Wissensfluten » Franz M. Wuketits zur Inflation wissenschaftlicher Erkenntnisse | kurz&knapp 27

NachrichtenDie Wissenschaft – diese Entwicklung ist offensichtlich – produziert in immer kürzeren Zyklen, immer mehr Ergebnisse. Zwar sind es naturgemäß nur selten die großen, bahnbrechenden Erkenntnisse, aber wenn man lediglich den „Output“ der Forschung betrachtet, so agiert das „System Wissenschaft“ effizienter als je zuvor.

In einem überaus anregenden Artikel in der Wiener Zeitung skizziert der aktuell in Wien lehrende Wissenschaftstheoretiker und Biologe Franz M. Wuketits die Herausforderungen, die sich aus diesem Sachverhalt ergeben. Denn sowohl die Wissenschaft selbst, als auch die Medien1 haben – so die Beobachtung von Wuketits – bislang keinen geeigneten Modus gefunden, um mit diesem drohenden Forschungs-Info-Overkill umzugehen.

„Den Tageszeitungen kann man regelmäßig interessante und mitunter verblüffende Meldungen darüber entnehmen, was an vorderster Front der Forschung passiert. […] Das Erfreuliche dabei: Die Leser gewinnen den (richtigen!) Eindruck, dass in den Wissenschaften Wesentliches geschieht. Das weniger Erfreuliche: Man darf nicht jede Meldung ernst nehmen.“

Und Wuketits kritisiert weiter:

„Die Einzelerkenntnisse, die derzeit in so ungeheurer Fülle gewonnen werden, stehen meist für sich allein da. Da Bildung zusehends auf Ausbildung reduziert wird, verlernen die Menschen allmählich nicht nur das Denken in Zusammenhängen, sondern auch das Erkennen von Widersprüchen…“

Den Text möchte ich allen Werkstattbesuchern dringend empfehlen (und bedanke mich beim Sciblog für den Tipp). Zwar sind es durchaus keine neuen Einsichten, die Wuketits unterbreitet, aber er faßt einige Probleme unserer Wissenschaftsgesellschaft sehr verständlich und pointiert zusammen. So etwa, wenn er darauf hinweist, daß die Informationsgewinnung durch wissenschaftliche Forschung nur die eine Seite der Medaille darstelle, der Umgang, die gesellschaftliche Verarbeitung mit neugewonnem Wissen allerdings die andere Seite, die mitunter größere Anstrengungen erfordere.

Genauso muß man dem Wiener Wissenschaftsphilosophen zustimmen, wenn er – mit leicht sarkastischem Unterton – notiert, daß leider allzu häufig durch falsch verstandene und/oder übereifrige2 Wissenschaftskommunikation ein atemloser Alarmismus entstehe. Das nämlich, wenn etwa Befunde über tatsächliche oder vermeintliche Gesundheitsgefährdungen zu Horrormeldungen aufgebauscht werden. Da geht es mir häufig genauso wie Wuketits und ich frage mich:

„Manchmal muss man sich ja fast wundern, dass es überhaupt noch Menschen gibt. Man sollte einmal ein groß angelegtes Forschungsprojekt anregen, um endlich herauszufinden, warum so viele Menschen in unserer gefährlichen Welt steinalt werden.“

Links:

Literaturempfehlungen:



  1. Deren Aufgabe es sein sollte, die Öffentlichkeit wenigstens in groben Zügen über den Stand der Forschung zu orientieren. []
  2. Oder sensationsheischende, schlagzeilengeile… die Liste ließe sich verlängern. ;-) []

2 Gedanken zu „Wissensfluten » Franz M. Wuketits zur Inflation wissenschaftlicher Erkenntnisse | kurz&knapp 27“

  1. Wenn gute Forschung an der Anzahl von Publikationen gemessen wird, ist es kein Wunder, dass die Zahl der Publikationen steigt. Das die wissenschaftliche Leistung nicht zwangsläufig mitsteigt, ist auch klar. Ich selbst habe in einem Paper über eine Fallstudie über eine neue Methodik (in der Wirtschaftsinformatik) bewusst eine negative Hypothese formuliert, um diese dann zu falsifizieren (siehe Popper). Ich konnte die Hypothese für einige Aspekte ablehnen, für andere Aspekte nur unter Bedingungen. Ergebnis war, dass das Paper abgelehnt wurde. Ein Reviewer meinte sinngemäß, das Ergebnis meiner Arbeit wäre nur ein „vielleicht“. Hier hat der Reviewer ganz klar auf eine Sensation gewartet. Ich könnte das Paper natürlich entsprechend umformulieren und eine Sensation draus machen. Nur dann müsste ich meinen wissenschaftlichen Anspruch aufgeben. Ein alltägliches Dilemma.

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