Der Sonderstatus des Menschen wankt: bislang war man davon ausgegangen, daß „Selbstbewußtsein“ allein dem Menschen und einigen Säugetieren vorbehalten ist. Nun zeigen spannende Experimente von Verhaltensforschern, daß auch Vögel prinzipiell in der Lage sind, so etwas wie ein Selbstkonzept zu repräsentieren.
Auslöser für diese revolutionäre Erkenntnis: die Forscher hatten eitle Elstern bei sich im Labor – und die schwarzen Vögel „erkannten“ sich selbst im Spiegel. Eine Fähigkeit, die man bislang nur bei hochentwickelten Säugern beobachtet hatte. Nun müssen – zumindest teilweise – einige Lehrbücher umgeschrieben werden.
Elstern erkennen sich selbst im Spiegel
Wie Helmut Prior (Universität Frankfurt), Ariane Schwarz und Onur Güntürkün (Ruhr-Universität Bochum) in einem spannenden Paper bei PloS Biology darstellen,1 konnten die Elstern ihr Spiegelbild zweifelsfrei als Abbild ihrer Selbst identifizieren. Ein Beweis von Intelligenz, komplexen Denkprozessen und durchaus so etwas wie „Selbstbewußtsein“.
Zu Testzwecken wurden die Elstern in einen Käfig gesetzt, dessen Seitenwand verspiegelt war. Die Elstern wurden mit Farbmarkierungen versehen und ihr Verhalten beobachtet. Und, wie Prof. Dr. Onur Güntürkün mitteilt:
„Nur wenn der Vogel mit einem gelben Punkt markiert und der Spiegel unverdeckt war, begann die Elster, den Punkt zu entfernen. Das zeigt uns, dass sie im Spiegelbild tatsächlich sich selbst erkannt hatten.“
Ein solches Verhalten ist bislang lediglich bei Menschenaffen (Schimpansen, Orang-Utan), sowie Delfinen und Elefanten beobachtet worden. Nun reiht sich die Elster in diese Liste der Tierarten ein, die offensichtlich zu abstrahierenden Denkprozessen und einer mentalen Selbstrepräsentation fähig ist.
Selbsterkenntnis auch ohne Neokortex möglich
Und das obwohl es bis dato als ausgemacht galt, daß dafür der Neokortex zuständig und notwendig ist. Der Neokortex ist der evolutionsgeschichtlich jüngste Teil der Großhirnrinde und lediglich bei Säugern vorhanden. Vögel weisen eine andere Hirnstruktur auf – kein Wunder, schließlich haben sich Vögel und Säuger seit mindestens 300 Millionen Jahren getrennt voneinander entwickelt.
Nun weiß man also, daß Selbst-Erkennen auch ohne Neokortex möglich ist – welche alternativen Organisationsstrukturen die Elstern dazu befähigen, müssen weitere Forschungen ergeben. Ein spannendes Arbeitsfeld für Verhaltensforscher und Kognitionspsychologen. Und ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis Neurologen den Elstern mit bildgebenden Verfahren auf den Leib bzw. eher: das Gefieder rücken.
- Mirror-Induced Behavior in the Magpie (Pica pica): Evidence of Self-Recognition Prior H, Schwarz A, Güntürkün O PLoS Biology Vol. 6, No. 8, e202 doi:10.1371/journal.pbio.0060202
- Pressemitteilung der Uni Bochum: Eitle Elstern: Vögel erkennen sich selbst im Spiegel
Experimente erlauben Einblick in die Evolution, 19.8.2008
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- Übrigens lohnt sich der Artikel diesmal unbedingt. Im Anhang gibt es nämlich auch noch kleine Videos von den Elstern Gerti, Goldie, Harvey und Schatzi zu sehen. [↩]
4 Gedanken zu „Schlaue Elstern beim Blick in den Spiegel » Nicht räuberisch, sondern intelligent und selbstbewußt | Werkstattnotiz 110“
Interessant aber nicht revolutionär.
Ich habe bereits vor zwei Jahren eine Dokumentation bezüglich dieser Entdeckung im Fernsehen gesehen.