Warten in Absurdistan » Vor 55 Jahren wurde Samuel Becketts »Warten auf Godot« uraufgeführt | Werkstattnotiz LIII

Wohl kein anderer Titel eines Theaterstück ist so sprichwörtlich geworden wie derjenige des Jahrhundertstücks »Warten auf Godot«. Heute vor 55 Jahren fand in Paris die Uraufführung von Samuel Becketts Tragikomödie statt und begründete sowohl den Weltruhm ihres Autors als auch den Durchbruch des »absurden Theaters«.

Wer Becketts Stück noch nie gesehen hat – so könnte man böse formulieren – hat nichts verpaßt. Denn es passiert: (fast) nichts. Aber wer wollte das einem Stück vorwerfen, das in seinem Titel durchaus nichts verheimlicht. Denn »Warten auf Godot« kreist genau um dieses eine Thema, nämlich das Warten. Daß dieses Warten der beiden Landstreicher Wladimir und Estragon – die im Niemandsland an einer Landstraße miteinander reden, debattieren und streiten – nicht von Erfolg gekrönt sein wird, ist im Grunde von Anfang an klar.

Existentialismus der Bühne: Die Sinnlosigkeit des Daseins 

Wovon handelt »Warten auf Godot«? Von Godot? Vom Warten? Handelt es nicht im wesentlichen von der Abwesenheit aller Hoffnung?

Denn das Stück handelt ja eben nicht von Godot, von dem letztlich nicht einmal klar ist, ob es ihn überhaupt gibt, sondern es erzählt von seiner Abwesenheit. Oder, so könnte man noch grundsätzlicher feststellen: "Warten auf Godot« erzählt von der Abwesenheit allen Sinns und aller Hoffnung. Die Sinnlosigkeit des Daseins, das ist – ganz dem existentialistisch-avantgardistischen Zeitgeist der Pariser Intellektuellen entsprechend – das unausgesprochene Hauptthema des Stücks. Denn da finden sich zwei Landstreicher neben einem Baum wieder und an ihrer trostlosen Situation ändern auch der vorbeikommende Pozzo, der seinen Diener Lucky herumkommandiert, nichts.

Warten_auf_Godot_01.jpgZweifel, ob ihr Handeln – das ja eben im Warten besteht – Sinn hat, begleitet Wladimir und Estragon das ganze Stück, dessen belanglos-surrealen Dialoge die grenzenlose Absurdität der Situation illustrieren und das Premierenpublikum irritiert zurückließ.

Fünf Jahre hatte es gedauert, daß Becketts bekanntestes Drama aufgeführt wurde. 1948 hatte er es geschrieben, aber erst der junge Regisseur Roger Blin inszenierte es am 5. Januar 19531 im kleinen Pariser »Théâtre de Babylone«.2 Verstanden habe er es zwar nicht – so gab der Regisseur Blin später zu Protokoll – aber es sei ihm sympathisch gewesen. 

Wer ist Godot?

Aber wer ist bzw. wer könnte dieser Godot möglicherweise sein? Samuel Beckett hat zeitlebens eine Antwort verweigert. Spekuliert wurde freilich, ob bei der Namenswahl doch – was naheliegend wäre – das englische Wort "God" (ergänzt durch die Endung des französischen Diminutivs "-ot") Pate gestanden habe. Andere Vermutungen stellen eine Verbindung zur Figur des Godeau im Stück "Le Faiseur oder Mercadet« von Honoré de Balzac her. Aber auch hier blieb Beckett eine Antwort schuldig.

Für seinen Autor bedeutete die Uraufführung aber den endgültigen Durchbruch. Bereits wenige Monate später begann Fritz Kortner in Berlin mit seinen Arbeiten an »Warten auf Godot«. Becketts weitere Arbeiten (u.a. 1957: Endspiel, 1961: Glückliche Tage) wurden ebenfalls Welterfolge und 1969 wurde ihm der Literaturnobelpreis verliehen. Noch heute rangiert Beckett – der 1906 in Dublin geboren wurde – auf der Liste der meistgespielten französischen Autoren auf dem zweiten Platz.

Kriegswirren & Flucht, Popularität & Nobelpreis

Weshalb ein irischer Schriftsteller als französischer Autor geführt wird? Das mag zwar auf den ersten Blick irritierend sein, ist aber schnell erklärt. Samuel Beckett war seit Jugendtagen ein Liebhaber der französischen Sprache. Er studierte am Dubliner »Trinity College« ab 1923 Französisch und Italienisch, bereiste diese Länder auch mehrmals und ließ sich (nach einigen Umwegen und Reisen die ihn u.a. nach Deutschland führten) schließlich in Frankreich nieder.

Es mag auch eine Rolle gespielt haben, daß sein Vorbild James Joyce lange Zeit in Paris lebte. Ab 1937 hielt sich Beckett jedenfalls ständig in Paris auf, schloß sich Ende 1940 der Résistance an und floh, als seine Widerstandszelle der Gestapo verraten wurde, nach Südfrankreich. Im kleinen Dörfchen Roussillon, das durch seine Ockersteinbrüche bekannt ist, arbeitete er u.a. als Helfer bei der Weinernte.

Die deutsche Übersetzung verlegt die Handlung von Südfrankreich ins Breisgau. Nicht ohne Verluste…

Und dieses Roussillon ist auch der Ort, in dessen Nähe Beckett seine Protagonisten aufeinandertreffen läßt. In der deutschen Übersetzung wird das Städtchen Dürkweiler und der Breisgau genannt, im französischen Original sind dies aber Roussillon und der Lubéron.3 Und wenn Wladimir ausruft: "Aber dort ist alles rot", dann ist die Bezugnahme auf die Ockersteinbrüche offensichtlich, die in der deutschen Fassung unverständlich bleiben muß.

Solche Details freilich sind und waren unerheblich für den Welterfolg, der »Warten auf Godot« wurde. Beckett selbst hatte seinem Stück den Untertitel »Une tragi-comédie« gegeben und damit die Verschränktheit von Komik und Tragik betont, die in jedem einzelnen absurden Moment aufeinander bezogen sind. Diese Ambivalenz in der Perspektivlosigkeit – wenn Hoffen, Warten oder Handeln gleich viel und somit gleich wenig bedeuten – , die Beckett mit seinem Godot zum Ausdruck brachte, traf den Zeitgeist der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Ob sich an der grundlegenden Situation aber seither etwas geändert hat? Haben wir heute eine bessere Antwort auf Kants große Frage: "Was dürfen wir hoffen?"

 


 

Literaturempfehlungen:

Die grundlegende Biographie und die Erinnerungen:

Audio-CD:

Links:

 

  1. Es kursieren verschiedene Daten bzgl. der Uraufführung. Allerdings ist der 5.1.1953 in den meisten seriösen Quellen genannt. vgl. Kwasnik, Aleksandra und Dreyßig, Florian: Das Warten geht weiter. Immer nur weiter. Süddeutsche Zeitung, 12.4.2006 []
  2. Das Photo rechts stammt von dieser ersten Inszenierung. Es ist der Beckett-Website der Universität Antwerpen entnommen. []
  3. Genauso wird aus dem Bauern Bonnelly ein "Herr Guttmann". []

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