Jahresrückblicke gehören mittlerweile zum Kerngeschäft der etablierten Medien. Im Fernsehen moderieren sich wahlweise Jauch, Kerner, Pilawa oder Christiansen durch ein paar Fundstücke, Promi-Nachrichten und sentimentalen Quatsch. Und jedes Magazin, das etwas auf sich hält, stattet seine Leser zum Jahresende mit einer Hochglanzsondernummer aus.
Einen etwas anderen Zugang wählte nun das TIME-Magazin für eine Rückschau auf das Jahr 2007. Die bemerkenswertesten Ereignisse sind in 50 (!) Top-Ten-Listen zusammengefaßt. In diesen fünfzig Top-Listen sind erinnerungswürdige Nachrichtenthemen genauso versammelt, wie wissenschaftliche Ereignisse oder solche aus Sport und Popkultur.
Einige der Top-10-Listen werde ich in den nächsten Tagen in der Wissenswerkstatt einstellen und kommentieren. Es wird dabei deutlich, daß die Mediendiskurse und damit das öffentliche Bewußtsein darüber, was relevant und wichtig ist, noch immer stark national fokussiert sind. Denn manche der Themen, die das TIME-Magazine für erinnerungswürdig erachtet, hatten – jedenfalls nach meiner Wahrnehmung – in Deutschland kaum oder gar keine Rolle gespielt. Aber der Reihe nach – es beginnt mit den wichtigsten Zitaten, die ich jeweils kommentiert habe.
Die wichtigsten Zitate des Jahres 2007 waren –
+1. »I really am not the kind of guy that sits here and says, "Oh gosh, I’m worried about my legacy."«
So antwortete George W. Bush am 14. Januar 2007 in einem CBS-Interview auf eine Frage nach seiner sinkenden Popularität und der wachsenden Kritik am Irakkrieg.
Bislang war ich ja davon ausgegangen, daß der künftige Ex-Präsident der USA – ganz wie es sich für einen alten Cowboy gehört – vermutlich John Wayne als Vorbild nennen würde. Aber ganz offensichtlich sind seine politischen Maximen eher von Konrad Adenauer inspiriert, der ja bekanntlich zu Protokoll gab: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?"
Ich persönlich präferiere demgegenüber ja Politiker, die wenigstens ein Stück weit erkennen lassen, daß sie für Folgen ihrer Entscheidungen geradestehen und ihnen letztlich doch daran gelegen ist, ihren Nachfolgern im Amt kein allzu großes Schlamassel zu hinterlassen.
+2. »In Iran, we don’t have homosexuals, like in your country.«
So die vielsagende Antwort von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, als er am 24. September bei einem Besuch der Columbia University in New York gefragt wurde, wie Schwule und Lesben im Iran behandelt würden. Natürlich traurig, daß per Präsidentendekret sogar solche intimen Lebensvollzüge für illegitim bzw. richtiger: für nicht existent erklärt werden.
+3. »This record is not tainted at all. At all. Period.«
So sicher und zuversichtlich äußerte sich der Baseball-Star Barry Bonds, als er am 7. August mit seinem 756. Homerun einen neuen Rekord für die Major League aufstellte. Das Großmaul Bonds übertraf damit zwar den 31 Jahre alten Rekord von Hank Aaron, wurde aber im November im Zusammenhang mit langjährigen Dopingermittlungen wegen Meineids und Behinderung der Justiz angeklagt. Es war seit langem spekuliert worden, daß Bonds sich mit Wachstumshormonen und Testosteron dopt.
Es spricht vieles dafür, daß der Spieler der San Francisco Giants bald endgülitg als Lügner und Dopingbetrüger entlarvt wird. Ich für meinen Teil sähe einen Rekord durch diese Randbedingungen tatsächlich "beschmutzt" – wenn man freilich den Standpunkt vertritt, es würden ohnehin alle zu unerlaubten Mitteln greifen, dann wäre das allerdings auch wieder egal. Tja, man zeige mir eine Sportart, in der Doping kein Problem darstellt…
+4. »If you didn’t like Darfur, you’re going to hate Baghdad.«
Mit diesen Worten warnte General David H. Petraeus am 14. August 2007 vor einem vorzeitigen Truppenrückzug aus dem Irak. Petraeus, der bereits Stabs-Chef der SFOR-Kontingente in Bosnien-Herzegowina war, ist Kommandeur der "multinationalen Streitkräfte im Irak". Nachdem die Situation weiterhin so nachhaltig instabil ist, ist diese Einschätzung wohl leider zutreffend.
+5. »This is it. This is where it all ends. End of the road. What a life it was. Some life.«
Das waren die letzten des Amokläufers Cho Seung-Hui, der am 16. April 2007 an der Virginia Tech in Blacksburg 32 Menschen erschoß und weitere 29 Personen verletzte.
+6. »I don’t think they’re piling on because I’m a woman. I think they’re piling on because I’m winning.«
So optimistisch gab sich Hillary Rodham Clinton am 2. November 2007. Aktuell ist das Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur zwischen ihr und Barack Obama ja wieder offen. Wenngleich ich doch der Ansicht bin, daß sie – sollte sie am Ende die Nase vorn haben – ihren Erfolg letztlich doch einem Frauenbonus zu verdanken hat.1
+7. »The planet is in distress and all of the attention is on Paris Hilton. We have to ask ourselves what is going on here?«
Das sagte ein wütender Al Gore in einem Interview mit der britischen "Sun" am 18. Juni 2007. Und er hat verdammt Recht damit.
+8. »I spent the better part of the past three months enduring criticism that is normally leveled at some kind of genocidal tyrant.«
Das die Reaktion des konservativen Medienunternehmers Rupert Murdoch2 auf die Kritik an der Übernahme des Wall Street Journals.
Als publik wurde, daß Murdochs News Corp. mit den Eigentümern des Dow-Jones-Verlages Verhandlungen führt, wurde heftige Empörung laut. Am 28. Juni 2007 erschienen fast 1/4 der Redakteure des Wall Street Journals aus Protest nicht zur Arbeit. Genutzt hat es nichts: am 1. August wurde beschlossen, daß der Verlag zu einem Kaufpreis von 5 Milliarden Dollar von nun an zum Medienimperium Murdochs gehört.
+9. »Hello, Condoleezza Rice? You have me to deal with now.«
So scherzte am 15. Juli 2007 ein maskierter Hamas-Kämpfer am Telefon des Palästinenserpräsidenten Abbas, nachdem die Kämpfer die Regierungsgebäude der Autonomiebehörde besetzt hatten.3
Deren Präsident Mahmud Abbas hatte im April Gespräche über die Zukunft Palästinas mit Israels Premier Ehud Olmert aufgenommen. Daraufhin lieferten sich Anhänger von Hamas und Fatah im Gazastreifen blutige Gefechte. Nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen löste Abbas am 14.7. die Regierung auf und rief den Notstand aus.
+10. »Why don’t you just shut up?«
Diese – nicht unbedingt der königlichen Würde entsprechende – Empfehlung richtete König Juan Carlos von Spanien an die Adresse des venezuelanischen Präsidenten Hugo Chávez. Hintergrund: Chávez hatte zuvor bei einem Gipfelgespräch in Chile den früheren spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar als Faschisten bezeichnet.4
Und? Welches Zitat ist am bemerkenswertesten? Welche Rückschlüsse auf die Seelenlage der USA erlaubt diese Auswahl? Welches Licht wirft die Zusammenstellung der Liste auf das Jahr 2007? Was lehren uns die Zitate über uns selbst?
Empfehlungen für Listenliebhaber:
- Schott, Ben (2008): Schotts Sammelsurium 2008. Bloomsbury.
- Ankowitwsch, Christian (2006): Dr. Ankowitschs Kleines Konversations-Lexikon. Goldmann.
- Wallechinsky, David & Wallace, Amy (2006): Das große Buch der Listen. Wissenswertes, Kurioses und Überflüssiges. Ullstein.
- Schott, Ben (2005): Schotts Sammelsurium Essen & Trinken. Bloomsbury.
- Gut, man könnte auch sagen, daß Obama in manchen Wählermilieus aufgrund seiner Hautfarbe einen Sympathiebonus habe, dieser Effekt dürfte aber durch Vorbehalte in anderen Wählergruppen wieder ausgeglichen werden… [↩]
- Die lautklangliche Nähe des Names Murdochs zu "Mordor", aus Tolkiens "Herr der Ringe" ist sicher rein zufällig. ;-) [↩]
- Das Photo stammt von Suhaib Salem/Reuters [↩]
- Zwar ist der Faschismus-Vorwurf sicher heftig, allerdings muß der Vollständigkeit halber gesagt werden, daß Aznar in den 70er Jahren innerhalb einer Studentenverbindungen aktiv war, die neo-faschistisches Gedankengut propagierte. Das war aber vermutlich zu Franco-Zeiten nicht so außergewöhnlich… [↩]
2 Gedanken zu „Prägende Sätze » Die wichtigsten Statements | Ranglisten des Jahres 2007 – I“
Hm, du hast Recht wenn du sagst, dass das sehr US-zentriert ist. Aber die politischen Zitate sind überwiegend international orientiert.
Und bis auf das Baseball-Zitat (ja, auch ich glaube, es gibt keine Sportart ohne Dopingprobleme) würde ich alles auch für erwähnenswert halten. Obwohl, das könnte man auch international verwenden, denn es IST ein internationales Problem.
Bin schon gespannt auf die weiteren Folgen :-)