Insgesamt kann die Nanotechnologie mit ihrem Image zufrieden sein. Der Einsatz von Nanomaterialien in der Medizin oder die Entwicklung schmutzabweisender Oberflächen wird weithin akzeptiert und begrüßt.1 Die Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie2 gehen aber weit über diese Bereiche hinaus. Auch im Lebensmittelsektor erkennt man zunehmend die Potentiale der vielversprechenden Nanopartikel.
Die Gentechnologie gilt gemeinhin als riskant und "Genfood" will fast niemand auf dem Teller. Über die Risiken von Nanofood wissen wir aber deutlich weniger…
Genau hier, wenn es um Nahrungsmittel und Essen geht, sind die Verbraucher allerdings skeptisch. Und dies vollkommen zu Recht. Denn ähnlich wie beim umstrittenen Thema "Genfood" sind noch viele Fragen hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen unbeantwortet.
Und man muß zusätzlich feststellen, daß das Wissen um die Risikopotentiale gentechnologisch veränderter Lebensmittel deutlich umfangreicher ist, als die Risikoabschätzungen, die bislang im Zusammenhang mit "Nanofood" vorliegen.
Nanofood ist keine Zukunftsmusik
Die guten Akzeptanzwerte können u.U. auch damit zusammenhängen, daß oftmals noch gar nicht bekannt ist, daß synthetische Nanopartikel inzwischen auch in Lebensmitteln zu finden sind. Seit einigen Tagen liegt nun ein informativer Bericht von BUND und "Friends of Earth" vor. Dort wird u.a. aufgeschlüsselt in welchen Haushaltsartikeln und Nahrungsmitteln heute bereits Nanomaterialien zum Einsatz kommen. Das reicht von Nano-Silberpartikeln, die antibakteriell wirken sollen bis zu Nano-Siliziumdioxid (=Kieselsäure),3 das dafür sorgen soll, daß Pulver rieselfähig bleibt und nicht zusammenklumpt. Genauso soll es die Fließeigenschaften von Ketchup verbessern.
Ich selbst muß gestehen, daß es mir nicht bewußt war, daß so viele Produkte bereits mit Nanozusatzstoffen "aufgepeppt" sind. Allerhand Nahrungsergänzungsmittel werben sogar mit dem positiv konnotierten "Nano" und preisen die höhere "Bioverfügbarkeit" dieser Stoffe an. Bei anderen – vornehmlich Verpackungen, Plastiktüten etc. – stehen die positiven Eigenschaften hinsichtlich der antimikrobiellen Wirkung im Vordergrund.
Immer mehr Lebensmittel sind durch Nanopartikel "aufgepeppt". Eine Überprüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit fand bislang aber kaum statt.
Klar ist bislang nur, daß etwa die Toxizität von bestimmten Stoffen, wenn sie eine bestimmte Partikelgröße unterschreiten, noch kaum untersucht ist. Das war und ist bislang schlicht nicht vorgesehen – in den einschlägigen Gesetzestexten für Lebensmittelzusatzstoffe ist von Partikelgrößen nirgendwo zu lesen. Man weiß allerdings, daß die Teilchen aufgrund ihrer geringen Größe über Lunge, Magen-Darm-Trakt oder Haut vom Körper aufgenommen werden können.
Offene Fragen und dringender Forschungsbedarf
Manche Tier- und Laborstudien4 lassen zumindest daran zweifeln, ob etwa Titandioxid oder Silber5 in Nanogröße tatsächlich vollkommen unbedenklich sind. Die Forschung in diesem Bereich steht noch am Anfang – das Umweltbundesamt, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und das Bundesinstitut für Risikobewertung haben im Dezember eine sog. "Forschungsstrategie" zu den Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterialien publiziert. Dort heißt es etwa auf S. 7 unmißverständlich:
"Da die Exposition von Mensch und Umwelt, die toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften und Risiken noch nicht beurteilt werden können, wird allgemein die Notwendigkeit gesehen, weitere Untersuchungen durchzuführen und durch Forschungs- und Bewertungsaktivitäten die Wissenslücken zu schließen."
Bis die ersten verläßlichen Ergebnisse und Risikoabschätzungen vorliegen, werden sicher noch 2-3 Jahre vergehen.6 Bis dahin gibt es sicher keinen Grund zur Beunruhigung, aber auf Lebensmittel oder auch Kosmetika mit dem fragwürdigen "nano"-Zusatznutzen kann man vorerst getrost verzichten.
Dokumente [es ist jeweils ein PDF-Dokument verlinkt]:
- Friends of the Earth und BUND (2008): "Aus dem Labor auf den Teller: Die Nutzung der Nanotechnologie im Lebensmittelsektor"
- UBA, BfR, BAuA (2007): "Forschungsstrategie Nanotechnologie: Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterialien"
- Öko-Institut (2007): Chancen der Nanotechnologie nutzen! Risiken rechtzeitig erkennen und vermeiden!
- BMBF (2006): Nanotechnologie – Innovationen für die Welt von morgen, 3. Auflage.
Link:
- Boeing, Nils: Lecker nano?, Technology Review Blog, 12.3.2008
Literaturempfehlungen:
- Paschen, Herbet & Coenen, Christopher (2008): Nanotechnologie in Forschung, Entwicklung, Anwendung. Stand und Perspektiven. Springer, Berlin.
- Shelley, Toby (2007): Nanotechnologie. Neue Möglichkeiten – Neue Gefahren. Parthas-Verlag.
- Gazsó, André / Greßler, Sabine / Schiemer, Fritz (2007): nano. Chancen und Risiken aktueller Technologien. Springer, Wien.
- Erst im Dezember hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Ergebnisse einer Befragung präsentiert, wonach 2/3 aller Bundesbürger der Nanotechnologie positiv gegenüberstehen. [↩]
- Die Nanotechnologie befaßt sich mit Strukturen und molekularen Materialien, die kleiner als 100nm sind. 1 Nanometer ist 1 millionstel Millimeter, oder: 0,000 001 mm. [↩]
- Welches als Lebensmittelzusatz E551 zugelassen ist. [↩]
- U.a. hatte die Toxikologin Bellina Veronesi mehrmals nachgewiesen, daß Titandioxidpartikel (zumindest im Reaganzglas) Mäuse- oder Rattenhirnzellen schädigen können. vgl. Thomas C. Long, Bellina Veronesi et. al.: Nanosize Titanium Dioxide Stimulates Reactive Oxygen Species in Brain Microglia and Damages Neurons in Vitro, Environmental Health Perspectives Volume 115, Number 11, November 2007 [↩]
- Beides dient als antimikrobieller Zusatz in Verpackungen oder findet – wie Titandioxid – etwa in Sonnencremes Anwendung. [↩]
- Wenn man einige Euro mehr zur Abklärung eventueller Risiken ausgeben würde, könnte man für manche Zusatzstoffe möglicherweise auch schon früher "Entwarnung" geben. Aber gegen die rund 800 Millionen Euro, mit denen die Nanotechnologie in Europa jährlich gefördert wird, sind die Ausgaben zur Beforschung der Gesundheitsrisiken marginal. [↩]
5 Gedanken zu „Risiko Nanofood? » Die Nanotechnologie hat die Lebensmittelbranche erreicht | Werkstattnotiz LXXIII“
Das Unwissen führt wohl tatsächlich dazu, dass die Nanotechnologie momentan noch einen so guten Ruf hat. Auf meinem Blog[1] bin ich darauf auch schon eingegangen und es gibt dazu auch einen sehr lesenswerten Artikel in der Onlineausgabe der Sueddeutschen[2]…
Insgesamt also eine eigentlich alarmierende Situation, da ohne ein Bewusstsein von Gefahr wohl auch keine Aufklärung folgt. Ein Teufelskreis…
[1] http://holonblog.geheimorden.de/index.php/2008/02/21/unwissenheit-und-vertrauen/
[2] http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/141/158713/
@Marcus:
Dein Artikel fokussiert tatsächlich auf einen wichtigen Punkt. Nämlich die Tatsache, daß – grundsätzlich formuliert – Risikoverhalten nur wenig mit „deklarativem“ oder Faktenwissen zu tun hat.
Oder konkreter auf den Fall Nanotechnologie bezogen: der Umstand, daß in der Bevölkerung relativ wenig Wissen darüber vorhanden ist, was sich tatsächlich hinter diesem Schlagwort verbirgt, sagt zunächst nichts darüber aus, ob diese Technologie abgelehnt oder begrüßt wird.
Das ist (wie ich es hier schon mehrfach angesprochen habe) der große Irrtum vieler Naturwissenschaftler und Ingenieure, sowie des einstmals groß aufgelegten Programms „public understanding of science“ – dort wurde unterstellt, daß mehr Wissen=mehr Akzeptanz bedeutet.
Und wie man im verlinkten Artikel der SZ nachlesen kann, ist dem eben nicht so…