In meinem Regal steht ein Buch, dessen Titel „Alles Leben ist Problemlösen“ lautet. In diesem schmalen Band hat der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl R. Popper die zentralen Leitlinien seines Denkens zusammengefaßt. Und wer wollte Popper widersprechen? Sind wir nicht täglich mit neuen Problemen konfrontiert?
Kleine Probleme, für die wir Lösungen parat haben, sind zumeist eine sportliche Herausforderung. Aber es gibt selbstverständlich auch große Probleme, richtig große oder richtiger: globale Probleme, zu deren Bewältigung uns häufig weder die Mittel, noch das notwendige Wissen zur Verfügung stehen. Die Herausforderung, die Lebensmittelversorgung für die wachsende Weltbevölkerung sicherzustellen, wäre ein solches Problem globalen Maßstabs. Umso erstaunlicher, daß dabei immer wieder recht simple, technologische Lösungen propagiert werden…
Bilder von Protesten gegen den Preisanstieg, Politikerwarnungen vor Hungerunruhen: „Horrorszenario Preisexplosion“.
Nachrichtendominoeffekt
Seit einigen Tagen kann man beobachten, mit welcher seltsamen Eigendynamik und oft verqueren Logik ein Thema in und durch Medien behandelt wird. Ob es zuerst die Nachrichten von stark ansteigenden Lebensmittelpreisen waren oder gleich die Warnung von IWF-Chef Strauss-Kahn vor weltweiten Hungerunruhen, läßt sich kaum mehr genau sagen.
Plötzlich kamen die Bilder von Unruhen in Haiti, Ägypten, der Elfenbeinküste oder Kamerun dazu, die überdeutlich vor Augen führten, daß die Frage nach den Lebensmittelpreisen auch eine soziale Sprengkraft in sich birgt – die Tatsache, daß es seit Monaten in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern Aufstände u.a. wegen steigender Reispreise gab und gibt, ist nichts weiter als eine Marginalie.
Wir haben also Meldungen über den Anstieg der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt, lesen alarmierende Politikerstimmen, sehen Bilder, die die Problematik illustrieren und schon gesellen sich weitere Diskurselemente hinzu: rasend schnell ist ein Übeltäter identifiziert – der Biosprit, den die ökologisch verblendeten Industrienationen zur Entlastung ihres Gewissens nachfragen und der dazu führe, daß Soja und Mais zu Treibstoff, anstatt zu Nahrungsmitteln weiterverarbeitet werden.
Ist das Tanken von Biosprit ein „Verbrechen gegen die Menschheit“?
Die Debatte kocht hoch. Der UN-Sondergesandte Jean Ziegler bezeichnet Biotreibstoffe als „Verbrechen gegen die Menschheit“1 und mitunter erweckt es den Eindruck, als seien Klimaschutz und der Kampf gegen den Welthunger gänzlich unvereinbare Ziele.
Könnte man die Akteure der Debatte vielleicht daran erinnern, daß man mit weniger Adrenalin im Blut besser, kühler, nüchterner denken kann? Denn weder die Ursachen, noch die Lösungen für dieses komplexe sozial-ökologische Problemfeld werden in hitzigen Auseinandersetzungen klarer. Könnte man den voreiligen Schreihälsen bitte mal das oben genannte Buch von Popper zur Lektüre geben? Denn auf Seite 138 steht dort:
„Wir wissen nichts – das ist das Erste. Deshalb sollen wir sehr bescheiden sein – das ist das Zweite. Das wir nicht behaupten zu wissen, wenn wir nicht wissen, das ist das Dritte.“
Sobald das alle begriffen haben, könnte man dazu übergehen, die Probleme tatsächlich zu diskutieren. Eine gute Basis wäre der ausführliche Bericht des „Weltagrar-Rates“ (IAASTD)2, der seit vergangener Woche vorliegt. An diesem Bericht haben im Auftrag der UNESCO rund 400 Agrarexperten, Ökologen, Biologen, Wirtschaftsfachleute und Politiker mitgearbeitet. Und die Schlußfolgerungen der Experten sind bedenkenswert.
Zurück zur Problemanalyse: Der IAASTD-Bericht klärt auf
Sie stellen unmißverständlich fest, daß sich die intensive, auf industrielle Monokulturen fixierte Landwirtschaft in eine Sackgasse manövriert hat bzw. zumindest dem Nachhaltigkeitsgebot zuwiderläuft. Oder wie es die SZ formulierte:
„Der industrielle Intensivanbau in Monokulturen und mit gentechnisch veränderten Pflanzen habe zwar die Produktion gesteigert, schreiben die Experten. „Aber einfache Bauern, Arbeiter, ländliche Gemeinden und die Umwelt müssen den Preis bezahlen.“ Der Weltlandwirtschaftsrat fordert deswegen die Umstellung auf eine „multifunktionale“ Landwirtschaft, die den Erhalt und die Erneuerung der natürlichen Ressourcen wie Wasser, Böden, Wälder und Artenvielfalt in den Mittelpunkt rückt.“
Mir geht es gar nicht um eine detaillierte Analyse der Empfehlungen des IAASTD3, sondern um die ziemlich unmißverständliche Feststellung, daß regionale, kleinteilige Anbaumethoden der Schlüssel zu einer Sicherstellung der Ernährungsgrundlagen in Entwicklungsländern sind und (ein entscheidender Punkt!), daß die „grüne“ Gentechnologie im Zweifel eher Teil des Problems4 und nicht seine Lösung darstellt. Oder wie Stefan Jacobasch schreibt:
„Das IAASTD empfiehlt, lokale Bedingungen für die Landwirtschaft stärker zu berücksichtigen, Kleinbauern und regionale Vertriebswege zu stärken, großflächige Monokulturen zu vermeiden und natürliche Ressourcen zu schützen. Der Biotechnologie und der Gentechnik wird zwar keine eindeutige Absage erteilt, aber das IAASTD sieht in der Technik keine Lösung für das Hungerproblem.“
Es kann also nur darum gehen, die vielfältigen Faktoren sorgfältig auseinanderzuhalten und eindimensionale Schuldzuweisungen zu vermeiden. Es ist weder der Bioethanol, der alleine für die steigenden Preise verantwortlich wäre, noch sind es geldgierige Spekulanten, die alleine die Preise in die Höhe trieben. Genauso müßte man das rasante Wirtschaftswachstum in China oder Indien, das dort zu mehr Wohlstand und gestiegener Fleisch-Nachfrage führt und weitere Faktoren mitberücksichtigen. Hier wären bspw. die Biotechkonzerne Monsanto oder Syngenta zu nennen, die den „Schwarzen Peter“ aber auch nicht alleine verdient haben.
Die Schuldfrage ist nicht eindimensional zu beantworten. Weder der Biosprit, noch Monsanto und Syngenta sind alleinverantwortlich… Fest steht: Biotechnologie ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems!
Festzuhalten bleibt jedoch: die grüne Biotechnik ist keinesfalls das Instrument, mit dem der Welthunger bekämpft werden könnte und sollte.
Man braucht die Biotechnologie nicht zu verteufeln, ihr gesundheitliches Risikopotential ist sehr gut untersucht, das Monitoring bei Freisetzungsversuchen hat keine relevanten ökologischen Gefährdungen ergeben, aber: gentechnisch verändertes Saatgut ist kein Allheilmittel, schon gar nicht im Kampf gegen den Hunger.
Und wie die IAASTD-Expertise klarstellt, sind eben „multifunktionale“, nicht biotechnologisch-industrielle Landwirtschaftsformen notwendig.5
Was zum Teufel tut Emnid?
Umso mehr erstaunt mich die Meldung zu einer EMNID-Umfrage, die gestern durch die Agenturen tickerte. Ihr Titel: „Akzeptanz von Gentechnik wächst wegen Nahrungsmittelkrise.“ So eine Feststellung läßt natürlich aufhorchen. Und im Text6 heißt es weiter:7
„In einer am Mittwoch veröffentlichten Emnid-Umfrage sagten 56 Prozent der Befragten, sie würden genmanipulierte Nahrung essen, wenn so die Hungerkatastrophe abgeschwächt würde.“
Es gibt Tage, da können sich die Urheber solch groben Unfugs glücklich schätzen, daß sie mir nicht im Dunkeln begegnen. Was bitte habt Ihr, liebes Marktforschungsinstitut Emnid und lieber Auftraggeber „Vanity Fair“, bei dieser „Umfrage“ gedacht?8 Würdet Ihr mir bitte den genauen Wortlaut Eurer Frage durchgeben, mit der Ihr so entzückende Ergebnisse zu Tage fördert?
„Von den 14- bis 49-Jährigen sagten 67 Prozent, sie würden genveränderte Lebensmittel essen, sollte dies im Kampf gegen die Nahrungsmittelkrise helfen.“
Wie realitätsfern können Meinungsumfragen eigentlich sein?
Die Umfrage suggeriert, die Biotechnologie diene dem Kampf gegen den Welthunger. Die Tatsache, daß die UNESCO-Agrarexperten vor wenigen Tagen genau das Gegenteil betont haben, stört Emnid offenbar gar nicht.
Findet bei Euch überhaupt eine Art Plausibilitäts-Check statt? Wird vorher nicht überprüft, ob die Frage sinnvoll ist? Es ist – falls ihr das nicht bemerkt habt – nämlich so, daß allein durch die Art und Weise Eurer Fragestellung ein Zusammenhang zwischen „grüner“ Gentechnologie und dem Kampf gegen den Welthunger hergestellt wird.
Es wird – vollkommen ungeachtet der Faktenlage! – suggeriert, hier bestehe ein positiver Zusammenhang. Und die Frage und eben auch die Veröffentlichung der Umfrage-Ergebnisse erweckt den Eindruck, als sei die Gentechnologie ein probates Mittel, um – wie ihr schreibt – „die Hungerkatastrophe abzuschwächen“.
Wie bescheuert können Fragestellungen denn noch sein? Darf ich nächste Woche mit demoskopischen Infos dazu rechnen, wieviele Bundesbürger die neuerliche Meisterschaft des FC Bayern München gutheißen, wenn dadurch die Renten gesichert werden?
Bitte, denkt doch das nächste Mal zuerst darüber nach, bevor ihr tausend Bundesbürger befragt und danach solche Nonsensebefunde in die Welt hinauspustet.
- Klas, Gerhard: Teure Nahrungsmittel, telepolis, 23.4.2008
- Arbia, Ali: Ein paar Gedanken zum Anstieg der Nahrungsmittelpreise, zoon politikon, 23.4.2008
- Jacobasch, Stefan: Warum hungert die Welt wirklich?, Mahlzeit, 14.4.2008
- Süddeutsche Zeitung: 54 Staaten wollen radikale Agrarreform, 15.4.2008
Die Ergebnisse des IAASTD-Berichts – in vorbildlicher Aufbereitung:9
- Scientific Facts on Agriculture & Development, greenfacts.org
- So wird er in der New York Times zitiert. vgl. Erlanger, S.: U.N. Panel Urges Changes to Feed Poor While Saving Environment, NYT, 16.4.2008 [↩]
- Hinter dem Kürzel IAASTD verbirgt sich: „International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development“ [↩]
- Die Ergebnisse können im Einzelnen auf der oben verlinkten Website nachgelesen werden. [↩]
- Stichworte: Monopol der Saatgutproduzenten, wirtschaftliche Abhängigkeit der Kleinbauern etc. [↩]
- Es kommt insofern nicht von ungefähr, daß viele Industrievertreter kurz vor Veröffentlichung des Berichts den IAASTD verlassen haben. Nachdem sich abzeichnete, daß die Saatgutgersteller und das Potential der Biotechnik sehr kritisch beurteilt werden würden, „schmollten“ viele Vertreter der Industrieseite. [↩]
- So etwa hier in der Agenturaufbereitung des Ärzteblatts. [↩]
- Leider finden sich auf der Emnid-Website keine näheren Infos. [↩]
- Es geht jetzt gar nicht darum, daß die Skepsis der Konsumenten in Bezug auf gentechnologisch veränderte Nahrungsmittel möglicherweise unangemessen hoch ist, es geht ausschließlich um die suggestive, die jüngsten Expertenberichte ignorierende Art der Frage. [↩]
- Diesen Link verdanke ich Stefan Jacobasch, vgl. seinen Blogartikel [↩]
2 Gedanken zu „Emnid, „Vanity Fair“ und die Biotechnologie » Über Amokläufer in der Debatte um die globale Nahrungsmittelkrise | Werkstattnotiz LXXX“