Stammgäste, Passanten und die Wissenswerkstatt » Ein Interview über Sinn und Zweck wissenschaftlicher Blogs

WerkstattWissenschaftliche Blogs haben in den letzten Monaten einen deutlichen Aufmerksamkeitszuwachs erzielt. Das ist einerseits am Anstieg der Besucherzahlen, andererseits an der stetig steigenden Anzahl wissenschaftlicher Blogs abzulesen. Die Zeiten, in denen Wissenschaftsblogger in der Blogosphäre als Exoten galten, sind vorbei. 1

Und auch der Wissenschaftsjournalismus entdeckt allmählich, daß sich Wissenschaftskommunikation in und durch das Web 2.0 verändert. Von einem eher konventionellen (wissenschafts-)journalistischen Standpunkt aus, ist es sicher gewöhnungsbedürftig, daß Wissenschaftler u.a. in ihren Blogs direkt und offensiv den Kontakt zum interessierten Publikum suchen. Allerdings wird auch erkannt, daß hier sowohl für den Journalismus, als auch für die Wissenschaftler spannende Chancen verborgen sind.

Am 2. Juli 2008 findet in Darmstadt ein „Tag des Wissenschaftsjournalismus“ statt. Derzeit laufen die Vorbereitungen und Themensuche für die Podiumsdiskussionen und Vorträge. In diesem Zusammenhang haben mir die Studenten des Studiengangs Wissenschaftsjournalismus einige spannende Fragen gestellt.

Hier also das „Interview“ mit meinen Antworten rund um wissenschaftliches Bloggen, die Motivation und die anvisierte Zielgruppe. Außerdem geht es um die Klärung, ob möglicherweise die journalistische Ressortaufteilung antiquiert ist, weshalb Wissenschaftsblogs eine Zumutung sind, aber dennoch immer noch besser als ein Wissenschaftsjournalismus, der am Agenturtropf hängt:

» Wer sind die Nutzer Ihrer Internetseiten, bzw. von Blogs im Allgemeinen?

Gute Frage, wenn ich das nur wüßte. ;-) Die bloßen Statistiken über die Anzahl der Besucher, die angeklickten Seiten etc. geben ja keine Auskunft darüber, wer das eigentlich ist. Ich kann nur indirekt aus den Statistiken ableiten, daß es (zum Glück) einen festen Kern an Besuchern gibt, die fast täglich oder wenigstens 2-3x pro Woche vorbeikommen und somit vermutlich (fast) alle Artikel lesen bzw. davon Kenntnis nehmen.

Das sind für die Wissenswerkstatt derzeit schätzungsweise rund 300-400 Personen. Dazu zählen einerseits die Feedabonnenten und zusätzlich einige Stammgäste, die eigentlich täglich „persönlich“ vorbeikommen. Daneben gibt es natürlich das Publikum, das über Suchmaschinen (hauptsächlich Google) vorbeigeschwemmt wird. Das sind rund 1/3 aller Besucher. Die meisten Besucher, die über Google bei mir landen, interessieren sich offenbar für wissenschaftspolitische Fragen, Besoldungsstufen, Bildungspolitik und die Sorgen und Nöte des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Was suchen Google-Nutzer hier? Hauptsächlich Wissenschafts- und Bildungspolitik. Genauso werden Gesundheitsthemen stark nachgefragt.

Außerdem kommen auch täglich Besucher, die Fragen zu Nahrungs- und Lebensmittelrisiken haben oder sich bzgl. der Gesundheitsrisiken von bestimmten Medikamenten oder bspw. dem Risiko von Röntgenuntersuchungen informieren wollen.

Wie gesagt: das sind meine Rückschlüsse aus den Suchanfragen und den Besucherstatistiken. Generell kann ich sagen, daß ich durchaus sehr zufrieden bin, was die Besucher meiner Werkstatt angeht. Sie sind höflich, kommunikativ und argumentieren meist kritisch, aber immer fair.

Wenn ich – frei nach Max Weber – einige „idealtypische“ Besucher skizzieren müßte, sähe das so aus:

Als Stammgäste:

  1. Andere Wissenschaftsblogger und Wissenschaftsjournalisten mit Web-2.0-Affinität. Unabhängig von der jeweiligen thematischen, disziplinären Ausrichtung.
  2. Studenten, Doktoranden und einzelne Wissenschaftler, die den Themenmix2 hier offenbar lesenswert finden. Darunter sind wohl, wie ich aus Kommentaren und Zuschriften weiß, recht viele Sozial- und Medienwissenschaftler.
  3. Internetnutzer, die eher zufällig auf meine Werkstatt aufmerksam geworden sind, aber sich dennoch den RSS-Feed abonniert und ein Lesezeichen erstellt haben.

Als Passanten:

  1. Blogger und Blogleser, die bei ihren Streifzügen durch das Web 2.0 auf einen Link stoßen, der in die Werkstatt führt oder auf anderen verschlungenen Pfaden hierher finden. Wenn diesen mein Stil oder die thematische Ausrichtung nicht gefällt, kommen die auch nicht wieder.
  2. Die oben erwähnten Gäste, die durch Suchmaschinen hierher gespült werden. Hier gibt es ja eine konkrete Frage und möglicherweise wird diese durch meine Artikel beantwortet oder vielleicht ist auch ein weiterführender Link dabei. Aber auch hier werden wohl die wenigsten ein weiteres Mal meine Werkstatt beehren.

» Wen sprechen Sie mit Ihren Seiten an, wen möchten Sie erreichen?

Wie oben erwähnt, bin ich im Grunde recht zufrieden. Wenn andere Blogger mit wissenschaftlichem Schwerpunkt hier mitlesen, ist das klasse. Ebenso toll ist es, wenn sich hier im Anschluß an manche Artikel sehr gute, ertragreiche Diskussionen entfalten. Das ist natürlich ein wesentlicher Aspekt, der das Blogdasein ausmacht.

Wer seine Kommentatoren nicht als Bereicherung betrachtet, kann das bloggen auch bleiben lassen.

Wer Kommentare nicht erst nimmt, kann das bloggen bleiben lassen. Meine Kommentatoren tragen sehr viel zur Wissenswerkstatt bei, denn oftmals weisen Kommentatoren auf einen zusätzlichen Aspekt hin, den ich im Artikel selbst vergessen habe oder ergänzen den Artikel durch zusätzliche Links. Und ich schalte mich ja selbst meistens wieder im Kommentarverlauf ein und nehme darauf Bezug. Das ist natürlich spannend, lehrreich und bietet m.E. auch für die Leser einen handfesten Mehrwert.

Aber nochmal zurück zur Frage, denn mein „Zielpublikum“ besteht natürlich keineswegs ausschließlich aus anderen Bloggern oder Kommentatoren. Denn grundsätzlich möchte ich allen Interessierten solche Informationen und Artikel bieten, die sie eben andernorts eher nicht finden. Das Alleinstellungsmerkmal (das gilt generell ja eben wieder für alle Wissenschaftsblogs) kann der individuelle Stil sein3 oder eben der Luxus, daß man in Blogs die Themen nur kurz anreißen kann und später ausbauen oder gleich sehr umfassend, mit vielen informativen Links arbeitet etc.

Ein Alleinstellungsmerkmal wissenschaftlicher Blogs sind die Kommentare: dort findet man oft weitere Infos, Links und spannende Diskussionen.

Und ein anderes Pfund, mit dem wissenschaftliche Blogger wuchern können, ergibt sich aus dem Web2.0-Kontext. Es sind schlicht die Kommentare und Trackbacks. Denn wer bei mir mitliest, der kann sofort nachfragen oder findet evtl. bereits durch andere Kommentatoren die Fragen beantwortet, die er noch hatte. Ebenso laden eben Trackbacks zum weitersurfen ein. All das findet man in dieser engen Kopplung in klassischen Online-Medien nicht.

Also ganz kurz beantwortet: mein Publikum sind alle Leser, die sich für meine Themen interessieren und eben den Web2.0-Mehrwert zu schätzen wissen.

» Die Wissenswerkstatt schafft ja auch eine Verbindung zwischen Sozial- und Naturwissenschaften. Kann man dieses Zusammenführen als einen neuen Trend betrachten?

Das ist natürlich eine hochspannende Frage, wobei ich in der Hinsicht denke, daß ich hier nicht als Vorbild bzw. Trendsetter zu gebrauchen bin. Es ist ja schlicht so, daß ich Sozialwissenschaftler bin, aber mich seit Jahren schwerpunktmäßig mit wissenschafts- und techniksoziologischen Fragen befasse. D.h. also, daß ich eben aus diesem Grund ein Grenzgänger bin.

Ich habe kein naturwissenschaftliches Fach studiert und bin hier also letztlich auch nur interessierter Laie. Zwar war Biologie zu Schulzeiten eines meiner besseren Fächer, aber andere Blogger oder Journalisten sind mir natürlich was Physik, Chemie u.ä. angeht, weit überlegen. Wenn ich doch über naturwissenschaftliche oder medizinische Themen schreibe, dann versuche ich das so gut wie möglich zu recherchieren. Man hat ja dann einen gewissen Erfahrungsschatz, aber fachlich kann ich die Qualität von naturwissenschaftlicher Forschung natürlich nicht beurteilen.

Bei mir steht nur ein sozialwissenschaftliches Studium im Hintergrund, auch wenn ich mich mit Technik und Wissenschaft befasse.

Insofern liegt bei meinen Artikeln meist der Schwerpunkt auf den gesellschaftlichen Facetten und Effekten (natur-)wissenschaftlicher Forschung. Denn einerseits findet man natürlich unter den Forschern selbst eine gewisse Betriebsblindheit, die ich als Außenstehender thematisieren kann, andererseits gibt es ja fast immer Konsumenten, Anwohner, Verbraucher, die möglicherweise betroffen sind und deren Perspektive ich dann stärker betone. Das ist aber tatsächlich meiner Herkunft als Soziologe geschuldet, der sich als Gegenstand u.a. die Wissenschaft (die ja eben Teil der Gesellschaft ist) herausgesucht hat.

Verallgemeinern kann man den Brückenschlag zwischen Natur- und Sozialwissenschaften vermutlich also nicht, wenn man das an einzelnen Bloggern festmacht. Allerdings ist es so, daß Blogs insgesamt dazu beitragen, daß die Scheuklappen der einzelnen Blogger bzw. Wissenschaftler minimiert werden. Ich erlaube mir etwa in Blogs von Molekularbiologen oder von Chemikern zu kommentieren – und diese müssen sich in bestimmter Weise zu meinem Kommentar verhalten. Sie können irritiert sein, sie können sich ärgern oder den Kommentar als Anregung nehmen. Ignorieren können sie ihn nicht.

Bloggen steigert die Sensibilität für die eigene disziplinäre Beschränktheit. Blogs sind Medizin gegen disziplinäre Scheuklappen und gegen die Verabsolutierung des eigenen Standpunkts.

Was ich damit illustrieren will: durch das Bloggen wächst die Sensibilität für die eigene disziplinäre Beschränktheit und gleichzeitig nimmt man wahr, wie andere Wissenschaftler „ticken“, die nicht Fachkollegen sind.

Man entdeckt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Und im Ergebnis lernt man durchaus voneinander, das ist zumindest meine Erfahrung. Wissenschaftliche Blogs fördern also interdisziplinäres Denken und sind ein Instrument gegen die Verabsolutierung des eigenen Standpunkts.

Für wissenschaftliche Blogger könnte man also vermutlich durchaus konstatieren, daß sie eher wahrnehmen, was außerhalb ihres eigenen Fachgebiets passiert.

» Ist gar die konventionelle journalistische Unterteilung in Ressorts antiquiert?

Für die Einteilung in die klassischen Ressorts wie Politik, Sport, Kultur oder eben Wissenschaft, sprechen natürlich gute Gründe. Ich persönlich lege bspw. den Sportteil fast immer beiseite, Ressorts dienen eben der Orientierung und erleichtern die Mediennutzung angesichts knapper Zeitressourcen. Wenn man – auch online – diese Einteilung aufweicht, so muß man sich andere Orientierungsmarkierungen überlegen, wie die Leser schnell zu den Informationen navigieren können.

Welche Orientierungsmarken füllen das Vakuum, wenn man die Ressorts aufgibt?

Gleichzeitig ist – neben der Rezipientenseite – natürlich auch die Redaktionsstruktur an den Ressorts aufgehängt. Daß der Sportjournalist einen Kommentar zur neuen Gentechnikgesetzgebung schreibt, sollte man in der Regel weder ihm, noch den Lesern zumuten. Ich halte also Ressorts für sinnvoll, wenngleich deren Bedeutung sinken wird. Blogs tragen durch ihre Personalisierung dazu bei. Ich schreibe hier ja auch zu Politik, zu Wissenschaft, zu kulturellen Themen und manchmal bespreche ich auch Rockbands. Wer hier also regelmäßig mitliest, muß da durch oder klickt eben die Texte, die ihn nicht interessieren wieder weg.

Wissenschaftliche Blogs sind insofern durchaus eine Zumutung: sie verlangen von ihrem Publikum, daß es sich auch auf Texte einläßt, die nicht so glatt und gefällig sind, wie man es von den journalistischen Profis gewohnt ist und der Leser muß auch die Irritation aushalten, daß er direkt im Anschluß an einen Artikel über neue Entwicklungen der Hirnforschung etwas über das schlechte Abschneiden des Hamburger Sportclubs beim letzten Spieltag findet.

Wissenschaftliche Blogs sind nicht perfekt, nicht glatt, meist etwas eigenwillig. Aber sie haben Profil und Charakter. Qualitäten, die der Online-Wissenschaftsjournalismus nie besessen hat.

Wenn der Blogger eben Fußballfan ist, zumal unglückseligerweise HSV-Anhänger, so ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, daß man plötzlich die Sportberichterstattung mitgeliefert bekommt. Dafür sind Blogs in der Regel eben deutlich authentischer und haben immerhin ein eigenes Profil, was man vom Online-Wissenschaftsjournalismus nicht behaupten kann.

Das Wiederkäuertum, die Aufbereitung der immergleichen Agenturmeldungen ist in meinen Augen das Hauptärgernis an einem solchen Wissenschaftsjournalismus. Weshalb finde ich täglich auf allen deutschen Online-Wissenschafts-Kanälen fast immer die identischen Themen? In Blogs lese ich stattdessen auch Neuigkeiten und Kommentare zu Meldungen, die spannend sind, aber sonst durchs Raster gefallen wären. Hier liegt eindeutig die Stärke bei Blogs. Die sind indivdueller, haben ein klareres Profil und sind eben glücklicherweise nicht so stark an Tickermeldungen orientiert.

– fin –

So, abschließend muß ich mich bei Dorothee Schulte bedanken, die mir diese Fragen im Auftrag ihrer Kommilitonen gestellt hat. Ich wünsche eine erfolgreiche Vorbereitung und bin natürlich gespannt, was in ziemlich genau zwei Monaten (genau am 2.7.2008) in Darmstadt bei den Podiumsdiskussionen besprochen und diskutiert wird.



  1. Was sicher auch damit zu tun hat, daß mit den beiden Blogportalen Scilogs und Scienceblogs, sowie dem Wissenschafts-Café inzwischen drei zentrale Anlaufstellen bzw. Gravitationszentren entstanden sind. Und auch die steigende Technorati-Werte – vgl. die aktuellen Charts – sind ein Indiz hierfür. []
  2. Gelegentliche Notizen zu Neuigkeiten aus Wissenschaft und Forschung, dazu Anmerkungen zu neuen Entwicklungen der Wissenschaftskommunikation, abgeschmeckt mit ein wenig Medienkritik und Blogosphären-Small-Talk. []
  3. Das führt bspw. Lars Fischer wunderbar vor, denn solide recherchierte Texte zu (natur-)wissenschaftlichen Themen, die mit einer Prise Humor gewürzt sind, findet man ja sonst (fast?) nirgendwo. []

27 Gedanken zu „Stammgäste, Passanten und die Wissenswerkstatt » Ein Interview über Sinn und Zweck wissenschaftlicher Blogs“

  1. Ach, du auch? Ich hab auch nen Fragebogen bekommen.

    Bei der Frage „kann man WiBlogs in Kategorien einordnen?“ hab ich die junge Dame gleich mal an Dich verwiesen. ;)

    Ich werde, wenn möglich, am zweiten Juli in Darmstadt sein, habe ich beschlossen. Kommst du auch?

    Antworten
  2. Mein Kommentar ist eine Frage: Sollte ein Wissenschaftsblog vielleicht auch die Verbindung zum „normalen“ Publikum herstellen? Ich erlebe es immer wieder, dass Leute über „die Akademiker“ und „die Wissenschaft“ schimpfen, aber noch nie ein Universitätsgebäude überhaupt nur betreten haben. Gäbe es da nicht eine Chance, Werbung für die Sache an sich zu machen?
    Andererseits: Eine weitere Komponente von Blogs scheint mir zu sein, dass sie freiwillig von relativ wenigen gelesen werden. Nicht so wie z.B. die Tagesschau, die mehr oder minder unfreiwillig von allen konsumiert wird.

    Antworten
  3. @Fischer:

    Ja und da ich so in Fahrt war, habe ich die Fragen bzw. meine Antworten dann oben eingestellt. Mit der Frage, welche Kategorien es gibt, wurde ich allerdings nicht konfrontiert.

    Naja, jedenfalls spannend, was die vorhaben und die Fragen fand ich sehr gut, anregend und sie zeigen, daß sich die Studenten (die haben ja mit Annette Leßmöllmann und Thomas Pleil auch hervorragende Anleitung) mit den Blogs auseinandergesetzt haben.

    Da Darmstadt von München aus doch etwas weiter entfernt ist, weiß ich nicht, ob ich am 2.7.2008 da sein werde. Das Budget der Werkstatt ist für solche Ausfahrten etwas zu knapp bemessen. Mal schauen, vielleicht ergibt sich ja was…

    @DrNI:

    Die Frage:

    Sollte ein Wissenschaftsblog vielleicht auch die Verbindung zum „normalen“ Publikum herstellen?

    Kann ohne Vorbehalte mit „Ja“ beantwortet werden. Es geht mir ja um Wissenschaftskommunikation 2.0. – und die basiert auf Dialog unter Forschern (interdisziplinär) und dem Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

    Mehr Details und Überlegungen in der oben verlinkten Artikelserie oder direkt hier.

    Antworten
  4. Ich freue mich sehr über das Feedback zu unseren Fragen. Als Studenten des Wissenschaftsjournalismus liegt uns die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ja auch besonders am Herzen.
    Im Alltag stoßen wir manchmal auf Skepsis gegenüber unserem Studiengang. Manche naturwissenschaftliche Dozenten zeigen uns gegenüber Interesse, andere scheinen mit uns nicht wirklich etwas anfangen zu können. Ein einzelner hat sich sogar dahingehend geäußert, dass er Wissenschaftsjournalismus zumindest für sein Fach nur von Wissenschaftlern selbst für sinnvoll halte. Das ist eine Ansicht, die ich nicht nachvollziehen kann. Zum Beispiel in der Politik käme doch wahrscheinlich niemand auf die Idee zu sagen, darüber sollten nur Politiker selbst berichten.
    Viele Menschen interessieren sich für Naturwissenschaften. Themen wie Klimawandel oder Gentechnik werden täglich und überall diskutiert. Ohne eine gut informierte Öffentlichkeit werden sich Klimaschutzmaßnahmen nicht wirksam durchsetzen lassen. Ethische Fragen, auch wenn sie wissenschaftlicher Natur sind, sollten nicht ohne die Öffentlichkeit entschieden werden. Es wäre toll, wenn Wissenschaftsblogs diese Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaftlern verbessern könnten.

    @Marc:
    Vielen Dank für die ausführlichen und Interessanten Antworten!

    Antworten
  5. *Zum Beispiel in der Politik käme doch wahrscheinlich niemand auf die Idee zu sagen, darüber sollten nur Politiker selbst berichten.*
    Nein, aber bei der Politik-Berichterstattung in den Medien kommt ja auch nicht jedem, der ein bisschen Ahnung vom Thema hat, regelmäßig das kalte Grausen… ;-)

    Antworten
  6. Manche sagen so, manche sagen so ;)

    Wenn man schon Wissenschaftsjournalismus als Studiengang anbietet, ergreift man hoffentlich die Chance, die Prioritäten richtig zu setzen und mal klarzustellen, was den kritischen Kern ausmacht, was eine unterhaltsame Darbietung ist und was reine Publikumsvernatzung für kommerzielle Schaueffekte.

    Antworten
  7. ein sehr interessanter beitrag. ich persönlich sehe in blogs noch viel Potential. Leider gibt es noch sehr viele, die mit Blogs nichts anfangen können. Wie viel Wissen uns da wohl noch entgeht.

    Antworten
  8. @ kamenin: Dass da jemand Wissenschaft praktisch von außerhalb begutachten kann und nicht nur aus dem fachlichen Blickwinkel, ist schon eine gute Sache.
    Ich sehe in den kommerziellen Schaueffekten gar nicht mal so sehr das Problem. Das wird man auch kaum loswerden, die Leute müssen ja verkaufen. Ich finde es viel ärgerlicher, dass man der Routine-Berichterstattung manchmal doch recht deutlich anmerkt, dass da wesentliche Punkte nicht verstanden wurden.

    Antworten
  9. Mein Eindruck geht langsam eher in die Richtung, dass da wesentliche Punkte gar nicht verstanden werden sollen, weil man sich erst ein hübsch aufregendes Konzept für den Artikel ausdenkt und sich das dann nicht durch zu viel Realität kaputt machen lassen will. Gegen Schaueffekte als Unterhaltunsgwerkzeug habe ich gar nichts, im Gegenteil: WJ sollte ruhig unterhaltsamer werden, als er jetzt ist.

    Ich habe auch gar nichts prinzipiell gegen den Studiengang. Das ist allemal besser als Sportjournalisten eine learning-by-doing-Ausbildung zum WJ angedeihen zu lassen. Trotzdem würde ich gerade dabei wünschen, dass diejenigen vielleicht eine Zeit lang mal wirklich wissenschaftlich arbeiten sollten, weil das doch das Bild auf Wissenschaft als Prozess merkbar verändert; aus Vorlesungen und Seminaren nimmt man doch eher ein zu statisches Bild mit, selbst wenn man vielleicht einen Überblick gewinnt oder wenigstens mit den Begriffen mehr anfangen kann.

    @ Doro Schulte
    Ethische Fragen sind sowieso nicht wissenschaftlicher Natur. Aber die Skepsis gegen Journalisten rührt auch daher, wie die mit denen manchmal umgeht. In der aktuellen ZEIT finden sich so Beispiele über Genforschung, in denen Journalisten auf Nachfrage einräumen, von der Thematik eigentlich nichts zu verstehen, aber im Zweifelfall die Ängste der Bevölkerung für relevanter zu halten (im Sinne: unterstützen wir die halt mit unserer Berichterstattung).
    Aber das ist natürlich ein Argument für euren Studiengang, nicht dagegen.

    Antworten
  10. als die „junge Dame“ aus Darmstadt, vllt. eine kurze Erklärung: Unser Fragekatalog war nicht starr, sondern jeweils recht unterschiedlich. Die eine oder andere Frage taucht also nicht zwangsläufig überall auf. (:

    @kamenin
    „Mein Eindruck geht langsam eher in die Richtung, dass da wesentliche Punkte gar nicht verstanden werden sollen, weil man sich erst ein hübsch aufregendes Konzept für den Artikel ausdenkt und sich das dann nicht durch zu viel Realität kaputt machen lassen will.“

    ich glaube nicht, dass hinter Fehlern in der Berichtserstattung Faulheit oder gar Absicht stecken. Ähnlich wie in dem Bsp. aus der ZEIT bei dem ein Lokalredakteur (ich habe den Artikel leider nicht mehr zu Hand) sich in die Richtung äußert „Ich wusste nicht wem ich glauben soll“, scheint es eher Hilflosigkeit zu sein. Genforschung ist nun mal nichts was man mit 1-Tag-Recherche abhakt – als Laie schon gar nicht.
    Damit will ich auf keinen Fall sagen, dass solche Fehler weniger schlimm seien und die Recherche deshalb von vornerein ausfallen sollte, sondern nur ein wenig um Verständnis für Journalisten werben, die nicht aus dem Labor kommen.
    Es muss sich nun mal noch eine Menge tun, und zwar auf beiden Seiten.

    Unser WJ-Tag am 2. Juli kann da vllt ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sein. Vielen Dank nochmal für die ausführlichen Antworten und das Interesse.

    Antworten
  11. @kamenin und fischer:

    Ich denke, wir liegen grundsätzlich nicht so weit außenander, was unsere Erwartungshaltung gegenüber einem seriösen, spannenden Wissenschaftsjournalismus angeht.

    Ärgerlich ist es schlicht und einfach, wenn (egal ob aus Zeitdruck oder Unvermögen) bspw. Pressemitteilungen oder andere Wissenschafts-PR fast unverändert übernommen und abgedruckt werden, ohne daß hier eine tiefergehende Auseinandersetzung seitens des jeweiligen Journalisten stattfand. Und Fachkenntnis macht es schlicht unwahrscheinlicher, daß man den akademischen Lautsprechern oder (noch schlimmer) Schaumschlägern aus der Wirtschaft aufsitzt, die ihre innovativen Konzepte anpreisen.

    (In dem Zusammenhang fällt mir die Story um eine „photokatalytische Zahnbürste“ ein. Wenn ich mich recht entsinne, wurden deren revolutionären Eigenschaften sogar in der NYT hochgelobt. Lars hat in einem kurzen Artikel darüber aufgeklärt, daß mind. 50% der Argumente purer Nonsense waren…)

    Ich denke, wir wünschen uns alle einen engagierten, begeisternden Journalismus, der sich kritisch mit Wissenschaft auseinandersetzt, aber gleichzeitig auch gegenüber der Öffentlichkeit glaubhaft die Relevanz von Wissenschaft und Forschung vermittelt.

    Und Vermittlung heißt immer auch Übersetzung: das bedeutet m.E., daß Journalisten die Aufgabe haben, die Sachverhalte „verständlich“ zu machen und insofern immer ein Stück weit vereinfachen müssen. Daß dabei nicht verfälscht werden darf, ist klar, aber teilweise sind die Ansprüche mancher Wissenschaftler auch zu hoch – denn mit einem Artikel, den normale Leser nicht mehr verstehen, ist auch niemandem gedient.

    Es ist also ein Balanceakt: Komplexität reduzieren, aber nicht „vereinfachend“ darstellen. Das ist das Aufgabenprofil (wie ich finde) des Wissenschaftsjournalismus.

    @lh:

    So ganz kann ich nicht nachvollziehen, worauf Du hinauswillst. Ich stimme Dir zu, daß ich ebenfalls keinen bösen Willen hinter fehlerhafter Berichterstattung vermute.

    (Denk-)Faulheit und Rechercheinkompetenz allerdings schon. Und daß man sich (wenn man nicht ohnehin vom jeweiligen Fach ist) ein Thema erst „erarbeiten“ muß, trifft sicherlich auch zu. Aber die Tatsache, daß das Feld der Gentechnologie unübersichtlich und komplex ist, entschuldigt doch in keiner Weise schlampige, unausgegorene Berichte darüber?!

    Wenn ich mich selbst der Sache nicht gewachsen fühle, dann muß ich eben einen kompetenteren Kollegen anfragen und mit der Arbeit betrauen. Und es ist ja auch nicht so, daß man als Journalist täglich zu einem völlig neuen Thema schreiben müßte.

    Insofern verstehe ich nicht ganz, was Du damit meinst:

    Genforschung ist nun mal nichts was man mit 1-Tag-Recherche abhakt – als Laie schon gar nicht.

    Antworten
  12. @lh

    Ich stimm Dir ja zu, dass das gerade für Journalisten kleinerer Zeitungen schwierig ist, zumal wenn sie zwischen zwei anderen Geschichten noch eben was zur Ackerbesetzung schreiben sollen. Dass Journalismus kein leichtes Geschäft, bestreite ich gar nicht. Auch nicht, dass an vielem eher die redaktionellen Strukturen und Vorgaben schuld sind, weniger die einzelnen Journalisten.

    Aber wenn ich keine Ahnung habe, dann darf ich das in dem Artikel auch nicht vortäuschen oder effektiv nur eine Seite zu Wort kommen lassen, weil sich die besser und einfacher darstellen lassen. Dann hätten Medien ihren Sinn verloren.

    Artikel ist auch hier:
    http://www.zeit.de/2008/19/Gentechnik?page=all

    Antworten
  13. @marc
    ich hatte beim Durchlesen schon vermutet, dass ich mich da zu schwammig ausgedrückt habe, doch da wollte der „edit“-Button wohl nicht mehr.
    Vollkommen richtig. Falsche Berichte sind allemal schlimm genug und schwarze Schafe gibt es leider überall. Mir war es aber vor allem wichtig einmal zu sagen, dass es eben nicht vorsätzlich geschieht. Den Eindruck erhalte ich manchmal, wenn ich kritische Kommentare zu Journalisten lese. Das mit der Faulheit will ich dann hier mal streichen.
    Bei unserem Lokalredakteur-Bsp. sehe ich das Problem genau dort, was Du ansprichst. Den „kompetenten Kollegen“ hat es vllt. einfach nicht gegeben. Jetzt saß der Mann an seinem Schreibtisch, sollte unter Zeitdruck zu einem Thema schreiben von dem er kaum Ahnung hat und das dazu auch noch sehr komplex ist. Da läuft etwas schief… Weniger aber da, dass er die Finger davon hätte lassen sollen, als dass von ihm etwas gefordert wird, das er nicht leisten kann. Es ist ein generelles Problem in den Medien auf das ich hinaus will. Die wenigsten Verlage leisten sich nun mal den „kompetenten Kollegen“.
    Ich sehe es aus der Sicht des Journalisten und frage mich wie es überhaupt so weit kommen kann. Eine Erklärung: Der Druck auf die Berichterstatter wächst und zugleich werden viele Redaktionen immer kleiner. Während dich als Wissenschaftler sachliche Fehler im Artikel ärgern, wurmen mich die Bedingungen unter denen sie oftmals geschehen.

    Antworten
  14. @kamenin:

    Danke für den Link. Und der Artikel von Andreas Sentker ist (jedenfalls nach meinem Geschmack) sehr gut. Er skizziert sehr anschaulich, in welchem Dilemma sich wissenschaftliche Forschung befindet, wenn das Forschungsinteresse mit Ängsten der Bevölkerung kollidiert. Eine einfache Lösung gibt es hier einfach nicht – weder kann man die Vorbehalte der Bevölkerung ignorieren, noch ohne weiteres das Forschungsinteresse der Wissenschaft beschneiden. Aber: eine „absolute“ Freiheit der Forschung gibt es nicht.

    Man sollte nicht so naiv sein und verkennen, daß wissenschaftliche Neugier auch Grenzen hat. Aber das ist wieder ein eigenes Thema.

    Wenn wir über die Berichterstattung reden, so plädiere ich ja für die Beachtung des juristischen Prinzips „audiatur et altera pars“. Im Grunde genau Deine Forderung nach Ausgewogenheit.

    Im ZEIT-Artikel geht es um die Auseinandersetzungen im Freilandversuche mit Mon810 der FH Nürtingen. Und wir reden nicht im egentlichen Sinne über Wissenschaftsjournalismus, sondern über Lokalberichterstattung. Das ist wirklich nochmal ein anderes Problemfeld.

    @lh:

    In den meisten Punkten stimmen wir wohl überein. Allerdings muß ich Dir widersprechen, wenn es um den in der ZEIT geschilderten Fall geht. Du schreibst:

    Jetzt saß der Mann an seinem Schreibtisch, sollte unter Zeitdruck zu einem Thema schreiben von dem er kaum Ahnung hat und das dazu auch noch sehr komplex ist.

    Das ist so nicht zutreffend. Seit 1995 gab und gibt es Freilandversuche in und um Nürtingen mit gentechnisch verändertem Saatgut, wogegen sich Proteste regten. Seitdem wird diese Thematik von der Lokalpresse begleitet. Es ist also nicht so, daß der Redakteur plötzlich und unvermittelt unter Zeitdruck sich einen Text aus den Rippen schnitzen sollte. Die Thematik ist seit Jahren für die dortige Redaktion ein Gegenstand ihrer Berichterstattung.

    Aber, wie gesagt: hier geht es nicht um Wissenschaftsjournalismus, sondern darum, daß Lokaljournalisten sich als Teil einer Kampagne begreifen. Das wird der Sache freilich nicht gerecht, denn gerade im Beispielfall erwarte ich von Journalisten, daß sie alle Seiten beleuchten. Ich habe selbst genau zu solchen (Risiko-)Diskursen gearbeitet und kann einschätzen, wie widersprüchlich die Aussagen von Experten sind, wie widersprüchlich die Infos der einzelnen Akteure.

    Aber da muß man als Journalist durch und sich bemühen eben diese Widersprüchlichkeit angemessen seinen Lesern zu vermitteln. Wie schreibe ich für die Wissenschaftskommunikation 2.0? Genau: es geht um „wissenschaftsmündige“ Bürger! Sich als Journalist auf eine Seite zu schlagen, ohne daß man dafür handfeste Gründe benennen könnte, ist schwach.

    Hinweis: Ich halte das Gebaren der Saatgutkonzerne Monsanto, Syngenta und Co. auch für fragwürdig. Ich saß schon einige Male in den Büros von leitenden Mitarbeitern dieser Firmen. Aber bei meinen Interviews hatte ich mehrfach den Eindruck, ich säße einem Stück Seife gegenüber… – dennoch halte ich die Sabotage von Wissenschaft (v.a. wenn die Protestbewegung Schaum vorm Mund hat) für falsch.

    Antworten
  15. @ marc
    wenn seit 1995 lokal berichtet, dann ist das wirklich ein trauriges Beispiel. Danke für die Info (leider ist das Archiv der http://www.ntz.de/ nur für Abonnenten zugänglich). Trotzdem mag ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass das nicht allgemeine Praxis ist..
    Ansonsten: ja, ja und ja. Da kann und möchte ich nicht widersprechen. Guter Journalimus sieht anders aus und muss sich objektiv verhalten, gerade bei solch heiklen Themen.

    Antworten
  16. Pingback: Fischblog
  17. @Marc W.:

    Unsere Internetseite für den WJ-Tag ist leider noch in Vorbereitung.

    @kamenin:

    Ist ‚ethische Fragen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund‘ besser?

    Zum Umgang mit ethischen Fagen: Ich finde, wer da fahrlässig ist, handelt verantwortungslos – egal welcher Berufsgruppe er angehört. Allerdings sollten Journalisten sich da ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein.

    Antworten
  18. @ Doro Schulte

    Klar, besser :-) Aber eigentlich war der Beisatz eh als Zustimmung gemeint: auch im Umfeld der Wissenschaft auftretende ethische Fragen können nicht „wissenschaftlich“ gelöst werden und gehören darum zwangsläufig in die gesellschaftliche Debatte — nur eben in eine sachbezogene und informierte, keine auflagenorientierte oder populistische.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar