Über Amokläufer, Fallstricke der Sportgeschichte und das Ende der fröhlichen Spiele von München 1972 » Oder: Wie sich der Sportwissenschaftler Arnd Krüger verhaspelt | Werkstattnotiz 107

MünchenIm Grunde ist die Sache so einfach, wie tragisch: am 5. September 1972 dringen palästinensische Terroristen in die Unterkunft der isrealischen Mannschaft im olympischen Dorf in der Münchner Conollystraße ein. Sie erschießen zwei Athleten und nehmen weitere neun Geiseln. Und sie verlangen die Freilassung von Andreas Baader und Ulrike Meinhof, sowie die Entlassung von über 200 palästinensischen Terrorverdächtigen aus isrealischer Haft.

Nach komplizierten Verhandlungen endet die Geiselnahme in einem deströs scheiternden Befreiungsversuch auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Die Einsatzkräfte sind heillos überfordert, die Attentäter zünden eine Handgranate – am Ende sind alle israelischen Sportler, ein Polizist und fünf Terroristen tot. Und der IOC-Präsident Avery Brundage verkündet mit den Worten „The games must go on“, daß die Münchner Spiele weitergehen, wenngleich die Heiterkeit nicht mehr zurückkehren wird.

„The games must go on“: Die Olympische Idee und die Politik

Wie gesagt: die Sache ist zwar kompliziert in ihren Abläufen und (welt-)politischen Zusammenhängen, aber hinsichtlich der Bedeutung des Olympia-Attentats sollte es eigentlich kaum Zweifel geben. Die Geiselnahme war ein dramatischer Anschlag auf den internationalen Sport und die ermodeten Sportler die traurigen Opfer eines irrwitzigen Terrorkommandos.

Umso erstaunlicher, daß 36 Jahre nach diesem Gewaltakt der Göttinger Sportwissenschaftler Arnd Krüger sich in unglücklichster Manier über das Münchner Attentat äußert, eine absurde Verschwörungstheorie bastelt und die isrealischen Sportler fast zu Komplizen der Attentäter macht. Was ist vorgefallen?

Über die Schwierigkeit über die Zeitgeschichte des Sports zu sprechen

Vom 19.-21. Juni 2008 fand in Göttingen eine Konferenz unter dem Titel „Sportgeschichte erforschen und vermitteln“ statt. Prof. Dr. Arnd Krüger ist Direktor des Sportinstituts an der Universität Göttingen und hielt während dieser Tagung einen Vortrag mit dem Titel „Hebron und München. Wie vermitteln wir die Zeitgeschichte des Sports, ohne uns in den Fallstricken des Antisemitismus zu verhaspeln?“.

Aber anstatt sich selbst an der Mahnung seines Vortragstitels zu orientieren – sich nämlich der Fallstricke des Antisemitismus bewußt zu sein – , stolperte und verhaspelte sich Krüger in geradezu grotesker Weise, wenn man den Zuhörern des Vortrags glauben darf.

Sporthistoriker Krüger: Isrealische Athleten sind bewußt für die jüdische Sache gestorben

Steile These: Haben die isrealischen Opfer des Münchner Terroranschlags von ihrem Schicksal gewußt?

Krüger stellte nämlich die These auf, die elf Sportler hätten von dem bevorstehenden Attentat gewußt und seien bewußt in den Tod gegangen, um damit der israelischen Sache zu dienen. Die Olympioniken David Mark Berger, Ze’ev Friedman, Joseph Gottfreund, Eliezer Halfin, Joseph Romano, André Spitzer, Amitsur Schapira, Kahat Schor, Mark Slavin, Jaakov Springer und Moshe Weinberg, die gemeinhin als tragische Opfer gesehen werden, sind – so darf man wohl Krügers Darstellung deuten – weniger als passive Opfer, sondern vielmehr als Akteure innerhalb des Geschehens zu betrachten, die sich aktiv „opferten“.

In einem Radiobeitrag des Deutschlandfunks (MP3)1 ist ein Mitarbeiter der Uni Gießen mit folgendem Statement zu hören:

„Naja, er hat gesagt, die jüdischen Sportler hätten gewußt, dass es ein Attentat geben werde, sie seien freiwillig in den Tod gegangen für eine größere jüdische Sache und das ist eine These, die, wie gesagt, durch keinerlei Quellen zu belegen und die schlichtweg absurd ist und letzendlich ist das für mich eine Verhöhnung der Opfer“.

Kaum verwunderlich, daß sich sowohl die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft, als auch der DOSB von Krügers Behauptungen distanzierten und ihn zu einer Entschuldigung aufforderten. Und auch der Zentralrat der Juden machte seine Empörung deutlich.

Seltsame Rechtfertigungsversuche

Das ist alles erwartbar. Interessant ist aber, daß sich Krüger mehrmals damit rechtfertigte, daß er einige Mitglieder der olympischen Mannschaft Isreals persönlich gekannt habe und er das Attentat selbstverständlich tief bedauere und verurteile. Von seiner Position rückt er allerdings kaum ab. Und – wie ich hier auf den Seiten der „Göttinger Stadtinfo“ lese – hat Krüger einige Tage vor seinem unseligen Vortrag der Studentenzeitschrift ein Interview gegeben. Und dort ist folgenden Passage zu lesen:

„Ich war 1971 Betreuer der israelischen Leichtathleten bei den Vorolympischen Spielen. Vor allem zwei der Leichtathletinnen, die in meinem Verein in Leverkusen für einige Zeit mittrainierten, kannte ich gut. Man hatte mir vorher gesagt: „Die kommen und wir sind gar nicht mehr da“. Ich verstand erst später richtig, worum es ging. Als die Attentäter in das Olympische Dorf eindrangen, flüchtete einer der Geher als letzter aus dem israelischen Quartier über den Balkon.

Er hatte zentimeterdicke Brillengläser, d.h. er war praktisch blind ohne Brille, Und wenn jemand wie er flüchten konnte, hätte jeder flüchten können. Aber die Anderen wollten nicht. Sie hatten sich freiweillig gemeldet und wussten, dass die Palästinenser kommen würden. Nicht wann – aber dass. In der israelischen Presse war die unsichere Lage schon Wochen vorher diskutiert worden. Daher hatte man die gesamte Frauenmannschaft in München privat untergebracht. Nicht mehr als eine Person pro Wohnung, um kein Risiko einzugehen, Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da. ..“

Was bezweckt ein renommierter Sporthistoriker mit solchen Aussagen? Kann er nicht ahnen, daß er damit einen Sturm der Entrüstung provoziert? Denn, wohlgemerkt: außer anekdotischen Verweisen, hat Krüger keine Belege parat! Es sind kaum mehr als Spekulationen – aber Krüger spricht als Wissenschaftler.

Wenn Spekulationen historische Belege verdrängen…

Eigentlich ein Fall für eine Prüfungskommission, die von der Uni Göttingen auch installiert wurde – allerdings mit recht zweifelhaftem Ergebnis. In der Süddeutschen Zeitung mußte man lesen:

[Krüger] „… hatte auf einer wissenschaftlichen Tagung im Juni die These aufgestellt, dass die israelischen Sportler freiwillig in den Tod gegangen seien, um, so Krüger, „der Sache Israels als ganzer zu nutzen“, und eine abstruse Verbindungslinie gezogen zu einem angeblich andersartigen Körperbild, das in Israel vorherrsche.

Krüger hatte in seinem Vortrag behauptet, dass die Abtreibungsrate in Israel bis zu zehn Mal höher sei als in anderen westlichen Industrienationen, eine fatale Fehleinschätzung, wie amtliche Statistiken belegen. Eine von der Universitätsleitung vor drei Wochen eingesetzte Ombudskommission sieht die so genannten „Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis“ im Fall Krüger dennoch als nicht verletzt an und verzichtet auf jede Kritik an Krüger, obwohl dieser für seine Behauptungen bis heute keine Belege präsentierte.“

Wie halten wir es mit Verfehlungen im akademischen Betrieb?

Hier stellt sich wieder einmal die Frage, welche Standards an die sogenannte „gute wissenschaftliche Praxis“ angelegt werden. Und es zeigt sich auch wieder, daß die Freiheit der Forschung leicht als Beliebigkeit mißverstanden werden kann. Aber wen wundert eine solche laxe Handhabung wissenschaftlicher Grundregeln,2 wenn auch in den vorgeblich so „harten“ Naturwissenschaften allerlei Fehlverhalten kaum Konsequenzen nach sich zieht.

Wie Florian drüben bei den Scienceblogs illustriert, sind in vielen Fällen auch handfeste Betrugsfälle nicht immer ein Ausschlußgrund aus dem akademischen Betrieb.

Dennoch: in diesem Fall hat sich die Göttinger Prüfungskommission als zahnlos erwiesen – eine Rüge hätte dieser sporthistorische Amoklauf längst verdient gehabt.


  1. „Verhöhnung jüdischer Opfer – Skandal bei den Sporthistorikern“, Autor: Michael Barsuhn. []
  2. Denn daß man für seine Behauptungen auch Belege bereithalten sollte, gilt gemeinhin als selbstverständlich. []

2 Gedanken zu „Über Amokläufer, Fallstricke der Sportgeschichte und das Ende der fröhlichen Spiele von München 1972 » Oder: Wie sich der Sportwissenschaftler Arnd Krüger verhaspelt | Werkstattnotiz 107“

  1. Was er bezweckt? Naja, ich schätze mal, was eine Miriam Gruß (die mit dem Ü-Eier-Verbot) auch bezweckt: endlich mal Öffentlichkeit bekommen und infolgedessen Veröffentlichungen, Forschungsgelder, Wählerstimmen oder was auch immer. Warum sonst sollte er ausgerechnet jetzt mit seinen abenteuerlichen Theorien auftreten?

    Daß er sich als Wissenschaftler disqualifiziert (nicht wegen den Inhalten seiner Aussagen, sondern wegen der Unbelegtheit dieser Inhalte) weiß er wahrscheinlich. Das weiß auch jeder Wissenschaftler, der sich als „Experte“ für irgendwas der BILD oder „Galileo“ zur Verfügung stellt. Aber wenn einer sich erst mal in der Situation sieht, abzuwägen, ob er seriös sein will oder bekannt…

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  2. @xconroy:

    Hmmm…? Sicher, das Motiv sich mit einer provokanten These in der Öffentlichkeit in Szene zu setzen, muß man immer bedenken. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das bei Prof. Krüger der Fall war. (Wobei man über Motive sowieso nur spekulieren kann.)

    Und für so naiv halte ich Krüger nicht, daß er die Konsequenzen seines Statements nicht bedacht hatte – denn obwohl er von seiner Uni nicht gemaßregelt wurde, dürfte ihm der Auftritt und die Publicity mit großer Wahrscheinlichkeit geschadet haben. Forschungsgelder gewinnt man mit solch abseitigen Thesen wohl eher nicht.

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