Die Wissenswerte in Bremen dient ja immer auch der Standortbestimmung und Selbstvergewisserung des Wissenschaftsjournalismus. Was tun wir, wie tun wir es und welche Veränderungen zeichnen sich ab? Ganz klar, daß auch im diesjährigen Wissenswerte-Programm das Thema „Social Media“ nicht fehlen durfte.
Zur Podiumsdiskussion rund um die Frage, welche Konsequenzen der Erfolg von Facebook, Blogs, Twitter & Co. für den Wissenschaftsjournalismus mit sich bringt, war ich netterweise schon irgendwann im Mai eingeladen worden. Meine kleine Einstiegspräsentation habe ich dann aber doch wieder mal sehr, sehr spät zusammengebastelt. Dafür konnte ich dann aber immerhin aktuelle Beispiele und Screenshots zeigen.1
Im Kern ging es mir um folgende Punkte:
Es sind in den letzten Jahren neue Akteure im Feld der Wissenschaftskommunikation aufgetreten. Nämlich Wissenschaftler, die sich in ihren Blogs oder mittels anderer Social-Media-Tools selbst zu Wort melden. Und diese bloggenden Forscher sind gekommen, um zu bleiben.2
Die Inhalte, die man allerdings in den Blogs der Wissenschaftler findet3 sind nicht 1:1 vergleichbar mit dem Angebot, das man üblicherweise von der Wissenschaftsberichterstattung kennt. Ich habe deshalb – frei nach Max Weber – drei Idealtypen skizziert.
- Zunächst gibt es die Forschernotiz. Das sind kurze, wissenschaftliche Fingerübungen, die sich nicht darum scheren, ob der Sachverhalt wirklich einem größeren Publikum auch nur annähernd verständlich wird. Es geht vornehmlich um die Peers, die angesprochen werden.
- Dann gibt es zweitens Texte, die ebenso gut in den Wissensressorts der Onlineportale zu lesen sein könnten. Das sind Artikel, bei denen sich die jeweiligen Blogger explizit um eine allgemeinverständliche Darstellung bemühen. Und bei solchen Texten stellt sich natürlich die Frage, weshalb man im Einzelfall noch die Artikel bei Spiegel, ZEIT, FAZ oder SZ lesen sollte, wenn man doch schon einen gut informierten Artikel eines „Experten“ gelesen hat.
- Und drittens gibt es natürlich Artikel, die man möglicherweise unter der Rubrik „Medienkritik“ subsumieren könnte. Es sind die Blogpostings, in denen Schlampereien und Fehler der „Profis“ aufgedeckt werden. Zuletzt konnte man das im Fall der Neurodermitis-Salbe „Regividerm“ beobachten.4 Und solche Geschichten tun den Wissenschaftsjournalisten naturgemäß besonders weh.
Einige meiner Thesen, die ich aus diesen Beobachtungen ableite, lassen sich in der Präsentation nachlesen. Wichtig ist mir bei allem aber folgender Punkt: es ist schlicht eine Tatsache, daß wissenschaftliche Blogs funktionieren. Sie sind einfach da und werden auch nicht einfach so wieder verschwinden. Allerdings heißt das aber nicht, daß der Wissenschaftsjournalismus damit prinzipiell obsolet würde. Bloggende Wissenschaftler sind eben keine Journalisten! Aber Journalisten sollten Wissenschaftsblogs ernstnehmen. Schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse.5
Im Panel am Dienstagnachmittag wurde zunächst recht allgemein darüber diskutiert, was sich „klassische“ Websites und Portale vom Web 2.0 abschauen können. Der Umgang mit Kommentatoren war hier das Hauptthema. Ulrike Langer wies auf die doch recht schleppend ablaufenden Lernprozesse hin und Jochen Wegner kündigte an, daß in naher Zukunft die Kommentarmöglichkeiten bei Focus-Online liberalisiert werden. Dann sollen auch Links in den Comments erlaubt sein. Man höre und staune.
Nachdem kurz das desolate Krisenmanagement von WDR und Co. bei der Regividerm-Geschichte angesprochen wurde, lenkte Annette Leßmöllmann das Gespräch auf Twitter,6 anschließend kam man auf die Blogerfahrungen „etablierter“ Medienhäuser zu sprechen. Joachim Müller-Jung gab Einblicke in den Umgang der FAZ mit ihren Blogs und verriet, daß die anfängliche Euphorie zwar einer gewissen Ernüchterung gewichen sei, aber er persönlich den Planckton-Blog durchaus gerne nutze und sich schon dabei ertappt habe, daß er manche Themen im Blog ausführlich dargestellt, für den Printbereich aber „übersehen“ habe.
Wenn man schon Blogs als Quelle nutzt, dann setzt doch bitte auch einen Link!
Zum Schluß kam man dann noch zu einer Frage, die ich persönlich für sehr spannend und diskussionswürdig halte, nämlich: Wie darf, soll oder muß man wissenschaftliche Blogs als Quelle für eigene Artikel nutzen? In meinen Augen ist es vollkommen klar: natürlich soll das Absurfen von wissenschaftlichen Blogs ein Teil der journalistischen Arbeit sein. Und wenn man dort Material und Anregungen findet, umso besser. Doch – und das muß noch in die Köpfe der Kollegen rein – wenn man sich schon auf Blogs als Quelle bezieht, dann gehört es auch dazu, daß man einen Link setzt.
Hier ist zu wünschen, daß sich manche Journalistenkollegen sich ein Vorbild an Joachim Müller-Jung nehmen. Der erklärte zum Schluß, daß er sich ganz selbstverständlich auch auf Statements von Wissenschaftlern in ihren Blogs beziehe; auf Stefan Rahmstorf in seiner „Klimalounge“ beispielsweise. So muß es sein. :-)
- Und das Austesten der Powerpoint-Alternative prezi hat sich auch gelohnt, es gab jedenfalls jede Menge positives und neugieriges Feedback. [↩]
- Die Zahl der Journalisten, die glauben, daß diese „Konkurrenz“ von alleine wieder verschwinden wird, hat inzwischen deutlich abgenommen. [↩]
- Ich beziehe mich im wesentlichen auf Blogs, da ich nicht recht einsehe, daß ein twitternder Wissenschaftler oder ein Forscher mit Facebookprofil im journalistischen Revier „wildert“. Blogtexte können aber sehr wohl in Konkurrenz zu konventionell-journalistischen Angeboten treten. [↩]
- Zunächst war in einer WDR-Doku die Geschichte eine angeblich hocheffektiven Salbe gegen Neurodermitis dargestellt worden, die von der Pharmalobby allerdings ignoriert werde. In Blogs – u.a. bei der Stationären Aufnahme – war man sofort mehr als irritiert und konnte binnen weniger Tage dutzende Ungereimtheiten auflisten. Das beginnt bei der haarsträubend dünnen Datenlage bzgl. der Wirksamkeit der Salbe und reicht bis zu eindeutigen Indizien für einen von langer Hand eingefädelten PR-Coup. [↩]
- Egal ob es nun um die Recherche geht oder ob man ggf. auf Kritik angemessen reagieren sollte. [↩]
- Für Jochen Wegner zählt v.a. die Tatsache, daß man als Medienmacher im Ernstfall doch ein paar Minuten früher über bestimmte Ereignisse informiert ist. Andere nannten eher die sozialen Aspekte; das Networking per Twitter etc. [↩]
4 Gedanken zu „Wissenswerte Bremen: Über die Herausforderungen des Social Web für den Wissenschaftsjournalismus“
Hallo Marc, da ich nicht dabei sein konnte, bin ich für die Zusammenfassung und Deinen Vortrag umso dankbarer.
Meine Eindrücke zum Thema: Ein bisschen erstaunt hat mich, dass Du Wissenschaftler als neue Akteure siehst; aber da Du das Feld systematischer im Blick hast als ich, glaube ich das.
Ob aber Blogs von Wissenschaftlern häufig mit Unzufriedenheit mit dem Journalismus zu tun haben, erscheint mir etwas steil. Klar, für einzelne Kollegen mag das eine Motivation sein. Mein Gefühl: Die anderen Funktionen von Blogs für Wissenschaftler sind wichtiger, als sich über Journalismus Gedanken zu machen. Nicht unterschätzen sollte man die Möglichkeit der Erweiterung der Lehre in den virtuellen Raum hinein. Für mich jedenfalls ist das eine der wichtigen Motivationen – meinen Studenten über die Lehrveranstaltung hinaus aktuelles Wissen zu bieten. Forschungsnotizen sind mir ähnlich wichtig, diese Funktion erwähnst Du. Und schließlich will ich mich durch das Bloggen mit Praktikern (potenziellen Projektpartnern, Arbeitgebern meiner Studies etc.) vernetzen – zum fachlichen Austausch und mit Blick auf Online-Reputation. Soweit meine 2 Betroffenheits-Cent … – wäre spannend, diese Fragen mal systematisch zu erheben (- Zaunpfahl, liebe Studenten….)
Hallo Thomas,
Danke für Dein Feedback und die Fragen. Also mit dem Titel „Neue Akteure“ wollte ich nicht zum Ausdruck bringen, daß wissenschaftliche Blogs eine ganz neue Entwicklung der letzten 1-2 Jahre wären. Ich habe das in einem etwas größeren Zeithorizont gemeint. Wenn wir (zumindest im deutschsprachigen Raum) nur 5-6 Jahre zurückdenken, dann gab es für Wissenschaftler jenseits der klassischen Medien keine Möglichkeit direkt mit dem (Laien-)Publikum zu kommunizieren. Das war eben vornehmlich Aufgabe der Journalisten und professionellen Wissenschaftskommunikatoren. Und hier hat sich eben was verändert.
Zu meiner These, daß Blogs – wie ich in der Präsentation formuliere – eine „Artikulation des Unbehagens mit dem redaktiuonellen Wissenschaftsjournalismus“ darstellen, kann ich Dir nur recht geben. Die ist tatsächlich verkürzt und so pauschal nicht haltbar. (Das hatte zutreffenderweise auch schon Lars Fischer per Twitter reklamiert).
Ich wollte das bewußt etwas zuspitzen und ein klein wenig provozieren. Hat auf dem Podium dann aber gar nicht weiter interessiert. Komplett von der These möchte ich freilich nicht abrücken. Denn es ist zwar zweifellos ein ganzes Motivbündel, weshalb Wissenschaftler bloggen (Du sprichst einige davon an), aber dabei spielt die Unzufriedenheit nicht selten eine Rolle (was aber sicherlich auch mit dem fachlichen Hintergrund der Blogger variiert).
Da die Wissenswerte ja aber eine Wissenschaftsjournalistenkonferenz ist, wollte ich den Kollegen mit einer etwas pointierteren These vor Augen führen, daß a) Wissenschaftler nicht selten an der Qualität der Berichterstattung über wiss. Themen was auszusetzen haben, b) ein Teil der Motivation für Wissenschaftsblogs sich aus dieser Unzufriedenheit speist.
Danke für Deine Ergänzungen, die große Einigkeit zwischen uns herstellen ;-)
Übrigens ist’s gestalterisch hübsch hier geworden….