Daß Wissenschaft kommuniziert, daß über Wissenschaft kommuniziert wird, ist offensichtlich. Aber wird sie auch verstanden? Es spricht viel dafür, daß Blogs eine Möglichkeit darstellen, die (Verständnis-)Barrieren zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu durchbrechen. Und es zeigt sich, daß Wissenschaftskommunikation viel zu lange als Einbahnstraße gedacht wurde.
Wissenschaftliche Blogs bieten nun die Möglichkeit die alten Zöpfe und Routinen der traditionellen Wissenschaftsvermittlung abzuschneiden. Seit den 60er Jahren mühte man sich, den Bürgern die spannenden Themen von Wissenschaft und Technik nahezubringen. Dies freilich nicht ohne Hintergedanken – denn ein Hauptmotiv für die Anstregungen in Sachen Wissenschaftskommunikation war und ist die Herstellung von gesellschaftlicher Akzeptanz.
Wissenschaftskommunikation wurde lange Zeit als „Volksbelehrungsinstrument“ gedacht. Mit dem Web 2.0 hat der einseitige Monolog ausgedient. Wissenschaftliche Blogs haben den Mut einen echten Dialog zu führen und funktionieren bi-direktional.
Wirtschafts- und bildungspolitische Interessen sind hier untrennbar verknüpft: die Feststellung, daß potentielle Verbraucher und Konsumenten gerade den innovativen Produkten skeptisch gegenüberstehen, ist natürlich frustrierend, wenn man viel Geld und Entwicklungsarbeit in das jeweilige Produkt investiert hat.
Und so setzte man die Hoffnungen u.a. darauf, daß eine effiziente Wissenschaftskommunikation erstens den Kenntnisstand innerhalb der Bevölkerung erhöht und zweitens die (irrationalen?) Berührungsängste schrittweise abgebaut werden.
Kein Wunder, daß Wissenschaftskommunikation über weite Strecken als „Volksbelehrungsinstrument“ konzeptionalisiert wurde. Die klassischen Massenmedien ließen sich dafür ja auch leidlich nutzen: auf der einen Seite stehen professionelle Wissenschaftskommunikatoren mit journalistischem Know-How, auf der anderen Seite die Laien, die zu belehren sind. Daß diese Struktur durch und durch asymmetrisch ist, daß es sich um einen Wissenschaftsmonolog handelt, war unter den gegebenen Umständen kein Problem. Alternativen standen ja im Grunde auch nicht zur Verfügung – heute tun sie es, in Blogs beispielsweise.
Wissenschaftskommunikation 1.0: Asymmetrischer Monolog
Die konventionellen Medien der Wissenschaftsvermittlung (also das ganze Arsenal von Print, Fernsehen und Rundfunk) funktionieren selbstverständlich auch heute zwangsläufig1 nach der Logik der 1-Weg-Kommunikation. Das Feedback der Leser, Zuhörer oder Zuschauer kann nur sehr indirekt wieder in die Programmgestaltung oder den nächsten Artikel einfließen. Und, liebe journalistischen Profis, seid ehrlich: wieviele Leserbriefe haben Euch tatsächlich zum Nachdenken angeregt und welchen Mehrwert bieten Leser- oder Zuschauerreaktionen wirklich, wenn sie vereinzelt mit einigen Tagen Zeitverzögerung irgendwo in Randbereichen des jeweiligen Mediums nochmal auftauchen?
Blog-Kommentare haben mit klassischen Leserbriefen wenig gemein: Kommentare sind essentieller Bestandteil der Web2.0-Kommunikation und bieten einen tatsächlichen Mehrwert – für Leser und Blogger
Blogs basieren hier auf einem vollkommen anderen Prinzip. Klar, wir sind im Mitmach-Web und das Web 2.0 könnte man auch als Medium der 2-Wege-Kommunikation bzw. bidirektionalen Kommunikation bezeichnen.
Wer einen Blogpost schreibt, macht einen Anfang – die Leser und Kommentatoren besorgen den Rest. ;-)
Was könnte und sollte sich also durch wissenschaftliche Blogs (so sie denn größere Verbreitung und Akzeptanz finden) im Gegensatz zur etablierten Wissenschaftsvermittlung anderer Medien verändern?
- Demokratisierung der Wissenschaftskommunikation | Die Asymmetrie zwischen Experten/professionellen Wissenschaftskommunikatoren und Laien/Publikum wird partiell aufgehoben
- Erosion privilegierter Sprecherpositionen | Gegenargumente können kaum ignoriert werden, auch die Experten/Journalisten müssen sich der unmittelbaren Kritik stellen; Voraussetzung: Kritikfähigkeit und Lernbereitschaft
- Interdisziplinärer Austausch | Dialog und Vernetzung über Fachgrenzen hinweg, Blick über den disziplinären Tellerrand
Der letzte Punkt, also der Dialog zwischen Wissenschaftlern, spielt natürlich hauptsächlich für den akademisch-wissenschaftlichen „Binnendiskurs“ eine Rolle. Hier können Blogs die Augen dafür öffnen, daß Kollegen anderer Disziplinen möglicherweise mit denselben Problemen kämpfen oder es können fruchtbare Diskussionen im Hinblick methodische Fragen entstehen.
In und durch wissenschaftliche Blogs kann man lernen – manchmal auch die Blogger selbst…
Und wenn – wie neulich geschehen – bspw. eine reinrassige Naturwissenschaftlerin wie die Astronomin Ludmila Carone durch Kommentare auf einen ihrer Blogartikel dazu angeregt wird, ein wissenschaftssoziologisches Fachbuch zu lesen,2 dann illustriert das doch eindrücklich, daß wissenschaftliche Blogs an- und aufregen und befruchten können. Die Blogger, genauso wie hoffentlich die Leser.
Bedingung ist freilich, daß sich der wissenschaftliche Blogger darüber im Klaren ist, daß er sich innerhalb seines Blogs angreifbar macht: wer als akademischer Star für gewöhnlich nur mit Kollegen derselben Hierarchiestufe diskutiert, der wird überrascht sein, wenn ihm irgendein Student eine flüchtig dahingeschriebene Argumentation „zerpflückt“ – daß im Impressum möglicherweise ein „Prof. Dr.“ steht, interessiert für den Blogdiskurs kaum.
Der zwanglose Zwang des besseren Arguments
Das ist ein Aspekt, den ich mit „Erosion privilegierter Sprecherpositionen“ meine. Und im Grunde finden wir in Blogs etwas vor, was dem idealistisch-normativen Modell von Jürgen Habermas (nämlich dessen Diskursethik und Konzeption des „idealen Diskurs“) verhältnismäßig nahe kommt. In der wissenschaftlichen Blogosphäre ist der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“3 die Meßlatte.
Welche Rolle spielen wissenschaftliche Blogs innerhalb einer Wissenschaft 2.0?
Wie ich im letzten Beitrag verdeutlicht habe, sind Blogs kein Ersatz für das wissenschaftliche Publikationssystem, das über Monographien und v.a. Journals organisiert ist. Mit der immer größer werdenden Bedeutung digitaler Wissensarchive werden aber (wie wir es aus manchen Disziplinen heute schon kennen) die Printzeitschriften durch Online-Journals verdrängt werden. Daß die Open-Access-Idee Erfolg hat, ist jedenfalls wünschenswert.
Ein weiterer Schritt nach vorne wäre, wenn man Online-Journals nicht als 1:1-Kopien des bekannten Printformats konzeptionalisieren, sondern wesentliche Blogelemente integrieren würde: Kommentare und Trackbacks. Das ist aber (noch) Zukunftsmusik. Innerhalb des „Konzerts“ bzw. das Gesamtsystems einer Wissenschaft 2.0 sind Blogs im Bereich der „Kommunikation“ (teilweise „intern“, Schwerpunkt „extern“) angesiedelt und können neue Impulse in Sachen des Dialogs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit setzen.
In meiner Skizze (die auch die vielfältigen Überschneidungen deutlich machen soll) sind die Wissenschaftsblogs rechts oben zu finden [Anklicken öffnet größere Version]:
Generell lassen sich in meinen Augen folgende Vorteile wissenschaftlicher Blogs (v.a. im Kontrast zu konventionellen (Print-)Medien) identifizieren:
- Aktualität, Schnelligkeit & Flexibilität | kein Redaktionsschluß, variable Länge von Posts/Artikeln, Modifikationen und Erweiterungen sind leicht möglich etc.4
- Authentizität | Autonome Themenfindung, individuelle „Handschrift“ des jeweiligen Bloggers, Blick auf die „Hinterbühne“ der Wissenschaft, Meckern auf unfähige Journalisten entfällt
- Resonanzfähigkeit | Feedback und Reaktionen sind integraler Bestandteil (Kommentare & Trackbacks), verschiedene Standpunkte werden sichtbar, Diskurs wird transparent und lebendig
Der erste Punkt hat natürlich viel damit zu tun, daß Blogs als Onlinemedium weder auf Sendezeiten, noch auf Druck- und Publikationstermine Rücksicht nehmen müssen. Wenn ein Blogger ein Thema entdeckt, so kann er wenige Minuten später einen ersten Hinweis, eine erste Einschätzung dazu publizieren. Und später können problemlos ausführlichere Analysen, Einschätzungen, weitere Links etc. ergänzt oder in zusätzlichen Artikeln hinzugefügt werden. Diese Flexibilität weist sonst kein anderes Format auf.
Es gibt keinen Chefredakteur, der Vorschriften macht. Und auch die individuelle Handschrift, der persönliche Stil und Witz sind erlaubt und wichtig…
Auch der Faktor Authentizität, der ja generell als charakteristisch für Blogs erachtet wird,5 kann von wissenschaftlich ausgerichteten Blogs in einen Vorteil umgemünzt werden. Kein anderes Medium bietet eine vergleichbare Freiheit, was Themenwahl und Schreibstil angeht.
Worüber und wie man innerhalb seines Blogs berichtet – das ist ausschließlich Sache des Bloggers. Und auch in wissenschaftlichen Blogposts darf und soll – das ist jedenfalls mein Standpunkt – die persönliche Handschrift des Bloggers spürbar werden. Der Blog von Lars Fischer hat nicht umsonst eine treue Fangemeinde;6 kritische Analysen, die mit lakonischen Kommentaren gewürzt sind, findet man andernorts so nicht.
Der Blick auf die Hinterbühne: Wissenschaft „greifbar“ machen
Und „praktizierende“ Wissenschaftler haben in ihren Blogs noch eine weitere Möglichkeit, um erstens Leser zu binden und zweitens die vermeintlich hermetische Welt der Wissenschaft etwas „zugänglicher“ zu machen. Ich habe es frei nach Erving Goffman als „Blick auf die Hinterbühne“ bezeichnet und meine damit die gelegentlichen Notizen und Plaudereien, in denen ein Forscher bspw. über die letzte Konferenz berichtet und dann meinetwegen eben auch erwähnt, daß die Zugfahrt dorthin eine Katastrophe war.
Persönliche Anmerkungen, Notizen aus dem Forscheralltag, Berichte über Pannen – in Wissenschaftsblogs findet man verschiedene Zugänge zum Elfenbeinturm. Der Blick hinter die Kulissen ist einer davon.
Der Blick hinter die Kulissen ist ein wichtiges Element: wenn etwa Björn Kröger notiert, daß er endlich eine mühselige Phase der Dateneingabe bewältigt habe und im Anschluß daran im Park die Sonne genossen habe, dann hat das zwar keine wissenschaftliche Relevanz, macht aber deutlich, daß Wissenschaftler auch Menschen sind. ;-)
Genau solche Marginalien – das Lamento, wenn also ein Experiment schiefgelaufen ist oder die Studenten wieder einmal dumme Fragen gestellt haben7 – sind legitime Bestandteile und „Zutaten“ wissenschaftlicher Blogs. Ich behaupte, daß wohldosierte persönliche Notizen die Wissenschaft ein wenig zugänglicher machen – und das scheint ja seit jeher wünschenswert. ;-)
„Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen.“
Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre
Als Zwischenfazit läßt sich feststellen, daß wissenschaftliche Blogs eine doppelte Zumutung darstellen:
- denn erstens wird den Lesern zugemutet, sich von Forschern ohne journalistische Ausbildung die komplexe Welt der Wissenschaft erklären zu lassen,
- und zweitens wird den bloggenden Wissenschaftlern zugemutet, sich der Kritik und den Nachfragen ihrer Leser zu stellen.
Teilhabe und Verantwortung in der Wissensgesellschaft: „Scientific Citizenship“, oder: Die wissenschaftsmündige Gesellschaft
Wenn beide Seiten, also Blogger und Publikum, sich dessen bewußt sind, so kann und wird der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft reiche Früchte abwerfen. Denn wissenschaftliche Blogs können ein Verbindungsglied zwischen Wissenschaftlern und den sogenannten Laien sein und uns auf dem Weg zu einer „Scientific Citizenship“ voranbringen.
Wir können längst nicht mehr ohne Wissenschaft. Wissenschaft fasziniert, frustriert und ist Gegenstand gesellschaftlicher Debatten. Blogs sollen informieren, interessieren und anregende Diskussionen anstoßen…
Der Begriff des „Scientific Citizenship“ kam im Umfeld der Diskussion um das „Public understanding of Science“ auf, das selbst als Konzept noch weitgehend in der alten Logik der belehrenden Wissenschaftsvermittlung befangen blieb.
Nicht zuletzt die großen Konflikte um gesundheitliche und ökologische Gefährdungen, die sich als Nebenfolgen wissenschaftlicher Innovationen ergeben (Stichworte: Ozonloch, Elektrosmog, Gentechnologie), haben deutlich gemacht, daß wir als technologische Gesellschaft zwar nicht mehr ohne Wissenschaft können, aber diese Wissenschaft teilweise Probleme erzeugt, ohne gleichzeitig sichere Lösungen liefern zu können.
In einem ausgesprochen lesenswerten Artikel8 erläutert Ulrike Felt dazu:
„In der Tat werden wir immer öfter […] mit Nachdruck darauf verwiesen, dass es im Grunde in der Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit mehr um Vertrauen denn um Wissen per se geht. Die Haltungen, die Menschen etwa in wissenschaftlich-technischen Kontroversen einnehmen, bauen weniger auf der genauen Nachvollziehbarkeit des wissenschaftlichen oder technischen Wissens auf, sondern vielmehr auf deren Erfahrungen mit und Wahrnehmungen von involvierten Institutionen, WissenschaftlerInnen und KommunikatorInnen.“
Es geht also u.a. darum, sich von der Illusion zu verabschieden, es sei Aufgabe von Wissenschaftskommunikation den Kenntnisstand von Laien zu verbessern. Vielmehr sollten wir dahin kommen – und das wäre eine Radikalisierung des Konzepts des „Public understanding of Science“ – , daß wir nicht mehr von Adressaten der Wissenschaftskommunikation, sondern von Dialogpartnern reden.
Wissenschaftsblogs stehen für eine neue Ära der Wissenschaftskommunikation: das Zeitalter der passiven Rezipienten ist zu Ende, wir haben es mit neugierigen, „mündigen“ Dialogpartnern zu tun
Und sind Blogs dazu nicht das ideale Instrument? Können und müssen wissenschaftliche Blogs also nicht Pionierarbeit leisten, um endlich unmißverständlich klarzustellen, daß wir es nicht mehr mit passiven Rezipienten zu tun haben, sondern mit neugierigen, kritischen und „mündigen“ Dialogpartnern, die als Leser, Kommentatoren oder befreundete Blogger wesentlicher Bestandteil der Blogosphäre sind?
Die wissenschaftsmündige Gesellschaft: Schluß mit Bevormundung und Belehrung
Ich selbst möchte an die Stelle des „Scientific Citizenship“ den Begriff einer „wissenschaftsmündigen Gesellschaft“ setzen bzw. vorschlagen. Dieser Begriff ist analog zu einem Leitbild aus der Risikosoziologie – der „Risikomündigkeit“9 – gebildet, das v.a. die Bedeutung der persönlichen Beurteilung von Risiken auf der Basis seriöser Infomationen hervorhebt.
Damit soll im Hinblick auf die Frage, welche Risiken wir als Gesellschaft und als Bürger eingehen wollen, eben darauf hingewiesen werden, daß weder Wissenschaft, noch Politik oder eine andere Instanz vorschreiben können, was akzeptabel ist und was nicht. Entscheidend für Risikomündigkeit ist, daß Konsumenten und Bürger in die Lage versetzt werden, für sich eine Entscheidung zu treffen, welche Risiken sie eingehen möchten.
Dialog, Lernbereitschaft und Debatten ohne Scheuklappen
Um wieder auf unser Thema – die Wissenschaft – zurückzukommen: mit Wissenschaftsmündigkeit möchte ich ein Ideal formulieren, das Schluß macht mit dem Prinzip Bevormundung und/oder Belehrung. Es geht um einen partnerschaftlichen Dialog und darum, daß alle Kommunikationsbemühungen geeignet sein müßen, die Wissenschaftsmündigkeit aller Akteure zu erhöhen. Diese zu informieren, zu interessieren und einzuladen mitzudiskutieren, muß das Ziel sein. Denn Mündigkeit impliziert, daß wir es – wie gesagt – nicht mit passiven Rezipienten, sondern mit „mündigen“ Dialogpartnern zu tun haben.
Im Bezug auf den „Scientific Citizen“, der eng verwandt mit dem wissenschaftsmündigen Bürger ist, liest man bei Ulrike Felt weiter:
„Das Konzept des Scientific Citizen ist nun ein wesentlich aktiveres Konzept, das die Idee von Rechten und Pflichten in sich birgt: also das Recht, über Wissenschaft und Technik informiert zu werden, mitzureden und auch mitzuentscheiden, aber gewissermaßen auch die Pflicht, sich zu informieren, sich auseinander zu setzen, Verantwortung mitzutragen, sich als Teil eines Kollektivs auch in dessen Interesse zu positionieren.“
Mitreden, diskutieren, sich informieren und Standpunkte beziehen – das alles ist in dieser Idee beinhaltet und ist geradezu ein maßgeschneidertes „Einsatzgebiet“ für Blogs. Wie bereits im letzten Artikel erläutert: die Gesellschaft hat ein Recht zu erfahren, was, wo, wie mit öffentlichen Mitteln geforscht wird. Aber gleichzeitig hat Wissenschaft auch ein Recht darauf wahrgenommen zu werden!
Noch sind wissenschaftliche Blogs ein Nischenphänomen, aber wie schrieb Harald Staun in der FAZ noch gleich?
„Die Stärke der Blogs liegt gerade in der obsessiven Beschäftigung mit obskuren Nischeninteressen.“
Harald Staun, „Weblogs – Wo seid ihr?„, FAZ, 5.5.2007
Eben! Dann gebe ich ihm ausnahmsweise Recht und untermauere die Feststellung, daß wissenschaftliche Blogs (noch!) eine Randerscheinung sind, mit einigen Zahlen: ich habe kurz zusammengezählt und komme auf derzeit rund 180 wissenschaftliche Blogs bzw. Blogger im deutschsprachigen Raum.
Noch sind wissenschaftliche Blogs ein Nischenphänomen: gerade 180 Wissenschaftsblogger sind aktiv
Zu einem Großteil sind diese in den beiden Wissenschaftsblogportalen der Verlage Burda bzw. Spektrum der Wissenschaft zu finden. Bei Scienceblogs.de findet man aktuell 25, bei den SciLogs insgesamt 50 Blogger. Daneben tummeln sich dann noch die „ungebundenen“ Blogger, von denen ca. 90 Stück im „Wissenschafts-Café“ zu finden sind.
180 Blogger sind natürlich eine bescheidene Ausbeute, wenn man bedenkt, daß allein in Deutschland ca. 360 wissenschaftliche Bildungseinrichtungen zu finden sind.10 Die Quote von 0,5 wissenschaftlichen Blogs pro Universität wird sich aber – davon bin ich überzeugt – mittelfristig deutlich verändern.
Zusammengefasst: Es geht also innerhalb einer Wissenschaftskommunikation 2.0 nicht um Belehrung, es geht nicht darum, vom privilegierten Standpunkt der Wissenschaft absolute Wahrheiten zu verkünden.
Es geht vielmehr darum – im Sinne Erving Goffmans – a) einen Blick auf die Hinterbühne zu gewähren, also einen Einblick in den Forschungsalltag zu geben, b) auch als Wissenschaftler dezidiert Standpunkte zu beziehen11 und c) den Dialog mit Lesern und Kollegen unvoreingenommen zu eröffnen. Daß dies auch unterhaltsam bzw. populär sein darf, steht außer Frage.
Man muß das nicht alles gleichzeitig tun, aber man kann. Bloggen ist eine Angelegenheit, die auf Freiwilligkeit beruht. Eine gewisse Portion Idealismus schadet dabei sicher nicht. Aber vielleicht kann ich ja den einen oder anderen Leser aus dem akademischen Milieu motivieren, indem ich ihm versichere, daß er heute noch zu einer Generationen von Blogpionieren zählt? Und in einigen Jahren wird es vielleicht selbstverständlich sein, daß man bei einer Bewerbung auf eine wissenschaftliche Position auch selbstbewußt auf seinen Blog verweist. :-)
Und irgendwann wird uns eine wissenschaftliche Identität ohne Blog möglicherweise ganz und gar unheimlich vorkommen…
Werden wir in 50 Jahren noch Wissenschaftler kennen, wenn sie nicht bloggen? ;-)
Zum Schluß meines Plädoyers für engagierte Wissenschaftsblogs: wer sich auf Niklas Luhmanns Systemtheorie einläßt, der akzeptiert dessen grundsätzliche These, daß Gesellschaft so weit reicht, wie (ihre) Kommunikation reicht. Das ist zunächst eine triviale Feststellung, die konsequent weitergedacht allerdings spannende Einsichten eröffnet.
Ich möchte diese These umformulieren und sagen: „Wissenschaft reicht so weit, wie ihre Kommunikation reicht.“ Und, folgendes ergänzend hinzufügen: durch und in wissenschaftlichen Blogs erweitern wir die Reichweite wissenschaftlicher Kommunikationen. Und das sollte es uns wert sein, oder?
Links:
- Jan Schmidt / Florian Mayer (2006): Wer nutzt Weblogs für kollaborative Lern- und Wissensprozesse?, Berichte der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“, Nr. 06-02 [Download als PDF]
- Wormer, Holger (2005): „Losgelöst vom Alltag? – Was Wissenschaftsjournalismus leisten sollte“. epd-Medien, 96, 7.12.2005, 16-25 – Download als PDF
- Ulrike Felt (2003): Scientific Citizenship. Schlaglichter einer Diskussion, in: Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen. 11. Heft, Frühjahr 2003
Verwandte Artikel in der Wissenswerkstatt:
- Wissenschaftsblogs in Deutschland » Status quo und die Professionalisierung der wissenschaftlichen Blogszene, 22.01.2008
- Eine Wissenschaft für sich » Wie man Blogs wissenschaftlich korrekt zitiert | Werkstattnotiz XLII, 4.12.2007
- Kränkungen, Blindheit und Traditionen im Zeitalter der digitalisierten Wissenschaft » Der schwierige Weg zur Wissenschaft 2.0, 12.9.2007
Immer einen Besuch wert:
- der Newsticker des „Wissenschafts-Cafés“ listet die aktuellsten Posts der Wissenschaftsblogs
Literaturempfehlungen:
- Nikolow, Sybilla & Schirrmacher, Arne (2007): Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressourcen füreinander. Studien zur Wissenschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Campus Verlag.
- Kohring, Matthias (2006): Wissenschaftsjournalismus. Forschungsüberblick und Theorieentwurf. Forschungsüberblick und Theorieentwurf. UVK.
- Wormer, Holger (2006): Die Wissensmacher. Profile und Arbeitsfelder von Wissenschaftsredaktionen in Deutschland. Vs-Verlag.
- Weingart, Peter (2005): Die Wissenschaft der Öffentlichkeit. Velbrück-Verlag.
- Wie sollten Massenmedien auch anders? [↩]
- Jedenfalls schrieb Ludmila am 27.2. in einem Kommentar: „Hmmm…Wissenschaftsphilosophie…Also ganz ehrlich? Das ist nicht meine Welt. Ich schätze da muss ich mal Ludwik Fleck lesen, um mir ein besseres Urteil zu bilden.“ [↩]
- So bekanntlich das von Jürgen Habermas u.a. in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ formulierte Prinzip. [↩]
- Wie es etwa Wolfgang Michal bereits mehrmals in Kommentaren angeregt hat. [↩]
- vgl. u.a.: Jan Schmidt / Florian Mayer (2006): Wer nutzt Weblogs für kollaborative Lern- und Wissensprozesse?, Berichte der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“, Nr. 06-02 [↩]
- Lars ist übrigens auch hier bei den Wissenslogs zu finden: Abgefischt [↩]
- Über Studenten, die nur noch „prüfungsrelevantes“ Wissen nachfragen, echauffierte sich vor einigen Wochen der Frankfurter Anatomiedozent Helmut Wicht in den Brainlogs. [↩]
- Ulrike Felt (2003): Scientific Citizenship. Schlaglichter einer Diskussion, in: Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen. 11. Heft, Frühjahr 2003 [↩]
- „Mit dem Begriff der Risikomündigkeit ist die Fähigkeit angesprochen, auf der Basis der Kenntnis der faktisch nachweisbaren Konsequenzen von risikoauslösenden Ereignissen oder Aktivitäten, der verbleibenden Unsicherheiten und anderer risikorelevanter Faktoren eine persönliche Beurteilung der jeweiligen Risiken vornehmen zu können, die den Wertvorstellungen für die Gestaltung des eigenen Lebens sowie den persönlichen Kriterien zur Beurteilung der Akzeptabilität dieser Risiken für die Gesellschaft insgesamt entspricht.“ – vgl. Risikokommission ad hoc-Kommission „Neuordnung der Verfahren und Strukturen zur Risikobewertung und Standardsetzung im gesundheitlichen Umweltschutz der Bundesrepublik Deutschland“. Abschlussbericht der Risikokommission. Salzgitter: Bundesamt für Strahlenschutz, S. 53 [↩]
- Neben 88 Universitäten (mit Promotionsrecht), gibt es rund 100 Fachhochschulen und dann nochmal ca. 180 Akademien, Kunsthochschulen und Privatuniversitäten etc. [↩]
- D.h. 1. das eigene Forschungsgebiet verständlich zu präsentieren, 2. sich als öffentlicher Forscher zu positionieren und in wissenschaftliche, wissenschaftspolitische und ethische Debatten einzuschalten. [↩]
19 Gedanken zu „Demokratisierung der Wissenschaftskommunikation durch wissenschaftliche Blogs » Wege in eine „wissenschaftsmündige“ Gesellschaft“
„Wissenschaft reicht so weit, wie ihre Kommunikation reicht.“
Diese Blog-Theorie liest sich gut, sie kann sicher von Studenten und frei schwebenden, unabhängigen Geistern praktiziert werden (Habermas’ berühmter herrschaftsfreier Diskurs!).
Aber womit schlagen wir uns denn in der Realität herum? Wissenschaftler (und Wissenschaftsjournalisten) arbeiten nach dem Studium in der Regel für bestimmte Arbeitgeber, für bestimmte (Drittmittel-)Projekte. Das begrenzt ihre Kommunikationsfreudigkeit, ihre Blog-Arbeitszeit & auch ihre Großzügigkeit, das eigene Wissen & Können (gratis) frei zugänglich zu machen. Es gibt Arbeitsverträge, es gibt Karrierestreben, es gibt alltägliche Notwendigkeiten, die viele lieber schweigen lassen. Oliver Kahn z.B. kann und wird nicht zum Vorteil von Werder Bremen bloggen.
Ich finde den open access Prozess gut. Es gibt ja inzwischen auch Wikipedia und andere Gemeinschaftsprojekte der Wissensgesellschaft. Die alte Autorität Brockhaus ist an der 1.0-Mentalität zerschellt. Die Chefvermittler in den Printmedien sind mehr als irritiert. Die Kaiser-Wilhelm-Max-Planck-Kultur ist heute – zumindest pressemitteilungstechnisch – vernetzter als früher.
Aber eine demokratisierte Wissensgesellschaft hat eben noch ein paar ganz entscheidende Hindernisse vor sich: das Konkurrenzprinzip etwa, die Angestelltenkarriere oder das (gerade in der Wissenschaft verbreitete) individuelle Ruhm & Ehre-Denken.
Auf all das lässt man sich ein, wenn man mit dem Bloggen erst mal anfängt!
Wenn man mal über den Gartenzaun in den englischen Sprachraum rüberguckt, kann man glaube ich ganz gut sehen, wie Wissenschaftsblogging funktionieren kann.
Die Debatte über Lisis Theory of Everything auf der Basis der Lie-Gruppe E8 spielte sich ja zu einem beträchtlichen Teil in Blogs ab.
Der Kanadier Jacques Distler hat die Theorie dann sauber erledigt, ebenfalls in einem Blogpost: http://golem.ph.utexas.edu/~distler/blog/archives/001505.html
In den Kommentaren versucht Lisi, seine Idee zu retten, aber Distlers Widerlegung scheint Wasserdicht zu sein.
Gleichzeitig zeigt das Beispiel aber auch, das Blogs im Ernstfall ziemlichen Schrott perpetuieren können. Das war nämlich der ursprüngliche Grund, weshalb Distler was dazu gesagt hat.
Auf jeden Fall zeigt das Beispiel, wann Diskussionen in Wissenschaftsblogs wirklich Relevanz haben: Wenn die Ergebnisse publiziert sind und bewertet werden müssen.
Hallo Marc,
diese Artikelserie ist wirklich interessant und aufschlussreich, allerdings greift sie meiner Meinung nach zu kurz.
In diese Diskussion sollte man auch die Bereiche Politik und Kultur einbeziehen. Politiker und Kulturschaffende publizieren ihre Meinungen und Kommentare zur Zeit leider lieber noch in den Tages- oder Wochenzeitungen
Die Blogosphäre könnte damit als riesiger Diskussionsraum für alle gesellschaftlichen Interessensgruppen dienen.
@Wolfgang Michal:
Ja, ich gestehe das ja unumwunden ein, daß es auch einige hemmende Faktoren gibt. Wäre es anders, so könnten wir uns ja vor lauter Wissenschaftsblogs kaum mehr retten. Es gibt also schon Gründe dafür, daß wir derzeit nur rund 180 wissenschaftliche Blogger im deutschen Raum zählen.
Aber zu meiner Überzeugung zählt eben auch, daß 1.) man durch die Blogs tatsächlich spannenden Input bekommt, 2.) sich dies durchaus durch Mundpropaganda verbreiten kann, 3.) wenn einmal eine kritische Masse erreicht ist, die Akzeptanzfrage auch erledigt sein wird.
@Fischer:
Besten Dank für den Hinweis. Ich hatte zwar kurz Notiz von Antony Garrett Lisi und seiner „An Exceptionally Simple Theory of Everything“ genommen, aber daß es solch substantielle Diskussionen in Blogs dazu gab/gibt, wußte ich nicht. Wirklich ein wunderbares Beispiel, wie der Diskurs innerhalb von Blogs geführt werden kann.
@Ralph:
Danke für das Kompliment – und klar: auch andere gesellschaftliche Sphären und Debatten können hervorragend in und durch Blogs abgebildet werden. Allerdings ging es mir explizit darum, die besonderen Vorteile für die wissenschaftliche Szene zu skizzieren. Außerdem sehe ich etwa im Bereich (gesellschafts-)politischer Fragen durchaus eine lebendigere Szene und auch befruchtende Diskussionszirkel in Blogs. Die Wissenschaft hinkt da m.E. hinterher.
Danke für das Zitat ;-)
Ne, im Ernst: Ich fand es extrem spannend, was aus meinem Beitrag entstanden ist. Deshalb liebe ich das Bloggen, auch wenn ich derzeit wenig Zeit dafür habe (sorry).
Es bringt mir auch etwas. Von: „So hab ich das noch gar nicht gesehen“ bis hin zu „Wieder etwas gelernt. Das muss ich unbedingt mal lesen.“ Bis hin zu: „Ach so sieht das der Laie! Hätte ich nicht gedacht. Das muss ich einbeziehen in meine Erklärungen.“ und natürlich nicht zu vergessen: „Huch, ich werde gelobt. Ich muss also was richtig machen.“ ;-)
Ich hoffe den Lesern bringt es auch was. Und wenn dahinter die Einsicht steht, dass wir Wissenschaftler auch eigentlich ziemlich normale Menschen sind.
Thilo Kuessner schreibt im mathlog eben über einen neuen Artikel (PDF-Datei) des amerikanischen Physikers/Mathematikers John Baez.
Dieser Text, ein Übersichtsartikel zu einem Sammelband, hat eine interessante Vorgeschichte, die hier zum Thema passt:
John Baez hat während der Arbeit daran Leser seines Blogs zu einigen Punkten des Artikels, die nicht direkt in sein Arbeitsgebiet fallen, um Rat gefragt (Logicians Needed Now, Computer Scientists Needed Now) und anscheinend auch Hilfe und Auskunft erhalten – die entsprechenden Kommentarteile im Blog sind jedenfalls sehr lang. Und er schreibt am Ende des Artikels: „Finally, this paper was vastly improved by comments at the n-Category Café, especially from Andrej Bauer, Tim Chevalier, Derek Elkins, Matt Hellige, Robin Houston, Todd Trimble, and Dave Tweed.“ Allerdings muss man auch dazusagen, dass The n-Category Café ein sehr technisches Blog ist.
Prinzipiell ist solch ein Ranking eine interessante Geschichte. Aber mir ist nicht klar, was genau die Aufnahmekriterien sind. Die Zusammenstellung erscheint mir etwas willkürlich.
Auch eine Definition, was denn nun ein Wissenschaftsblog sei, konnte ich nicht finden. Vielleicht ist es Dir klar, aber mir würde es helfen, das einmal formuliert zu sehen.
Oder habe ich jetzt etwas überlesen?
Hups, falsches Posting… Ich bitte um Schiebung, falls das möglich ist.