organisatorisch die Regie führte. [↩]
- Der ehemalige Wirtschaftsminister hatte indirekt vor einer Wahl seiner Parteifreundin Ypsilanti "gewarnt"… [↩]
3 Gedanken zu „Debattenanalyse » Das Kandidatenduell zur hessischen Landtagswahl unter der Lupe | Werkstattnotiz LVIII“
Zitat: Ich habe die letzten Jahre der Regentschaft des unsäglichen Roland Koch überstanden
Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob der Bezug auf „Wissenschaft“ in diesem Blog nicht einfach nur vorgeschoben ist, um eine simple, emotionale politische Meinung als seriös erscheinen zu lassen.
Eine Analyse sieht jedenfalls anders aus. Auf den „Werturteilsstreit“, der vor Jahrzehnten geführt wurde, möchte ich nicht näher eingehen, da mittlerweile gesichert ist, dass ein Werturteil wie im Zitat, bzw. eine Emotion, eine schlüssige Argumentationskette aufbaut, geschweige denn Beweiskraft entfaltet.
Vielleicht sollte der Autor weniger auf die Form, als auf den Inhalt achten.
Zitat: in keinster Weise
Sorry, lieber Scheloske, aber jetzt klinke ich mich wirklich aus.
@dorfkramer:
Ach, lieber Stefan Engelsberger, der Terminus „Debattenanalyse“ in der Überschrift sollte gar nicht meine eigenen Anmerkungen bezeichnen, sondern war ausschließlich auf den verlinkten Artikel von Prof. Dr. Christoph Bieber gemünzt.
Die Tatsache, daß ich in meinen ersten 4-5 Absätzen in keiner (!) Weise eine sachliche Darstellung vornehme, sondern es sich um stark persönlich gefärbte Werturteile handelt, haben Sie mit unbestechlichem Blick erkannt. Ich behaupte aber, daß meine sonstigen Leser auch nach spätestens 2-3 Sätzen registriert haben, daß es sich hier um einen „Meinungsartikel“ bzw. – Vorspann handelt.
Und wie schreibe ich noch gleich nach den ersten einleitenden Passagen? Genau:
Es war mir also offenbar bewußt, daß ich hier keinesfalls wissenschaftlich argumentiere. ;-)
Mit Bedauern, daß ich Ihren hohen Ansprüchen nicht Genüge und mit dem Zugeständnis, daß Sie mich bei einer sprachlichen Schlamperei ertappt haben, schicke ich dennoch Grüße in die Nachbarschaft.