Glaube kann Berge versetzen » Die suggestive Heilkraft von Medikamentenpreisen | Werkstattnotiz LXXII

Wurde uns nicht jahrelang eingetrichtert, daß Geiz geil sei? Sind wir nicht längst ein Volk von Schnäppchenjägern, das Sonderangebote umschwirrt wie die Motten das Licht? Haben wir also nicht vollständig inkorporiert, daß alles was billig auch gleichzeitig gut ist? Eine spannende Studie zeigt, daß wir insgeheim doch anders "ticken". Wenigstens wenn es um unsere Gesundheit und die Heilwirkung von Medikamenten geht, scheint eine andere Logik zu dominieren: teuer ist geil!

Es ist ja gerade eine Woche her, daß man überall nachlesen konnte, wie täuschungsanfällig Patienten sind.1 Mehrere aktuelle Studien hatten gezeigt, daß die millionenfach verschriebenen Antidepressiva, die zur Gruppe der sog. selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gehören, nicht besser als ein Placebo wirken.

Ob mit oder ohne Wirkstoff: Wir schlucken gerne Medikamente

Zwar profitieren die betroffenen Patienten von der Einnahme der Pillen, aber dies unabhängig davon, ob ein Wirkstoff enthalten ist oder nicht. Insider munkelten schon lange, daß von den immer populäreren Antidepressiva – wozu auch der Verkaufsschlager "Prozac" gehört – vor allem die Hersteller profitieren. Zuckerdragees ließen sich kaum zu den horrenden Preisen verkaufen…

Kleine Psychologie der Medikamentenwirksamkeit: je teurer, desto besser

Eine anders gelagerte Studie des MIT-Psychologen Dan Ariely2 zeigt nun, daß es scheinbar just der Verkaufspreis ist, der als gewichtiger Faktor die (gefühlte) Wirksamkeit von Medikamenten beeinflußt.

Was sich zunächst völlig widersinnig anhört, ist das Ergebnis einer Untersuchung, deren Ergebnisse kommende Woche im "Journal of the American Medical Association" veröffentlicht werden sollen.

Wenn der Preis die Wirkung bestimmt…

Wie n-tv vorab berichtet, hatten Ariely und sein Team insgesamt 82 Probanden mit leichten Elektroschocks traktiert, um die individuelle Schmerztoleranz zu bestimmen. Dann gaben sie der einen Hälfte der Versuchsgruppe eine Tablette und die Zusatzinformation, es handele sich um ein neu entwickeltes Präparat, das pro Stück 2,50 US-Dollar koste. Den anderen Probanden wurde gesagt, die Pille sei ca. 10 Cent wert. Bei beiden (!) Präparaten handelte es sich – was die Versuchsteilnehmer nicht wußten – um ein wirkstoffloses Placebo. Was danach passierte ist allerdings erstaunlich – wie n-tv schreibt:

Bei 85 Prozent der Patienten, die das vermeintlich teurere Präparat bekommen hatten, ließ das subjektive Schmerzempfinden nach der Tabletteneinnahme merklich nach. In der Gruppe mit dem billigen Präparat berichteten hingegen nur 61 Prozent, dass sich ihre Schmerzen gebessert hätten. "Der Placebo-Effekt ist eine der faszinierendsten und am wenigsten genutzten Kräfte im Universum", kommentierte Ariely das Ergebnis in einer Mitteilung der Duke University.

Der Blog von Dan Ariely trägt wohl nicht ungefähr den Titel "predictably / irrational". ;-) Sobald das Paper einsehbar ist, lohnt sicherlich ein Blick auf die Details. Soweit ich sehe, ist die Arbeitsgruppe von Dan Ariely allerdings sehr erfahren in diesem Bereich und so unglaubwürdig sind die Ergebnisse auch nicht. Man sollte die menschliche Einbildungskraft nicht unterschätzen. Die Frage ist nur, welche Rückschlüsse wir aus diesen Befunden ziehen? Erhöhen wir einfach die Medikamentpreise um 50%? Warum nicht, wenn es doch der Volksgesundheit dient….?

Der Tagesspiegel kommentiert treffend:

Denn wie soll ein Arzt jemals wieder einem Patienten glaubhaft ein billiges Medikament verschreiben? Das kann doch gar nicht mehr helfen, das kann er gleich lassen. Hier kehrt sich die universale Faszination des Placeboeffekts geradezu in einen Fallstrick um. Denn wenn alle über den Preis gesunden wollen – mal ehrlich: Das kann doch keiner bezahlen! Also was tun? Medikamente mit Tarnpreisen auszeichnen, die den eigentlichen bei weitem übersteigen, und die ergaunerte Marge irgendwohin überweisen.

 


 

Links:

 

Update: 5.3.2008 | 16:30Uhr

Gerade entdecke ich im Medizinblog "ebm-Anwender", daß der Artikel verfügbar ist. Leider im Volltext nur für registrierte Nutzer. Dennoch hier der Link:

Und im stets gut sortierten Blog von Ed Silverman finde ich soeben noch den Hinweis auf einen New York Times-Artikel von heute. Dort wird auch kurz skizziert, daß es die körpereigenen Opioide sind, die für den Effekt zuständig sind. Diese endogene, also körpereigenen Opioide snd dem Morphium recht ähnlich und treten auch im Zusammenhang mit Stressreaktionen auf.

“It’s a great finding,” said Guy H. Montgomery, an associate professor of cancer prevention at the Mount Sinai School of Medicine who was not involved in the research. “Their manipulation of price affected expectancies of drug benefit, and pain is the ultimate mind-body phenomenon.”

Previous studies have shown that pill size and color also affect people’s perceptions of effectiveness. In one, people rated black and red capsules as “strongest” and white ones as “weakest.” Other information like the country where the drugs were manufactured can also affect perceptions.

  1. Nachdem darüber in dutzenden Berichten zu lesen war, habe ich mir einen eigenen Eintrag gespart. []
  2. Auf das ich hier bei der "Stationären Aufnahme" aufmerksam werde. []

4 Gedanken zu „Glaube kann Berge versetzen » Die suggestive Heilkraft von Medikamentenpreisen | Werkstattnotiz LXXII“

  1. @Fischer:

    Ja, Danke für den Link. Es gibt ja durchaus einige Studien, die die menschliche Täuschungsanfälligkeit belegen, wenn bestimmte Produkte mit höheren bzw. tieferen Preisen etikettiert werden.

    Und irgendwie scheint mir die Volksweisheit – daß eben alles was nichts koste, auch nicht viel wert sein könne – in subtiler Weise in unseren kognitiven Apparat eingraviert zu sein: wenn wir teurere Produkte kaufen, essen, lesen (?), dann funktioniert das durchaus im Sinne einer ’self-fulfilling-prophecy‘; d.h. wir erwarten Qualität, guten Geschmack etc. und finden uns dann bestätigt…

    Und das mit dem „Eintritt“ für den Blog sollten wir uns wirklich überlegen. ;-)

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  2. In Ultimatumspielen hat sich ja konsistent gezeigt, dass Menschen auf Fairness gepolt sind. Möglicherweise ist das nicht nur eine Präferenz, wenn wir in der Lage sind, zu vergleichen, sondern sogar eine automatische Erwartungshaltung, wenn wir nur eine Seite des Deals kennen.

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