Forschende Frauen und der Traum von der Chancengleichheit in der Wissenschaft | Werkstattnotiz 116

Das wissenschaftliche System ist verhältnismäßig träge. Das hat gute Gründe: denn beim Versuch, verläßliche Beschreibungen über Welt und Wirklichkeit anzufertigen, sind bewährte Standards und Prozeduren als Basis der Wahrheitssuche deutlich vielversprechender, als kurzlebige Moden und Trends.

Was auf der einen Seite ein Garant für die Leistungsfähigkeit des „Systems Wissenschaft“ ist, nämlich an Konventionen festzuhalten, führt andererseits aber auch zu Anpassungsschwierigkeiten. Das Publikationssystem, das nur zögerlich auf neue, elegantere Formen der wissenschaftlichen Fachkommunikation reagiert wäre ein Beispiel.

Die Trägheit der Institutionen

Und noch an anderer Stelle wird die prinzipielle Trägheit des Systems sichtbar: bei der Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft. Denn Frauen – daran besteht kein Zweifel – sind in der Wissenschaft auch heute noch deutlich benachteiligt. Das Bildungssystem hat zwischenzeitlich die Gleichheit weitgehend hergestellt, wenn es um die Bildungschancen von Mädchen und Jungen geht.1 Mädchen erzielen inzwischen die besseren Schulabschlüsse!

Frauen sind in der Wissenschaft auf den höheren Karrierestufen deutlich unterrepräsentiert!

Und auch die Studienquote (hier haben wir in vielen Fächern mehr als 50% Studentinnen) zeigt, daß die letzten 20-30 Jahre deutliche Veränderungen erbracht haben. Wenn es allerdings um die weiteren akademischen Karrierestufen geht, so zeigt sich erstens, daß die Beharrungskräfte des Hochschulsystems doch größer und zweitens, daß die Rahmenbedingungen für weibliche Karrieren in der Wissenschaft alles andere als günstig sind. Der aktuelle Frauenanteil bei den Professuren liegt bei etwa 15 Prozent.

Das ist zweifellos ein Armutszeugnis. Und es stellen sich viele weitere Fragen, weshalb Frauen in der Wissenschaft noch immer (macnhmal mehr oder weniger subtil) diskriminiert werden. Oder wie wir uns die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie in Zukunft vorstellen. Denn eines ist sicher: wir können es uns schlicht nicht erlauben, daß junge, talentierte Wissenschaftlerinnen davor zurückschrecken, eine akademische Laufbahn einzuschlagen oder irgendwann frustriert aufgeben.

Akademische Chancengleichheit als Zukunftsfrage

All diesen Fragen, weshalb die Spitzenpositionen in den Unis noch immer von Männern dominiert sind und ob die Quote möglicherweise der einzige Weg ist, hier etwas zu verändern, widmet sich seit einigen Tagen der Blog „For Women in Science“ bei Scienceblogs.

Forschende Frauen und der Traum von der Chancengleichheit in der Wissenschaft | Werkstattnotiz 116

Vier Wochen lang gibt es dort Essays renommierter Expertinnen, Interviews mit spannenden Wissenschaftlerinnen und Porträts von Frauen, die es in der Wissenschaft trotz aller Widrigkeiten geschafft haben. Da ich – die meisten werden es wissen – inzwischen Redaktionsleiter bei Scienceblogs.de bin, war ich die letzten Tage und Wochen v.a. damit beschäftigt, die Gastbeiträge zu organisieren, weshalb es hier in der Wissenswerkstatt auch merklich ruhiger war.

Nun würde ich mich freuen, wenn möglichst viele Werkstattbesucher sich drüben bei „Women in Science“ umsehen würden und mitdiskutieren. Einen RSS-Feed gibt es natürlich auch: nämlich hier. Und getwittert wird an dieser Stelle: Twitter/WomenInScience

Und als Einstiegsbeiträge empfehle ich:


  1. Was andere Aspekte angeht – etwa die Bildungsgerechtigkeit in Abhängigkeit des sozialen Herkunftsmilieus – besteht freilich weiterhin riesiger Nachholbedarf. []

3 Gedanken zu „Forschende Frauen und der Traum von der Chancengleichheit in der Wissenschaft | Werkstattnotiz 116“

  1. Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollte aber auch keine „Frauensache“ mehr sein. Sondern eben eine Familiensache. Wissenschaft in Deutschland heißt: Viel arbeiten, dafür nicht all zu viel verdienen, und das in wackeligen Zeitverträgen. Widrige Umstände, um das Gefühl zu haben, Kindern ein stabiles Zuhause geben zu können. Eine Frage wäre für mich zunächst also: Leisten wir es uns nicht bereits, dass „familienwillige Genies“ die Uni verlassen, weil sie ihnen nicht die Sicherheit bieten kann, die sie für ihre Familie gerne hätten?

    Und dann bleibt natürlich noch die hier genannte Frage nach der Chancengleichheit übrig. Hätte ein hier nicht genannter Professor den folgenden Spruch auch einem männlichen Untergebenen ins Gesicht geschleudert, oder blieb das der Frau vorbehalten, die eine meiner besten Dozentinnen überhaupt war? „Sie müssen sich eben schon entscheiden: Karriere oder Familie.“ Sie ist noch im Business, allerdings nun an einer anderen Universität.

    Vielleicht sind Frauen aber auch einfach realistischer. In jedem traditionellen schwäbischen mittelständischen Betrieb hat die Frau die Hosen an. Ganz einfach, weil sie haushalten kann. Würde die Frau nicht die Finanzen managen, dann wäre der Ehemann und Handwerksmeister schon lange pleite. Und welche Frau wäre schon so rücksichtslos, aus Ideologie für Lorbeeren zu arbeiten (das ist ja, was Wissenschaftler tun), und dabei die Familie hungern zu lassen? Oder anders gesagt: Es wäre interessant zu wissen, wie viele Frauen (bzw. Familien) sich von Familie+Akademie auf Familie+Wirtschaft umorientiert haben.

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  2. @DrNI:

    Vielen Dank für diesen spannenden und (aus meiner Sicht) in allen Punkten zutreffenden Kommentar. Denn es stimmt selbstverständlich, daß die Problematik der zu geringen Frauenquote an den Unis in einen größeren Zusammenhang gestellt werden muß:

    Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollte aber auch keine “Frauensache” mehr sein. Sondern eben eine Familiensache.

    Die Vereinbarkeit von Privat-/Familienleben mit akademischer „Karriere“ geht tatsächlich beide Geschlechter an und die Tatsache, daß auch Männer/Väter sich lieber andernorts betätigen, als sich von befristeter Doktorandenstelle zum nächsten 2-Jahres-Drittmittelprojekt zur wiederum nächsten befristeten Institutsmitarbeit zu hangeln, ist ja ebenso bedauerlich.

    Leisten wir es uns nicht bereits, dass “familienwillige Genies” die Uni verlassen, weil sie ihnen nicht die Sicherheit bieten kann, die sie für ihre Familie gerne hätten?

    Ja, sicherlich (s.o.). Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das ein Phänomen ist, das auf das akademische Feld begrenzt ist. Denn auch in der freien Wirtschaft sind Arbeitszeiten von 45-60 Stunden eher die Regel, als die Ausnahme und das ist für Menschen, die in Partnerschaften (und dann gar noch mit Kindern) leben, ebenfalls kaum zu meistern.

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  3. In diesem Zusammenhang ist es doch erfreulich, was diese Woche über idw (http://idw-online.de/pages/de/news280682) vermeldet wurde – die Neurochirurgische Uniklinik der Uni Mannheim hat jetzt eine Direktorin. In diesem speziellen Fall darf man sich gleich doppelt für die Amtsinhaberin Professor Dr. Kirsten Schmieder freuen: nicht nur dass sie den Posten bekommen hat, sondern auch noch im Fachbereich Medizin, der in den Führungspositionen extrem männerlastig ist.

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