» Die Blogosphäre als Netz lesen
Man kann Netzwerkanalysen für ziemlich viele soziale Zusammenhänge anstellen. Fast immer ist das mit unendlich mühsamer Datensammlung und Eingabe verbunden – wenn man fleißig genug ist, lohnt sich der Aufwand. Ein Feld, das sich allerdings geradezu für eine netzwerkanalytische Betrachtung aufdrängt ist natürlich die Blogosphäre.
Wer verlinkt auf wen? Wer knüpft mit ’strong‘ oder ‚weak‘ ties an andere Knoten an? Welche Blogs bilden einen Diskursraum bzw. ein eng verlinktes Netz? Welche Mikro-Blogosphären bilden sich?
Es gäbe noch viele weitere spannende Fragen. Je nachdem, wie die Fragestellung aussieht, so lassen sich hochinteressante Ergebnisse erzielen.1 Wie ich bei Jan soeben lese, so präsentiert Markus Beckedahl bei Netzpolitik erste Visualisierungen der deutschen Blogosphäre. Diese stammen von John Kelly, Chef von „Morningside Analytics“ der u.a. mit dem „Berkman-Center for Internet & Society“ der Harvard University zusammenarbeitet. John Kelly hatte bereits die US- und die iranische Blogosphäre eingehend analysiert und kartografiert und nimmt sich nun andere Länder vor. Und so sieht eine erste Darstellung aus:
Man sieht, daß man zunächst nicht viel sieht. ;-)
Also: es ist natürlich notwendig, sich eine solche Visualisierung detaillierter anzusehen und mit einigen Parametern zu spielen. Allerdings zeigt sich laut Markus, daß die deutsche Blogosphäre einen deutlich niedrigeren Vernetzungsgrad aufweist, als bspw. die französische. Mehr Infos gibt es bei Markus/Netzpolitik und man darf auf weitere Auswertungen gespannt sein.
- Netzpolitik: Die deutsche Blogosphäre kartografieren, 05.06.2008
» Allerweltsnamen und Extravaganzen
Ein weiteres Beispiel, wie faszinierend und informativ visuelle Darstellungen sind, ist der „Name Voyager“. Die Namenskundlerin Laura Wattenberg hat in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dem Computer- und Medienwissenschaftlers Martin Wattenberg, ein Online-Tool entwickelt, das die gebräuchlichsten Vornamen in den USA im Zeitverlauf darstellt.
Datengrundlage sind die Zahlen der „Social Security Administration (SSA)“, die seit über 100 Jahren die Häufigkeit von Babynamen verzeichnet. Und mit diesem wunderbaren Spielzeug, auf das ich bei Ali aufmerksam wurde, kann man nachvollziehen, wie sich die Popularität von Namen über die Jahre hinweg verändert.
Ein Beispiel gefällig?
Also, wenn man etwa den Namen der Beinahe-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton eingibt, so ergibt sich folgendes Bild:
Und man stellt fest: die Eltern der ehrgeizigen US-Senatorin waren Trendsetter! Im Geburtsjahr 1947 von Hillary war ihr Name noch nicht unter den 1000 geläufigsten Namen verzeichnet. Dann stieg allerdings die Kurve steil an. Und: Man sieht, daß Ende der 80er Jahre der Name wieder starke Einbußen hinnehmen mußte… bis, naja, ich deute den Wiederanstieg in den letzten Jahren durchaus mit der Prominenz von Ms. Clinton als First Lady. :-)
Wie sich wohl die Gebräuchlichkeit des Namens weiter entwickelt?
Mit dem Tool sind jedenfalls spannende Experimente möglich. Schade, daß es ein ähnliches Instrument nicht auch für Deutschland gibt. Für Familiennamen zeigt etwa „GeoGen“ die geographische Verteilung an – aber der Zeitverlauf ist doch mindestens ebenso spannend.
Wer macht weitere tolle Entdeckungen beim Vornamen-Surfen?2
- Baby Name Wizard: Name Voyager
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Visualisierungen
- Die mitunter durchaus mit den Vorannahmen im Widerspruch stehen können. [↩]
- Ali sammelt übrigens auch Fundstücke… [↩]
6 Gedanken zu „Kartographie der Blogosphäre ::: Visualisierungstool für Namen | Werkstatt-Ticker 32“
Zu den soziologischen Zusammenhängen rund um die Wahl von Vornamen kann ich übrigens J. Gerhards (2003): „Die Moderne und ihre Vornamen“ sehr empfehlen (http://www.perlentaucher.de/buch/16404.html). Es gibt auch eine kürzere Aufsatzfassung, die glaube ich im Berliner Journal für Soziologie mal erschienen ist. Nutze ich gerne als Einstieg ins soziologische Denken bei Lehrveranstaltungen.. :)
@Jan:
Danke für den weiterführenden Hinweis. Ist ja definitiv ein spannendes und v.a. alltagsnahes Gebiet. Pierre Bourdieu hatte ja auch – ähnlich wie Jürgen Gerhards – skizziert, wie Individualisierungsprozesse sich in der Namensgebung niederschlagen. Wobei diese dennoch an schicht- und/oder klassenspezifische Muster rückgebunden bleibt. Es sind die „feinen Unterschiede“, die letztlich doch immer wieder durchschlagen. :-)
Aber, für alle nochmal zum Mitschreiben:
Jürgen Gerhards, 2003: Die Moderne und ihre Vornamen. Eine Einladung in die Kultursoziologie. Wiesbaden. Westdeutscher Verlag.
Und:
Jürgen Gerhards, 2003: Geschlechtsklassifikation durch Vornamen und Geschlechtsrollen im Wandel, in: Berliner Journal für Soziologie 13, S. 59-76. Den Text gibt es hier als PDF.
Der Name-Voyager ist auch interessant wegen seiner technischen Umsetzung: die Live-Abbildung der Ergebnisse fasziniert mich: d.h. während man einen Namen beginnt zu tippen, werden die passenden Graphen schon – ggfs. gleichzeitig! – abgebildet.
Auch ein interessantes Namensphänomen stellt eine Abfrage nach Leonardo dar. ;-)
@Markus:
Ja, mir geht es ja auch so, daß ich ganz begeistert darüber bin, wie 1.) die technische Umsetzung abläuft, 2.) es dabei wirklich spannende Entdeckungen zu machen gibt.
Alles in allem: informatives Spielzeug.
Und, wow!: „Leonardo“ ist wirklich bemerkenswert.
Schade, dass nur die Top 1000 Namen einer Dekade verzeichnet sind. Die Suche nach dem MÄNNLICHEN Vornamen „Hilary“ liefert kein Ergebnis. Einer der Top 10 Philosophen der Gegenwart heißt Hilary Putnam (http://en.wikipedia.org/wiki/Hilary_Putnam), Jahrgang 1926.
Ich war etwas irritiert, als ich zum ersten Mal den Vornamen von Frau Clinton gehört habe.
@Björn:
Ja, leider sind die etwas exotischeren Namen nicht berücksichtigt. Der Datensatz gibt eben nur die populärsten 1000 Namen aus.
So bleibt uns auch verwehrt zu erfahren, ob Noam Chomsky für die Popularisierung seines Namens sorgen konnte. (Dafür sehen wir, daß der Name „Noah“ in den letzten 25 Jahren einen Popularitätssprung machte…)