Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir wissenschaftliche Blogs? » Eine Argumentation in 11 Schritten | Werkstattnotiz LXXXV

Block, Quelle: stock.xchng, user: bubbelsWas ich über wissenschaftliche Blogs denke, war in der Werkstatt zuletzt mehrmals nachzulesen. Und in einer dreiteiligen Serie habe ich versucht, den Möglichkeiten und Grenzen, sowie der Rolle von Wissenschaftsblogs innerhalb einer „Wissenschaftskommunikation 2.0“ nachzuspüren. Für alle ungeduldigen Werkstattbesucher gibt es einige meiner Argumente hier nun in komprimierter Form.

Nachdem ich zum Potential wissenschaftlicher Blogs zuletzt auch einige Vorträge gehalten habe, findet man unten nun auch endlich den Foliensatz, nach dem ich verschiedentlich gefragt wurde. Es sind die Folien, wie ich sie bei der re:publica’08 verwendet habe.

Begleitend und erklärend geht es in 11 Etappen um die Frage, weshalb die Wissenschaft bloggen sollte. Die Argumentationsfolge entspricht dem re:publica-Vortrag.

 

Wissenschaft kann nicht nicht kommunizieren:

wieso sollte sie es also nicht in und durch Blogs tun?

1. Mit Wissenschaft wird üblicherweise die „Suche nach Erkenntnis“ oder das „Streben nach Wahrheit“ assoziiert. Begriffe wie Objektivität, Vernunft, Analyse oder Rationalität beschreiben eine spezifische Form der Welt- und Wirklichkeitsbeschreibung. Das ist alles richtig, dennoch darf man nicht vergessen:

Kommunikation ist lebensnotwendig für Wissenschaft – ohne sie wüßte sie nicht, was sie weiß.

Wissenschaft wäre nicht(s) ohne Kommunikation. Nur publizierte (also kommunizierte) Forschungsergebnisse „existieren“ für die wissenschaftliche Gemeinschaft. Nur durch fortlaufende Kommunikationen wird das „System Wissenschaft“ stabilisiert. Kommunikation ist lebensnotwendig für Wissenschaft – ohne sie wüßte sie nicht, was sie weiß.

2. Die Blogosphäre ist die Gesamtheit der vernetzten Blog-Kommunikationen. Spezielle, niederschwellige Formen der vernetzten Online-Kommunikation werden als Blogosphäre etikettiert und von journalistischer Seite bisweilen als undurchsichtig-störendes Rauschen wahrgenommen. Das führt in Teilen der öffentlichen Meinung dazu, daß Blogs als „Bühne für das geistige Prekariat“ oder als „Klowände des Internet“ erachtet werden.

3. Wieder einmal zeigt sich: man sollte nicht ein Teil für das Ganze nehmen. Denn Blogs sind zunächst nichts anderes, als eine nüchterne, onlinegestütze Kommunikations-Infrastruktur. Blogs sind ein Publikationsinstrument – und es ist allein ausschlaggebend,1 was, von wem und wie „kommuniziert“ wird. Vorbehalte und Argwohn sind Fehl am Platz. Es ist der Gebrauch des Mediums, oder: It’s the content stupid.2

Schluß mit den Vorbehalten: Entscheidend ist der Gebrauch eines Mediums.

4. Blogs sind – wie eben gesehen – ein Informations- und Kommunikationsinstrument. Wissenschaft ist auf die Aufrechterhaltung von Kommunikationen angewiesen. Könnte es sich noch besser fügen? Worauf wartet die Wissenschaft denn noch?

5. Zwei Gründe, die teilweise erklären, weshalb Teile der Wissenschaft (noch) zurückhaltend sind:

Erstens: Blogs sind Bestandteil des Internet. Im World Wide Web fehlen aber (bislang?!) die eindeutigen Markierungs- und Orientierungscodes, die anzeigen, ob es sich jeweils um wissenschaftliche Inhalte oder anderen Content handelt. Das Web wird von manchen Insassen der Elfenbeintürme immer noch als Ort der Unterhaltung und Banalität wahrgenommen. Wissenschaft, die online stattfindet ist (so die Unterstellung) doch immer nur die Light-Variante oder möglicherweise vollkommen unseriös. Kann Wissenschaft diesen Makel abschütteln?

Zweitens: Manche wissenschaftliche Disziplinen (Historiker, Philologen etc.) rekurrieren auch heute noch auf jahrhundertealte, schriftliche Quellen. Diese sind in den Bibliotheken und Archiven „handgreiflich“. An der Zuverlässigkeit und Langzeit(!)verfügbarkeit von Onlinequellen wird mancherorts (durchaus mit guten Gründen) gezweifelt.3

Wissenschaftsblogs sind dialogische Diskursinseln innerhalb einer wissenschaftsmündigen Gesellschaft.

6. Benötigen wir noch ein Argument, um gegen die Vorbehalte und Beharrungskräfte des alten, dicken „Tankers“ Wissenschaft4 vorzugehen? Gut, dann genügen vermutlich diese beiden Thesen: 1. Wissenschaft ist kommunikativer Diskurs. 2. Wissenschaftliche Blogs sind Diskurskatalysatoren. Noch offensichtlicher und mit mehr Plausibilität geht nicht, oder?

7. Die Vision: Wissenschaftsblogs könnten das Dialoginstrument innerhalb einer wissenschaftsmündigen Gesellschaft sein.

8. Die Details: Wissenschaft kommuniziert intern5 und hier könnten Wissenschaftsblogs den akademischen Binnendiskurs „flankieren“. Auch dabei geht es um Komplementarität, nicht darum, daß Blogs den Fachdiskurs in Journals ablösen sollten. Für die Wissenschaftler selbst können Blogs in allen drei Dimensionen der „funktionalen Trias“ hilfreich sein: als schnelles Publikationsinsstrument, als Tool zum Identitätsmanagement und letztlich auch zum Beziehungsmanagement (Stichwort: Vernetzung).6

Habermas würde sich freuen – es gilt: der zwanglose Zwang des besseren Arguments.

9. Das Ergebnis: durch die bi-direktionale Kommunikationsstruktur wird erstens ein tatsächlicher Dialog zwischen Lesern (=Öffentlichkeit) und Forschern (=Wissenschaft) hergestellt.

Zweitens gelten in Blogs verstaubte Hierarchieunterschiede (hier der Professor, dort der Student nicht). Das heißt: die Asymmetrie der Kommunikationssituation wird teilweise aufgelöst bzw. abgemildert.

10. Was ist das Neue? Wissenschaftskommunikation war seit den 60er Jahren vornehmlich im Sinne einer Belehrung der Laien konzeptionalisiert worden. Das war die Variante 1.0. Die Wissenschaftskommunikation 2.0 entdeckt aber die Öffentlichkeit als „mündigen“, aufgeklärten Dialogpartner, dem es sich zuzuhören lohnt.7

11. Wissenschaftsblogger sind also Pioniere. Sie sind Wegbereiter für eine wissenschaftsmündige Gesellschaft. Was könnte verlockender sein?

 

 



  1. Oder um mit unserem Altkanzler aus der Pfalz zu sprechen: Entscheidend ist, was hinten rauskommt… []
  2. Irgendwann werden das auch die Herren Graff und Co. lernen. []
  3. Diese beiden Vorbehalte gilt es 1. ernstzunehmen, 2. auszuräumen! []
  4. Der nur allmählich Fahrt in Richtung Web 2.0 aufnimmt []
  5. Im Rahmen des Fachdiskurses der „scientific community“ []
  6. Beispiele gefällig? Hier: erfolgreiche Kollaboration von Soziologen. Denn Blogs sind doch Wissenschaftler-Verbindungsmaschinen. ;-) []
  7. Denn nicht nur die Leser von Wissenschaftsblogs können profitieren. Auch die Blogger /Wissenschaftler selbst können Lerneffekte verzeichnen. []

13 Gedanken zu „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir wissenschaftliche Blogs? » Eine Argumentation in 11 Schritten | Werkstattnotiz LXXXV“

  1. Es werden wahrscheinlich wieder nur die lesen, die diese Meinung zu Sinn und Zweck von wissenschaftlichen Blogs teilen. Und es wird dich sicher nicht wundern, dass auch ich zu dieser Gruppe gehöre. Ich danke dir trotzdem für den Text, der die wichtigen und richtigen Argumente aufzählt und wünsche deinen Zeilen doch noch einige Leser, die daraus für sich den Entschluss ziehen, sich näher mit wissenschaftlichen Blogs zu beschäftigen.

    Dass sie sich früher oder später sowieso durchsetzen, ist keine Frage. Der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft wäre es allerdings zu wünschen, dass es eher früher statt später sein wird.

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  2. Ich würde noch weiter gehen: Wissenschaft, die nicht offen für Rückfragen und für Dialog ist, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine verantwortungslose Wissenschaft. Wissenschaft, auf die man nicht antworten kann und die selbst nicht auf Rückfragen antworten und sich rechtfertigen kann. Sobald ein Wissenschaftler mit dem Bloggen anfängt, kann er zur Verantwortung gezogen werden.

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  3. Jetzt aber mal langsam mit den jungen Pferden! Nur weil die Wissenschaft zum größten Teil noch nicht bloggt heißt das ja noch lange nicht, dass sie nicht offen für einen Dialog oder gar verantwortungslos (so schön das Wortspiel auch sein mag) ist. Es ist schon klar, dass eine Strompost-Anfrage problemlos mal gelöscht wird, während ein unbeantworteter Kommentar schon eher Druck ausübt, aber eine 2.0 lässt sich eben nicht ohne weiteres hinter jede Art von Wissenschaft klemmen.

    Ich behaupte einfach mal, dass es in den Sozialwissenschaften relativ einfach und fruchtbar ist. Warum soll man sich nicht mit dem Gegenstand seiner Arbeit, der Gesellschaft, direkt auseinandersetzen? Unter den Problemstellungen kann sich jeder etwas vorstellen und wenn er sich seines freien Verstandes bedient, kann er auch mehr oder weniger qualifizierte Kommentare abgeben.

    Mir als Chemiker fehlt dagegen die „mündige“ Gesellschaft als Dialogpartner. Wer hat denn in der Schule so gut aufgepasst, dass er versteht was an einem zweibindigen Kohlenstoff forschenswert ist? Wer von Euch hat denn Lars Fischers Beitrag über Bor-Mehrfachbindungen gelesen? Und wer hat Ihn verstanden? Wo ist denn da die Wissenschaft 2.0 wenn er chemische und quantenmechanische Ergebnisse, deren Qualität er als „Laie“ nicht bewerten kann, einem Publikum präsentiert, welches sie noch weniger versteht. Ich bin mir sicher, dass jeder Verständige selbst Zugang zu den Originalartikeln hat und diese dem Blogpost vorzieht.

    Trotzdem würde ich im Prinzip ja gerne im Sinne einer transparent(er)en Wissenschaft bloggen, aber in meiner Profession gehört man eben auch ins Labor. Leider verbringe ich einen Großteil meiner Zeit am Computer und wenn ich auch noch bloggen würde, wüsste ich nicht worüber, da ich dann überhaupt keine Chemie mehr machen würde. In dieser Hinsicht ist der Marc deutlich schlauer, denn er betreibt einen Wissenschaftsblog über Wissenschaftsblogging – zwei Fliegen mit einer (grossen) Klappe. ABER: Wo bleibt da die Doktorarbeit?

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  4. @DerOli: „Verantwortungslos“ ist weniger ein Wortspiel als vielmehr eine Wortbedeutung. Schließlich geht es dabei genau darum, sein Tun auf An- Nachfrage zu begründen. Das findet man übrigens sogar in der Wikipedia. Manchmal ist die Sprache präziser als man denkt ;-)

    Und ich muss zugeben, dass ich v.a. an die Gesellschafts- und Kulturwissenschaften gedacht habe. Aber grundsätzlich sollte die Frage der Verantwortung immer dann gestellt werden, wenn es um ethische Fragen geht, also um Fragen, die man prinzipiell nicht wissenschaftlich entscheiden kann.

    Klar ist die Bor-Mehrfachbindung auf den ersten Blick eine komplizierte Sache, aber ich bin mir sicher, dass auch viele meiner Gedanken zur Frage, inwiefern sich reflexiv-moderne Transformationsprozesse von postmodernen unterscheiden, nicht unbedingt für die breite Masse tauglich sind. Es wirkt nur auf den ersten Blick so, als würden sich Sozialwissenschaftler mit Dingen befassen, die jeder mit ein bisschen Schulbildung verstehen kann. Wittgenstein redet auch öfters von Tischen und Stühlen. Will sagen: Keine Disziplin hat ein Monopol auf (Un-)Verständlichkeit.

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  5. @ DerOli: Ich bin übrigens Chemiker und habe auch praktische Erfahrungen, was Borverbindungen angeht (allerdings nur synthetisch, mit Phenylboroxinen). Insofern kann ich die Bedeutung des ersten Papers sehr wohl einschätzen. ;)
    Die Quantenrechnungen im zweiten Paper sind zugegebenermaßen nicht so ganz meine Baustelle, aber da habe ich von den Modelern immerhin Feedback gekriegt, dass sie meine Einschätzung teilen.

    Du hast im Kern natürlich völlig Recht, dass es für sehr viele Sachen schlicht keinen Dialogpartner gibt. Einige Themen liest halt keiner. Sonst würde ich ja auch viel, viel mehr über Chemie schreiben (mein alter Arbeitskreis liest mit, deswegen gibt’s regelmäßig Chemie und NMR, aber ich seh ja an den Zugriffszahlen, dass solche Themen einfach Leser abschrecken).

    Marc und Benedikt sitzen einfach fachlich in einer Nische der Glückseligkeit, was Blogthemen angeht. ;)

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  6. Bin weder Natur- noch Sozialwissenschaftler, sondern gehöre einer Fachrichtung an, die man gemeinhin eher nicht mit Bloggen in Verbindung bringt – nämlich der Religionswissenschaft. Dort muss man teilweise noch ziemliche Überzeugungsarbeit leisten, damit endlich akzeptiert wird, dass das Internet oder gar Web 2.0-Anwendungen in irgendeiner Form wissenschaftliche Relevanz besitzen. – Sei es als religionsgeschichtliche Quelle oder als Tool zur Wissenschaftskommunikation. Dieser Artikel bietet wieder einmal gute „Munition“, um genau diese Überzeugungsarbeit zu leisten! Vielen Dank dafür!

    Auch wir Kulturwissenschaftler müssen letztendlich die Zeichen der Zeit erkennen, die eindeutig in Richtung Social Software weisen. – Und sei es auch nur, dass wir den Menschen, deren Religion wir untersuchen, dahin folgen, wo sie sich aufhalten: Ins „Web 2.0“ …

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  7. Avantgarde. Ja. Im Grunde ist das nur das übliche Pflöckesetzen für eine wissenschaftliche Karriere. Bei den einen müssen Blogs dran glauben, bei den anderen abgefahrene Projektideen. Auf das es sich am Ende für die ersehnte (Junior)-Professur auszahlt.

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