Es gibt Zeitgenossen, die behaupten, Thees Uhlmann, der Sänger und Mastermind der Rockband „Tomte“, könne gar nicht singen. Als ob es darum ginge! Heute steht die neue Platte der Hamburger Band in den Regalen. Und bereits nach den ersten Takten, den ersten Melodien und Textzeilen wird klar: hier meldet sich eine Band zurück, die viel mehr mitbringt als lediglich zwölf gut gemachte Songs.
Es sind zwei Jahre vergangen, seitdem Tomte mit ihrem bislang erfolgreichsten Album „Buchstaben über der Stadt“ die deutsche Indie-Rockszene erfreut hatten. Damals, 2006, hatte sich Thees Uhlmann mit seiner Band endgültig emanzipiert. Man hatte sich freigespielt. Und auch die letzten verbliebenen Kritiker, die argwöhnten, Tomte biete kaum mehr als einen zweitklassigen Abklatsch der früheren Tocotronic-Songs, mußten sich geschlagen geben.
2006: Buchstaben über der Stadt
Und ich habe Thees und seine Mannschaft wohl alleine in diesem Jahr 3-4x live gesehen. Bevor die Platte veröffentlicht wurde im Münchner Club „Ampere“, dann wenige Wochen später im Hamburger Plattenladen „Michelle Records“, wo Tomte im Schaufenster ein Konzert gaben und sich Thees die Stimmbänder blutig sang. Das waren große Zeiten damals.
Tomte waren im Jahr 2006 so groß, so erwachsen und perfekt, wie niemals zuvor. Das Album war perfekt arrangiert und manche Fans der ersten Stunde bedauerten, daß gerade die Ecken und Kanten, die Tomte seit jeher ausgezeichnet hatten, etwas verloren gegangen waren. Wohin würde der Weg der Band führen?
Wer es wissen will, kann es seit heute erfahren. Weiß der Himmel, weshalb die aktuelle Platte auf den Namen „Heureka!“ getauft wurde – aber wenn das Album mit dem gleichnamigen Song beginnt und dann nach ein paar Sekunden die vertraute Stimme von Thees Uhlmann einsetzt, dann werden nicht wenige Fans genau das ausrufen: Heureka!
Hier sind Tomte: die Überzeugungstäter, die einen rockmusikalischen Lobgesang auf das Leben anstimmen.
Denn da ist es wieder: der dezent rumpelnde Sound, der ungehemmte Pathos und dann natürlich der wohldosiert nölende Gesang von Frontmann Thees, der die Vokale noch immer in unnachahmlicher Weise dehnt und moduliert, daß es eine Freude ist. Genau das sind Tomte: die Überzeugungstäter, die einen rockmusikalischen Lobgesang auf das Leben und die ganz normale Welt anstimmen.
Ist das die große Konsensplatte des Jahres 2008?
Und die Erwartung und Vorfreude, die der erste Song des Albums weckt, wird durch die folgenden elf Stücke nicht enttäuscht. Im Gegenteil: die Arrangements sind wieder ein wenig ursprünglicher, wieder eine Spur rockiger, als auf der letzten Platte. Und insgesamt klingen Tomte nun kompletter, als jemals zuvor. Egal ob der Opener „Heureka“, die erste Singleauskopplung „Der letzte große Wal“ oder das melancholische „Voran voran“ – den Songs hört man an, daß Tomte gereift sind. Es sind eine ganze Portion Abgeklärtheit und Souveränität dazugekommen.
Aber es klingt doch so unverwechselbar nach Tomte, daß man darüber ganz vergißt, daß die Band zuletzt große personelle Veränderungen hinnehmen mußte. Erst vor wenigen Monaten hatte sich der altgediente Schlagzeuger Timo Bodenstein verabschiedet – seitdem sorgt Max Schröder1 für den Rhythmus. Fast ein wenig tragisch ist das Ausscheiden von Olli Koch. Der Bassist, den ich bei unzähligen Konzerten bewundert habe, mußte sich vor wenigen Wochen aufgrund von chronischen Handgelenksbeschwerden aus der Band zurückziehen. Ich werde beim nächsten Konzert eine Gedenkminute einlegen…
Die Ausfälle werden freilich durch Nikolai Potthoff und Simon Frontzek wunderbar kompensiert. Und Tomte in neuer Besetzung klingen sagenhaft: nackt, glücklich, frohlockend, der Wanne entstiegen und die Welt mit neuen Augen sehend. Heureka?! – eben!
Es ist immer noch Rockmusik
Wenn man das Album hört, dann fallen einem die altbekannten, tomte-uhlmannsche Motive entgegen, wie die Blätter im Herbstwald. Es ist dieser unzerbrüchliche Glaube an das Leben, dieser tiefe, bittere Ernst, wenn Thees singt: „Halte durch!“2
Denn es gibt – man glaubt es gerne – eben überhaupt keinen Grund zu verzagen, dessen ist sich Thees gewiß und versichert: „Da sind hundert, die dich lieben.“ Es geht also wie früher darum, an Dinge zu glauben, den Mut nicht zu verlieren, sich zu verschwenden und weiterzugehen auch wenn es Gegenwind gibt.
Das klingt möglicherweise naiv und könnte genauso gut auf dem Kirchentag vorgetragen werden. Der Unterschied: Thees meint die Sache sehr, sehr ernst. Die zwölf Songs sind schlicht Variationen eines Lobgesangs auf die Schönheit der Chance. Und all diejenigen, die in diesem Herbst mit diesem Album beschenkt werden, dürfen es Thees gleichtun, der im pathetisch-großartigen Song „Das Orchester spielt einen Walzer“3 zu Protokoll gibt: „Mein Gott ist das Leben schön.“
Stimmt. Zumindest wenn währenddessen die neuen Tomte zu hören sind.
- 2003: Hinter all diesen Fenstern
- 2006: Buchstaben über der Stadt
- 2008: Heureka
- Die Zeit: Interview mit Thees Uhlmann – Das Lied zur ZEIT, 9.10.2008
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