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» Sauberer Radsport und andere Märchen
Ehrlicherweise war ich die letzten Tage fast überrascht, daß die erste Woche der „Tour de France“ fast schon den Eindruck eines ganz normalen Sportereignisses machte. Die siegreichen Radhelden wurden am Ende der täglichen Etappen bejubelt, auf ein Siegerpodest gebeten und dort von jungen Damen küssenderweise beglückwünscht.
Sollte im Radzirkus wirklich ein Umdenken stattgefunden haben, was die Zuhilfenahme unerlaubter Substanzen zur Leistungsteigerung angeht? Oder sind die Dopingkontrolleure müde geworden und haben keine Lust? Egal – seit gestern bestimmen wieder die bekannten Themen die Schlagzeilen. Der spanische Radprofi Manuel Beltran war bereits vor der 1. Etappe von Brest nach Plumelec in der Bretagne positiv auf das Blutdopingmittel EPO getestet worden.
Gedopte Radstars: The same procedere as every year…
Alles andere – eine Tour ohne Dopingbegleiterscheinungen – hätte mich auch überrascht. Und insofern bin ich nachhaltig entzückt darüber, wie uns Thilo Kuessner in einem wunderbaren Blogbeitrag vor Augen führt, welches unglaubliche Spektakel alljährlich dort stattfindet. Denn, wie Thilo ganz nüchtern skizziert: die Tour wird immer länger, immer schwieriger (=mehr Bergetappen) und dennoch steigt die Durchschnittsgeschwindigkeit immer weiter an.
Nochmal: Jahr für Jahr begeben sich die leistungsstärksten Radprofis auf die viele tausend Kilometer lange Radrundreise. Und jeder hat das Ziel, als Erster in Paris auf den Champs-Élysées anzukommen. Bei steigender Schwierigkeit der Strecke, fahren die Radstars aber immer schneller! Woran mag das wohl liegen? Tollere Energydrinks? Energiereichere Müsliriegel? Oder…
Tja, wer es genauer weiß, der möge Thilos Frage beantworten:
„Wie wahrscheinlich ist es, daß solche Leistungssteigerungen ohne Doping möglich sind?“
- Kuessner, Thilo: Rechenaufgaben zur Tour de France, mathlog, 11.7.2008
Mehr zum Dauerthema Doping in der Wissenswerkstatt:
- Wissenswerkstatt: Saubermänner, Lügenbarone und die rettende Kapitulation » Wie sich der Radsport aus dem Dopingsumpf ziehen könnte, wenn er denn wollte, 27.7.2007
- Wissenswerkstatt: Ärzte im Schafspelz. Die Freiburger Sportmedizin » Dopingarrangements im Spitzensport, 31.5.2008
» Wer profitiert von der Hormontherapie bei Prostatakrebs?
Einem ganz anderen Thema widmete sich Bert Ehgartner vor einigen Tagen in seinem medizinischen Blog. Es geht in seinem Artikel um die unterschiedlichen Therapieansätze bei Prostatakrebs. Wenn ein solches Karzinom diagnostiziert ist, stehen nämlich ganz unterschiedliche Maßnahmen zur Debatte: Bestrahlung, Operation, Hormontherapie oder das sogenannte „watchful waiting“ (also die regelmäßige Überprüfung des Wachstums).
Paradox: Die Therapie erhöht die Sterblichkeitsrate!
Es ist dabei umstritten, welches therapeutische Konzept für welchen Patienten empfehlenswert ist. Da der Altersdurchschnitt der betroffenen Männer sehr hoch ist und man weiß, daß in sehr vielen Fällen das Prostatakarzinom gar nicht mehr relevant wird, da die Patienten zuvor an anderen Erkrankungen sterben, ist Abwarten gar nicht immer die schlechteste Lösung.
Allerdings werden Bestrahlungen durchaus häufig angewandt und auch eine Hormonbehandlung wird als „sanfte“ Alternative zur OP propagiert. Eine aktuelle Studie, die letzte Woche in JAMA publiziert wurde,1 zeigt allerdings eindeutig, daß die rund 20.000 Männer, die in die Studie involviert waren, gar nicht von der vorsorglichen Hormonbehandlung2 profitierten. Wie Bert schreibt:
„Die Hormontherapie galt […] als sichere und halbwegs sanfte Alternative. In den USA boomten diese Medikamente in der Folge und stellten mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar pro Jahr den zweit größen Ausgabeposten der Krankenkassen. Völlig unnütz, wie die aktuelle Studie zeigt. Denn in der Hormongruppe war die Sterblichkeit an Prostatakrebs sogar um statistisch signifikante 17 Prozent höher. Die allgemeine Sterblichkeit unterschied sich nicht.“
In Deutschland wird aber (u.a. von Selbsthilfegruppen) die Hormonbehandlung bisher noch fleißig beworben. Ich frage mich nur: wie kann man nur flächendeckend ein therapeutisches Konzept anwenden (das den Pharmakonzernen mehr als 1 Milliarde US-Dollar Umsatz bringt und die Sozialkassen genauso belastet), dessen Nutzen gar nicht wirklich belegt ist.
Ob diese neue, ernüchternde Studie schnell an der Verschreibungs- und Behandlungspraxis etwas ändert, wird sich zeigen. Sicher bin ich mir nicht. Die Pharmariesen werden durchaus weitere Studien ausbuddeln, die doch einen Nutzen belegen (sollen)…
- Ehgartner, Bert: Chemische Kastration ist keine gute Option bei lokalisiertem Prostatakrebs, Lob der Krankheit, 9.7.2008
Technorati-Tags:
- vgl. Grace L. Lu-Yao; Peter C. Albertsen; Dirk F. Moore; Weichung Shih; Yong Lin; Robert S. DiPaola; Siu-Long Yao: Survival Following Primary Androgen Deprivation Therapy Among Men With Localized Prostate Cancer, in: JAMA. 2008;300(2):173-181. [↩]
- Die mit einigen Nebenwirkungen einhergeht [↩]
3 Gedanken zu „Sportlogik: Doping ::: Pharmalogik: Gewinnmaximierung | Werkstatt-Ticker 47“
„Denn in der Hormongruppe war die Sterblichkeit an Prostatakrebs sogar um statistisch signifikante 17 Prozent höher.“
Höher als was? Die anderen Therapieformen oder den Verzicht auf eine Therapie?
„Ich frage mich nur: wie kann man nur flächendeckend ein therapeutisches Konzept anwenden (das den Pharmakonzernen mehr als 1 Milliarde US-Dollar Umsatz bringt und die Sozialkassen genauso belastet), dessen Nutzen gar nicht wirklich belegt ist.“
Das ist eine sehr gute Frage. Die kann man sicherlich auch bei vielen anderen Dingen stellen. Jedoch erst Recht bei den sogenannten „alternativ“medizinischen Methoden wie der Homöopathie, deren Wirksamkeit bisher in keinster Weise nachgewiesen werden konnte. Für diese Methode wurde gesetzlich (!) die Pflicht zum Wirksamkeitsnachweis abgelehnt.
In diese Bereich gibt es vermutlich reichlich Baustellen. :-(
@Stefan:
Um ehrlich zu sein, ist mir selbst nicht ganz klar, worauf sich Bert (ich habe ihn ja „nur“ zitiert) mit der Angabe der um 17% erhöhten Sterblichkeit bezieht. Wenn ich mir das Abstract durchlese, dann sehe ich lediglich, daß offenbar innerhalb einer Untergruppe die allgemeine Überlebensrate bei der Hormongruppe etwas geringer war, als bei derjenigen, die „konservativ“ (=Abwarten) behandelt wurde.
Und zu meinem Statement, daß ich nur wieder den Kopf darüber schütteln kann, daß flächendeckend eine bestimmte Therapie propagiert wird, ohne daß deren Mehrwert wirklich belegt ist, kann ich auch nicht viel mehr hinzufügen – daß auch andere Gesundheitsausgaben (Du sprichst die Alternativmedizin an) sehr hoch sind, stimmt.
Allerdings erzielt man in diesem Markt kaum mit einem einzigen Präparat solch riesigen Umsätze. In ganz Europa erzielen alle homöopathischen Unternehmen zusammengerechnet einen Umsatz von 1.7 Milliarden. Das ist dann doch ein Unterschied.