Anpfiff! Wenn Roberto Rosetti heute um 18 Uhr in Basel das EM-Eröffnungsspiel zwischen der Schweiz und Tschechien anpfeift, dann beginnt damit nicht nur die von Millionen Fans sehnlichst erwartete Fußball-Europameisterschaft 2008. Denn Rosetti1 gibt damit nicht allein den Startschuß für das dreiwöchige Fußball-Spektakel, sondern zugleich für die Hochzeit der Phrasendrescherei und dünne Expertenweisheiten. Dabei sind einige der fußballerischen Glaubenssätze nicht einmal wahr…
Seit Wochen steigt die Fieberkurve der (Sport-)Öffentlichkeit kontinuierlich an. Eigentlich muß man schon fast froh sein, daß es heute endlich losgeht, denn all die Spekulationen um die Fitneß einzelner Spieler oder gleich des ganzen Teams, all die Geheimniskrämerei um Mannschaftsaufstellungen und taktische Ausrichtung, haben in den letzten Tagen ein schon bedrohliches Ausmaß angenommen.2
Und je dünner die tatsächliche Nachrichtenlage,3 desto höher die Gefahr, daß sich Sportjournalisten an Nebensächlichkeiten festbeißen. Und dann wird sogar das Gejammer eines betagten Torhüters, der über den neuen, angeblich allzu flatterhaften EM-Ball lamentiert, zum Megathema hochgeschrieben.
Die Geschichte mit dem Flatterball
Worum geht’s? Jens Lehmann, bei Arsenal London zuletzt ausrangierter Torwart, der hierzulande immer noch von seinem Heldenbonus 20064 zehrt, meckert über die Eigenschaften des offiziellen EM-Balls „Europass“. Der Ball „flattere“, so gab er vor 2 Wochen zu Protokoll und er sei noch schlechter als der WM-Ball des Jahres 2006, der den Namen „Teamgeist“ trug. Wörtlich:
„Der Ball ist sehr schwierig für mich. Er fliegt noch unregelmäßiger als sein Vorgänger.“
Kann das sein? Denn Hersteller adidas bewirbt das neue Spielgerät als den „besten Fußball aller Zeiten.“ Man habe jetzt eine neue Oberflächenstruktur entwickelt. Die Außenhaut des Balls besteht aus einer Microstruktur, an der Regen abperle und – so die Eigenwerbung von adidas – wodurch der Ball besonders „griffig“ werde. Chefdesigner Thomas Weege beschreibt den „Gänsehaut-Effekt“ das Balles folgendermaßen:
„Das verleiht jedem Spieler mehr Kontrolle über den Ball und macht das Verhalten des Balles auch bei widrigsten Witterungsverhältnissen berechenbar.“
Was nun? Ist der Ball nun besonders berechenbar oder besonders flatterhaft? Will sich der olle Lehmann nur prophylaktisch gegen etwaige Unsicherheiten absichern, wenn ihm ein müder Schuß durch die Hände rutscht, um dann auf den doch so torhüterunfreundlichen Ball zu verweisen? Kann ein Ball überhaupt „flattern“?
Wenn sich „Wirbel“ überlagern…
Metin Tolan, der „Fußballprofessor“ aus Dortmund, hat nun in den Wissenslogs die Sache physikalisch erklärt.5 Ursache dafür, daß ein beschleunigter Ball6 überhaupt seine Flugbahn ändern kann bzw. daß diese kurvenförmig verläuft, ist der „Magnus-Effekt„. Dieser Effekt kommt dadurch zustande, daß die Luft beim Umströmen des Balls (unter der Bedingung, daß dieser mit „Drall“ geschossen ist) sich nicht „gleichmäßig“ von der Außenhaut des Balls ablöst, sondern hinter dem Ball kleine Luftwirbel bildet. Und diese „Wirbelschleppe“ ist (durch die Ballrotation) asymmetrisch.
Oder nochmal anders erklärt: der fliegende und zugleich rotierende Ball erzeugt hinter sich ein Druckungleichgewicht. Das kommt dadurch zustande, daß auf die eine Ballseite gegen die Strömungsrichtung, die andere mit der Luftströumg rotiert. Und durch die (raue) Balloberfläche wird vom Ball selbst ein wenig Luft mitgeführt bzw. mitgerissen, die eben einmal länger am Ball „haften“ bleibt und auf der anderen Seite schon etwas früher „abgelöst“ wird. Und dieses Mißverhältnis führt zu den asymmterischen Druckverhältnissen und der Kurvenbahn des Balles.
Im Schaubild sieht das alles so aus:
Und legendäre Fußballer, wie etwa der frühere Hamburger Manfred Kaltz, müssen dem „Magnus-Effekt“ dankbar sein. Denn ohne diesen, gäbe es keine Bananenflanke.7
Nun aber zum „Flatterball“. Überhaupt ist das Phänomen nur dadurch erklärbar, daß der Ball oberhalb einer bestimmten „kritischen Geschwindigkeit“ abgeschossen wird. Unter dieser Bedingung (hohe Schußgeschwindigkeit) wirkt nämlich zunächst eine zusätzliche „laminare Strömung“, die mit ihren Wirbeln die feine Wirbelschleppe (die oben skizziert ist) überlagert. Also: liegt die Geschwindigkeit oberhalb eines bestimmten kritischen Tempos, so tritt zuerst die „Inverse Magnus-Kraft“ auf. Wenn der Ball aber wieder langsamer wird, so hört dieser Effekt auf und nur noch die „einfache“ Magnus-Kraft wirkt. Metin Tolan schreibt:
„Wie können wir nun das „Flattern“ des Balles erklären? Man schießt einen Fußball mit einer Geschwindigkeit oberhalb der „kritischen Geschwindigkeit“, wobei der Ball – möglicherweise ungewollt – auch angeschnitten wird und um eine senkrechte Achse in der Luft rotiert. Der Ball wird dann zunächst wegen des inversen Magnus-Effektes, wie oben beschrieben, in eine Richtung abgelenkt. Nun wird der Ball aber auch durch den Luftwiderstand langsamer und erreicht irgendwann eine Geschwindigkeit unterhalb der „kritischen Geschwindigkeit“. Ab jetzt wirkt dann der „normale“ Magnus-Effekt und lenkt den Ball in die entgegengesetzte Richtung ab. Insgesamt hat der Ball sich dann auf seiner Flugstrecke aus Sicht des Torwarts hin-und-her bewegt – er ist „geflattert“.“
Rein physikalisch können die neuen Bälle nicht „flattern“. Dazu wäre das Erreichen einer „kritischen Geschwindigkeit“ notwendig…
Das Problem: diese Richtungswechsel können im Prinzip nur zustandekommen, wenn ein Ball überhaupt die „kritische Geschwindigkeit“ erreicht. Diese läßt sich aber – so Tolan – sehr einfach bestimmen und wird beim Balldesign berücksichtigt. D.h. die neuen Bälle können diese notwendige Geschwindigkeit, die für ein „flattern“ notwendig wäre, gar nicht erreichen bzw. es gibt diese Geschwindigkeit für diese Bälle gar nicht:
„Warum kann nun dieses „Flattern“ bei einem Fußball und insbesondere bei dem neuen „Europass“-Fußball nicht auftreten? Ganz einfach: Weil es bei einem solchen Fußball mit hoher Wahrscheinlichkeit gar keine „kritische Geschwindigkeit“ gibt! Der eben beschriebene Effekt kann nur auftreten, wenn die Luftwiderstandskurve nicht monoton mit steigender Geschwindigkeit ansteigt.“
Wem wollen wir nun also glauben? Den Praktikern wie Lehmann oder auch dem tschechischem Keeper Petr Cech, der ebenfalls über den Ball klagte oder den Gesetzen der Physik? Oder gehört es inzwischen einfach dazu, daß die Torhüterriege im Vorfeld einer solchen Meisterschaft sich über das Spielgerät beschwert? Zumal wenn der offizielle Spielball von adidas hergestellt wird und man selbst – wie Lehmann – mit einem anderen Sporthersteller („Nike“) vertraglich liiert ist?
Und was lernen wir daraus? – Auch für Fußball-Fans kann die Lektüre von Wissenschaftsblogs lehrreich sein. ;-)
- Tolan, Metin: Warum Fußbälle garantiert nicht flattern, in: Querkraft (Wissenslogs), 02.06.2008
- FTD: Der EM-Ball 2008 – Licht und Schatten, 03.06.2008
Literaturtipp:
- Wesson, John (2005): Fussball – Wissenschaft mit Kick: Von der Physik fliegender Bälle und der Statistik des Spielausgangs. Spektrum Akad. Verlag.
Technorati-Tags:
Flatterball
Fußball-EM
Lehmann
- Bei dem man darüber spekulieren darf, ob er seinen Einsatz als Referee im Eröffnungsspiel vielleicht seinem wohlklingenden Namen zu verdanken hat. Roberto Rosetti! Das hat doch was. Schiedsrichter-Künstlername? [↩]
- Nur in der Blogwelt schlägt die Begeisterung bislang verhältnismäßig flaue Wellen. [↩]
- In Form von Toren, vertanen Chancen, Tabellenständen etc. [↩]
- Als er im Elfmeterschießen gegen Argentinien die Nation verzückte. [↩]
- Auch Markus Trapp von „Text&Blog“ hat schon darauf verwiesen. [↩]
- Der ja nichts anderes als eine fliegende Kugel ist. [↩]
- Benannt ist der „Magnus-Effekt“ nach dem Berliner Physiker Heinrich Gustav Magnus, der beschrieb, daß ein rotierender Ball sich auf einer Kurvenbahn bewegt. [↩]
10 Gedanken zu „Die Angst des Lehmanns beim Elfmeter » Weshalb es den Flatterball nicht gibt | Werkstattnotiz LXXXXIV“
Ich schlucke diese Flatter-Widerlegung aber erst, wenn wenigstens diskutiert wird, ob und welche (und womöglich auch keine) Konsequenzen die Eigenschwingungen des getretenen Fussballs haben.
Nur zu sagen, der Fussball ist eine perfekte Kugel, ist zwar ein komplett vernünftiger erster Ansatz, aber man sollte doch wenigstens darüber nachdenken, welche Rolle Effekte höherer Ordnung spielen könnten und ob man die einfach unter den Tisch fallen lassen kann.
Oh mein….GOTT !!!! DER FLATTERBALLL !!!!!!!!! ER WIRD UNS ALLE TTTÖÖÖÖTEN !!!!!!!!!!!!!!!!! AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!!!!!!
Ich glaube, hier sind die richtigen Ansprechpartner weder Balldesigner noch Physikprofessoren, sondern Medienwissenschaftler und vielleicht Journalisten. Schließlich geht es beim Fußball längst nicht mehr darum, „das Runde in das Eckige“ zu schieben. Vielmehr muss man viel (Medien-)Wirbel verbreiten, um Anteil am großen Geld zu bekommen. Und das ist dann – mit oder ohne Verwirbelung und Abriss der Grenzschicht – heiße Luft.
Überlegt doch mal in welche Richtung sich ein Ball drehen muss, um eine Links-Kurve zu beschreiben! Die Magnus-Kraft im Bild zeigt genau in die falsche Richtung!
Tolle Erklärung!!!
Flatterball und Bananenflanke sind 2 paar Schuhe.
Für die Bananenflanke ist der Magnuseffekt verantwortlich. Dieser wird erzeugt, wenn ein rotierender Körper von einer Luftströmung getroffen wird. Es entsteht im Gegenwind eine Kraft die Quer zur Rotationsachse wirkt. Unser Fussball durch den geschickten Spieler nicht nur in eine vorwärts gerichtete Bewegung gesetzt, sondern auch in eine Rotation. Der „Fahrtwind“ und die Rotation bewirken, dass der Ball nicht grade, sondern „um die Ecke“ fliegt. Flettner hat diesen Effekt auch als Schiffantrieb genutzt.
Den Flatterball kenne ich vom Volleyball. Der Ball flattert bei einem Anschlag, wenn er beim Hochwerfen nicht rotiert und dann genau in der Mitte getroffen wird, also möglichst überhaupr nicht rotiert. Dann teten auf seinem Weg durch die stehende Luft unregelmässige Wirbel auf, die ihn zun „fattern“ bringen. Rotiert der Ball stabilisiert das die Flugbahn es können Kurven geflogen werden aber die Richtungsänderung ist stetig, es treten keine Richtungswechsel wie beim Flattern auf.
@Christoph:
Die Skizze ist korrekt und es ist genau so, wie man es aus dem Alltag kennt!
Der Ball bewegt sich in der Skizze nach links und wird durch die Drehung im Uhrzeigersinn nach oben abgelenkt. Beim Tischtennis oder Fußball kann man das genau in dieser Weise beobachten.
Ob man sich da nicht irrt. Da auch die neuen Bälle ganz offensichtlich flattern können, ganz ohne Eigenrotation…
Es ist zwar schon etwas her, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Es existieren Flatterbälle! Flatterbälle sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Richtung ändern, im Gegensatz zum einfachen Spin bzw. zur Banane.
Die Rotation des Balles ändert bei einfacher Betrachtung des Magnus-Effektes die Flugparabel… also weiter oder kürzer bzw. in eine Richtung.
Beim Flatterball ändert sich jedoch die eingeschlagene Richtung scheinbar plötzlich. D.H. seine ursprüngliche Bahn wird verlassen, was es im Fall des Fußballs für den Torwart schwierig macht die Richtung zu erahnen.
Der physikalische Grund liegt in der nachlassenden Geschwindigkeit aufgrund des Luftwiderstandes. Bei hoher Fluggeschwindigkeit und Rotation ist der Spin-Effekt umgekehrt. Man spricht von einem sogenannten inversen Magnus-Effekt. der Ball dreht trotz Anschnitt in eine andere Richtung. Unterschreitet der Ball die kritische Geschwindigkeit, so kommt der eigentliche Magnus-Effekt zum tragen und ändert die Richtung. Also genaugenommen flattert der Ball nicht, sondern ändert lediglich die Richtung. Ein Einfaches Beispiel ist hier der angedreht geworfenen Gymnastikreif. Ist die Geschwindigkeit des Wurfes hoch, dreht sich der Reif trotz Reibung auf dem Boden von uns weg. Wird er so langsam, dass die Geschwindigkeit gegenüber der Drehung vernachlässigbar wird, kommtz er wieder zurück.