Die originellsten Wissenschaftsbücher des Jahres | Sachbücher 2008

Bücher - ToplisteGelegentlich ist auch hier in der Wissenswerkstatt die These nachzulesen, daß wir einen tiefgreifenden Medienwandel erleben und das bedruckte Papier ein Anachronismus sei. Diese Behauptung – also die These vom Ende des Gutenberg-Zeitalters – behalte ich natürlich auch weiterhin aufrecht. Allerdings muß ehrlicherweise konstatiert werden, daß der Siegeszug der digitalen Medien zunächst vor allem den Nachrichtensektor treffen wird. Tageszeitungen brauchen das Papier als Trägermedium nicht.

Anders sieht es (noch?!) auf dem Büchermarkt aus. Das Buch hat – erfreulicherweise – eine treue Fangemeinde und wer auch nur einen kurzen Spaziergang über die Frankfurter Buchmesse gemacht hat, der ahnt, daß dies auch die kommenden Jahre so bleiben wird. Spannend finde ich, daß es augenscheinlich gerade Sach- und Wissenschaftsbücher sind, die stark nachgefragt sind. Und entsprechend unübersichtlich ist der Markt der Neuerscheinungen in diesem Segment. Kaum möglich, hier den Überblick zu halten.

Topliste der Wissenschaftsbücher: Mehr Übersicht auf dem Markt der Neuerscheinungen

Wie schön, daß „Bild der Wissenschaft“ eine namhafte Jury darum gebeten hat, die Wissenschaftsbücher des Jahres 2008 zu benennen. Da ich solche Listen spannend finde, will ich die nächsten Tage einige der offenbar besonders empfehlenswerten Bücher kurz vorstellen.

In einzelnen Kategorien sind jeweils drei Top-Bücher aufgelistet – ich beginne heute mit den (zumindest nach Juryvotum) „originellsten Wissenschaftsbüchern des Jahres“1

Wissenschaftsbücher des Jahres 2008

+1. Neil Shubin: „Der Fisch in uns. Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers

Der Fisch in uns„Tiktaalik“ – das heißt in der Sprache der Inuit soviel wie „großer Süßwasserfisch“. Und auf diesen Namen taufte der Paläontologe Neil Shubin das Fossil, das er im Juli 2004 in der kanadischen Arktis fand. In seinem Buch „Der Fisch in uns“ unternimmt Shubin zweierlei Dinge:2 erstens rekonstruiert er die spannende Geschichte von der Entdeckung dieses bedeutenden Fossils, das ihm internationale Anerkennung einbrachte.

Flammendes Bekenntnis zur Evolutionslehre, spannender Forscherbericht und unterhaltsame Wissensvermittlung.

Zweitens hält Shubin ein flammendes Plädoyer für die Evolutionslehre, für die er unzählige kleine und große Indizien aufführt und er erklärt damit – wenn ich den begeisterten Rezensenten glauben darf – auf anschauliche Weise das Prinzip der Evolution und vermittelt ein grundlegendes Verständnis für die Entstehung der Artenvielfalt.

Mit der Entdeckung von „Tiktaalik“ ist Neil Shubin nämlich etwas Sensationelles gelungen: denn dieses Fossil (ca. 375 Millionen Jahre alt) weist gleichzeitig Schuppen und Flossen, sowie auch Handgelenke und Ellenbogen auf. Es ist somit ein Brückentier bzw. das „Missing Link“-Fossil, das am Übergang zwischen Wasser- und Landtieren steht. Indem Shubin die Expedition und Forschungsarbeit aus dem Jahre 2004 auf elegante und unterhaltsame Weise mit Informationen zur Evolution und Biologie verknüpft, schafft er es auf unterhaltsame Art jede Menge Informationen zu vermitteln. Diese Kopplung von spannendem Forschertage- und Lehrbuch trifft man – wie die Jury zu verstehen gibt – selten.

+2. Fredrik Sjöberg: „Die Fliegenfalle. Über das Glück der Versenkung in seltsame Passionen,
die Seele des Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur

Die Fliegenfalle Noch eine Idee unkonventioneller ist das Buch des schwedischen Autors und Entomologen Fredrik Sjöberg. Er schlüpft gleich in die Rolle eines fiktiven Erzählers und nimmt seine Leser mit auf eine Insel, wo er (hier vermischen sich die Personen des Erzählers und die reale Person und Biographie Sjöbergs) seiner Leidenschaft nachgeht: dem Fliegensammeln. Genau, richtig gehört: das alter ego Sjöbergs ist Insektenkundler und interessiert sich v.a. für Fliegen in all ihren Erscheinungsformen. Und so geht es im Buch um Schmeißfliegen, Tanzfliegen, Waffenfliegen, Fabelfliegen und – weil ihnen die Liebe des Erzählers ganz besonders gehört: um Schwebfliegen.

Dieses Hobby bzw. die Leidenschaft des Insektenkundlers klingt beim ersten Hören oder Lesen etwas befremdlich. Das soll ein Buch für einen breiteren Markt sein? Die Erklärung liefert wohl nur das Buch selbst und die erzählerische Kunstfertigkeit von Fredrik Sjöberg – wie Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau schrieb:

Man erfährt Sachen, von denen man nie ahnte, dass sie einen interessieren könnten (aber sie tun es).

Und das ist ja wohl wirklich ein Qualitätsmerkmal. Gibt es Werkstattleser, die das Buch kennen? Ist es tatsächlich so faszinierend?

  • Fredrik Sjöberg: Die Fliegenfalle. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Eichborn Berlin 2008, 240 Seiten.

 

+3. Alan Weisman: „Die Welt ohne uns. Reise über eine unbevölkerte Erde.

Alan Weisman - Die Welt ohne unsAuf Platz 3 landet das Buch des US-Journalisten Alan Weisman, das ich bereits in dieser Liste vom Februar kurz besprochen hatte. Weisman unternimmt mit seinen Lesern ein kleines Gedankenexperiment: die Vorstellung, daß wir uns in einer Welt vorfinden, in der alles menschliche Leben plötzlich verschwunden wäre. Wie entwickelte sich das Leben, wenn der Faktor Mensch (in all seiner Gestaltungs- aber auch Zerstörungskraft) fehlte?

Weisman hat zur Beantwortung dieser (zum Glück?) hypothetischen Frage mit unzähligen Wissenschaftlern gesprochen und fasst die Ergebnisse zusammen. Wie lange dauert es, bis sich die Natur die Lebensräume des Menschen (also Städte, Straßen etc.) zurückerobert hat? Wer ist der Nutznießer, was verändert sich in 20, 50 oder mehreren hundert Jahren ohne den Störfaktor Mensch? Antworten gibt es bei Alan Weisman…



  1. Was man bzw. die Jurymitglieder unter „originell“ verstehen, darf man mich nicht fragen. Ich vermute, daß die Bücher schlicht unkonventionell sind, was Thematik und/oder Darstellungsform angeht. []
  2. Ich habe das Buch – wie ich gestehen muß – nicht selbst gelesen, sondern beziehe mich auf verschiedene Rezensionen, die ich gefunden habe. []

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