Stradivari, Guarneri, Amati: schon allein diese Namen klingen toll. Noch viel besser – so heißt es – klingen die Instrumente aus den Werkstätten der Geigenbauer aus dem norditalienischen Cremona. Die Geigen des Antonio Stradivari seien schlicht perfekt. Ihr Klang einzigartig. Doch eine aktuelle Studie zeigt: einzigartig ist (neben dem Preis) wohl vor allem der Ruf der Geigen von Stradivari, Guarneri & Co. In einem Test schnitten sie nämlich schlechter ab als moderne Geigen.
Das norditalienische Städtchen Cremona ist ja irgendwie das Wimbledon des Geigenbaus. Neben den heute noch allgemein bekannten Stars wie Stradivari und Guarneri del Gesù hat auch die bemerkenswerte Geigenbaudynastie der Amati ihre Wurzeln in Cremona und auch die Instrumente von Francesco Ruggeri erzielen heute Preise jenseits der Millionengrenze.
Ich selbst war vor gut zwei Jahren in Cremona, habe bei Nieselregen in einem kleinen Café in Sichtweite des Doms einen Capuccino getrunken und habe am Domportal die mißlungensten Steinlöwen der Kirchenbaugeschichte gesehen. Gefallen hat mir Cremona dennoch und ich habe darüber nachgedacht, wie es nur möglich war, daß hier vor rund 300 Jahren Musikinstrumente gebaut wurden, deren Qualität nie wieder erreicht werden sollte.
Legendäre Geigenbauer: Antonio Stradivari und Guarneri del Gesù
Ich selbst habe ehrlicherweise keine großartige Ahnung von Streichinstrumenten. Ich höre mir durchaus gerne klassische Konzerte an und liebe das Cellokonzert in h-moll von Antonin Dvořák. Aber wenn es um die Eigenschaften von Violinen, Bratschen oder Celli geht, so kann ich mir kein Urteil erlauben. Ich glaube einfach, was ich so lese. Und wenn auch die Topstars der heutigen Geigenszene (von Anne-Sophie Mutter bis zum unvermeidlichen David Garrett) auf einer Stradivari spielen und deren einzigartigen, legendären Klang in höchsten Tönen loben, so muß da was dran sein. So dachte ich. Bis letzte Woche…
Sind die Geigen von Stradivari oder Guarneri so gut wie ihr Ruf?
Aber auch bei den berühmten Geigen ist es offenbar wie mit anderen Legenden: einer Überprüfung halten sie nicht unbedingt stand. Wie überlegen die Eigenschaften (und der Klang) der Geigen von Antonio Stradivari oder seinem nicht minder berühmten Kollegen Guarneri del Gesù tatsächlich sind, testete kürzlich die Geigenforscherin Dr. Claudia Fritz vom Institut Jean Le Rond d’Alembert der Universität Paris. Die Meldung zu ihren interessanten Ergebnissen machte schon letzte Woche die Runde, da ich die Studie aber so klasse finde, blogge ich dennoch nochmal darüber.
Was ist dran am einzigartigen Ruf der edlen Instrumente?
Claudia Fritz wollte wissen, ob Geigenexperten die legendären Instrumente tatsächlich von „normalen“ Geigen unterscheiden können. Schließlich wird ja genau das immer behauptet: die weltbekannten Geigenvirtuosen spielen auf einer Stradivari, weil diese eben diesen einzigartigen und unübertroffenen Klang habe. Und da gäbe es eben einen großen hörbaren und für den Geiger auch fühlbaren Unterschied.
Im Test schneiden „neue“ Geigen besser ab. Profimusiker erkennen die gefeierten Instrumente nicht.
Für ihren Test hatte Claudia Fritz zwei Stradivaris (aus dem Jahr 1700 bzw. 1715) und eine Guarneri aus dem Jahr 1740 zur Verfügung. Zum Vergleich gab es drei „moderne“ Geigen, alle nur ein paar Jahre alt. Der Versuch fand im Rahmen des Internationalen Geigenwettbewerbs in Indianapolis im Herbst 2010 statt. 21 Topmusiker nahmen daran teil und sollten aus den sechs vorhandenen Instrumenten ihren Favoriten auswählen und beurteilen (und in Hörtests die Klangfarbe, Tonqualität etc. beurteilen).
Der Test war als „Blindversuch“ konzipiert: abgedunkelter Raum, die Testpersonen trugen eine Brille und die Geigen wurden mit einem Duftstoff versehen, so daß auch eine geruchliche Beeinflussung ausgeschlossen war. Das Ergebnis? Der Test zeigte deutlich, daß die Instrumente quasi nicht zu unterscheiden sind. Und die Stradivari- und Guarneri-Geigen schnitten sogar schlechter ab: nur acht der 21 Musiker wollten einen millionenschweren Mythos mit nach Hause nehmen, 13 Musiker entschieden sich für ein neues Instrument. In den Hörtests wurde eine der Stradivari-Geigen am schlechtesten bewertet, am beliebtesten war eine der neuen Geigen.
Imponiert uns der Klang oder der klangvolle Name?
Das Ergebnis ist recht eindeutig: Geigen mit klangvollen Namen halten im Test nicht, was sie versprechen. Wie kommt es dann aber, daß sich der Mythos von den vermeintlich so unübertrefflich guten Instrumenten so lange hält? Eine einfache Antwort darauf gibt es sicher nicht. Klar ist, daß es durchaus selbstverstärkende Effekte gibt (zumindest was das Urteil der Zuhörer betrifft): denn eine Anne-Sophie Mutter spielt natürlich besser als irgendein Zweitliga-Geiger im städtischen Konzerthaus. Doch was ist der Virtuosität der Geigerin geschuldet und was dem Instrument?
Wie ist der Mythos um die Geigen erklärbar? Welche Rolle spielt das Wissen um die millionenteuren Instrumente?
Was das (Experten-)Urteil der Musiker selbst angeht, so dürfte hier ein durchaus bekannter Effekt eine Rolle spielen. Es geht schlicht um die Erwartungshaltung, die in einem solchen Fall fast zwangsläufig Bestätigung finden muß. Bekommt ein talentierter Geiger zum ersten Mal eine Stradivari in die Hand, so wird er (wissend, daß er nun den Bogen an eine millionenschwere Kostbarkeit anlegt) naturgemäß den Klang, die Tonfarbe usw. entsprechend beurteilen. Das ist menschlich. :-)
Teuer klingt gut, schmeckt gut, wirkt gut
Der Mechanismus dahinter ist aus anderen Studien bekannt: was teuer ist, wird von den Probanden auch gut bewertet. Das kann teurer Wein sein (der schon allein deshalb besser schmeckt) oder es kann sich um Medikamente handeln. Der Verhaltensforscher Dan Ariely hat dazu mehrere Experimente durchgeführt. 2008 verabreichte er zwei Gruppen ein angebliches Schmerzmittel (beidesmal waren es nur Placebo-Pillen). Die eine Gruppe bekam die Info, jede Pille koste 2,50 Dollar. Der anderen Gruppe wurde mitgeteilt, die Pille koste wenige Cent. Die schmerzlindernde Wirkung beider Tabletten war danach auch entsprechend: die teure Placebo-Schmerztablette konnte bei 85 Prozent der Teilnehmer die Schmerzen reduzieren, das billige Präparat wirkte dagegen nur bei 61 Prozent.
Und was bei Schmerzmitteln der Unterschied zwischen der Pille für wenige Cent und der für 2,50 Dollar ist, das ist in der Welt einfach hochskaliert. Für gute, moderne Geigen muß man durchaus auch einen fünfstelligen Eurobetrag hinblättern, für absolute Spitzengeigen kann man gar 100.00 Euro investieren. Im Vergleich zu den Millionenwerten einer Stradivari sind das Peanuts.
Studien:
- Claudia Fritza,1,2, Joseph Curtinb,1, Jacques Poitevineaua, Palmer Morrel-Samuelsc, and Fan-Chia Taod: Player preferences among new and old violins, in: PNAS January 3, 2012, doi: 10.1073/pnas.1114999109
- Ariely, D. et. al: Commercial Features of Placebo and Therapeutic Efficacy, in: AMA. 2008;299(9):1016-1017. doi: 10.1001/jama.299.9.1016.
Links / Büchertipp:
- Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts: Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen. (Amazon-Link)
Bildquellen – Löwe Cremona (eigenes Photo) / Geige (stock.xchng, User: propa)
10 Gedanken zu „Der Mythos vom guten Klang: Stradivari-Geigen enttäuschen in Studie“
RT @rkeuper: Der Mythos vom guten Klang: Stradivari-Geigen enttäuschen in Studie .. http://t.co/hHrqttC7 @MTaege
Die wenigsten Leute können Klang gut beurteilen. Das sieht man ja bei den Hifi-Gläubigen. Da gibt es sogar Leute, bei denen Kabel zur digitalen Audio-Übertragung unterschiedlich klingen. Je nach Preis sogar. Doch solange die Bits nicht unterwegs kippen, ist natürlich klar, dass die Daten beim Empfänger absolut identisch ankommen.
Man hört eben nur, was man weiß. Von dem her überrascht diese Studie eher wenig. Wer sich mal eine Weile mit Tontechnik auseinandergesetzt hat, der findet auf einmal günstige Studio-Lautsprecher besser als manch teure Hifi-Anlage. Bei Musikern kommt natürlich hinzu, dass sie die Haltung gegenüber dem Instrument beim Spielen auch schon beeinflusst, deswegen ja der Blindttest. Ob das nun Geigen oder E-Gitarren sind ist dabei egal.
Da lässt sich auch gut Geld verdienen. Manche Hersteller legen E-Gitarren erst Mal eine Weile auf den Rütteltisch, damit diese sich „einschwingen“. Noch lustiger wird es bei Kabeln, die können nämlich bei E-Gitarren sogar wirklich Klangunterschiede hervorrufen. Allerdings ist das noch lange kein Grund, für 6 Meter Strippe über 100 Euro zu bezahlen.
Der Placebo-Effekt ist wirklich eine sehr spannende Sache.
Wenn man allerdings doe Studie im Original liest, so gibt auch die Sudienleiterin einen möglichen Kritikpunkt zu: Die Studie wurde in einem Hotelzimmer durchgeführt und die Beutrteilenden waren diejenigen, die die Violinen direkt am (linken) Ohr hatten – das rechte bekam nur die Reflektionen des reflektionsarmen Raumes mit.
Um sicher zu gehen müsste man weitere Studien machen, bei der a) die Beurteilenden nicht direkt mit dem Ohr an der Violine postiert werden (also Proband ≠ Instrumentalist) und b) eine der gewohnten Konzertakustik nähere Raumakustik vorhanden ist.
Dass fast jedwedes Instrument in einem schalltoten Raum schlecht klingt, ist eine Binsenweisheit, und sollte bei Schlussfolgerungen aus dieser Studie nicht völlig außer Acht gelassen werden (die Studienleiterin selbst ist übrigens weit vorsichtiger mit Schlussfolgerungen als Wissenschaftsjournalismus und Boulevard-Gefolge *g*).
@DrNi:
Ja, da sprichst Du natürlich was an. Ich kenne mich zwar mit der Hifi-Welt auch nicht besser aus, aber wenn ich (für meinen Hausgebrauch) mal Lautsprecherkabel o.ä. besorgen muß, dann staune ich jedesmal Bauklötze. Da kann man definitiv (für Kabel, Stecker etc.) ein Vermögen loswerden und die (selbsternannten) Experten philosophieren über das High-End-Equipment. Hifi-Voodoo eben.
Und sicher auch ein gutes Beispiel für den oben skizzierten Effekt: was teuer ist, klingt gut.
@Dave:
Danke für die ergänzenden Anmerkungen. Stimmt natürlich und mit der Studie ist die Frage, ob nun die Stradivaris (und Guarneris) wirklich „besser“ sind als alle anderen Instrumente, sicher nicht beantwortet. Bestimmte Schwächen der Studie bzw. deren Begrenztheit sprichst du an. allerdings gab es ja auch schon früher kleine Tests, in denen eigentlich ganz ähnliche Ergebnisse rauskamen. (Daß der Unterschied sooo groß nicht ist und Experten oftmals falsch liegen und eine Stradivari nicht erkennen bzw. ein „billiges“ Instrument für eine Stradivari halten etc.)
Für mich bleibt festzuhalten: die norditalienischen Geigenbauer des 17./18. Jahrhunderts haben Maßstäbe gesetzt und verdammt gute Geigen gebaut. Doch der Kult, der um die Instrumente gemacht wird, ist was anderes. Ein interessantes Phänomen eben.
Stradivari-Geigen enttäuschen in Studie – Über die Entzauberung der legendären Geigenbauer und unsere Tendenz zum … http://t.co/cnxzA4ho
Ach ja: Gerne verschwiegen, wenn über die genannte Studie berichtet wird, ist auch der Fakt, dass die modernen Geigen, gegen die die Stradivaris und die Guarneri antreten durften, allesamt die Bauformen von Stradivari verwendeten. Will sagen: Es waren Kopien, die besser als das Original waren. Die „Ingenieurskunst“ der Sieger ist allerdings ein Plagiat des Verlierers … ;-)
Dan Ariely hat den Placebo Effekt anhand seiner Pillen erfolgreich nachgewiesen. Das witzige daran ist, dass die Pillen bei den Probanden ja wirkich gesundheitliche Effekte ausmachen. Das zeigt wie groß die Wirkung von Produktbeschaffenheit sowie Produktpräsenz, wie zum Beispiel dem Preis oder einer hochwertigen Verpackung, auf den Konsumenten sind. Das ist eine der Marketingwirkungen, die Unternehmen versuchen zu nutzen. Bei der Stradivari-Geige kann der Preis kaum durch ihren Klang gerechtfertigt werden. Dennoch schwärmt die Musiker-Welt von diesem zweifelsfrei hervorragendem Klang. Und auch der Unterschied zwischen 50.000 und 100.000 Euro kann kaum durch den besseren Klang gerechtfertigt werden. Es ist eben mehr Schein als Klang. Aber trotzdem schön zu hören.
@Marc Scheloske:
Ähnliche Effekte könnte man beim E-Bässen quasi im Zeitraffer studieren. Der erste E-Bass ging 1951 in Serie. Das ist nun etwas über 60 Jahre her und seitdem haben Bassbauer weltweit das Instrument immer weiter verbessert. Dabei hat sich auch das Klangbild zum Teil deutlich verändert. Es werden aber immer noch die „klassischen“ E-Bässe hergestellt, die im Stil des Originals sehr gut klingen. Auf dem Gebrauchtmarkt ist es aber so, dass die original Fender-Bässe aus den 60ern zu horrenden Preisen gehandelt werden. Da wird alles möglich erzählt, vom Holz das sich „einschwingt“, davon dass die damals einen anderen Lack benutzt haben, und so weiter… im Prinzip ist das alles wie bei den Stradivaris. Mich würde auch in dem Fall ein Blindtest ernsthaft interessieren.
@Marc Scheloske:
Ich möchte Sie auf einen kleinen Fehler aufmerksam machen: Das Journal mit der Studie von Ariely (und Waber et al.) heißt meines Wissens JAMA, nicht AMA.
Ich habe die Studie auch nicht gelesen und unterstelle, dass sie um vieles sachlicher ist als das, was das journalistische Echo daraus zaubert. Aber: solche Tests sind überhaupt nicht neu, die werden schon seit über 200 Jahren gemacht – und wie oft ist Stradivari dabei schon entthront worden … Der Nachrichtenwert geht also erst mal gegen Null. Was mich daran aber vor allem stört, ist, dass das sehr komplexe Zusammenspiel von Musiker und Instrument auf eine pseudo-naturwissenschaftliche Testumgebung reduziert wird, in der eins ganz sicher nicht möglich ist: den Klang der Geige zu beurteilen. Niemand würde eine Entscheidung dieses Kalibers auf der Grundlage eines einzigen Probespiels treffen – im Gegenteil, viele Geiger (und Cellisten usw.) testen ihre Instrumente oft wochen- oder monatelang. Dann erst kann man sagen, ob sich die eigenen Klangvorstellungen (ja: es geht hier um Kunst!) mit dem Instrument verwirklichen lassen oder nicht. Außerdem sind gerade Spitzeninstrumente oft ziemlich kratzbürstig und offenbaren ihre Qualitäten erst, wenn man den richtigen Bogen dazu hat, sich richtig auf sie eingestellt hat usw. Eine leicht ansprechende neuere Geige wird da sicher manche Stradivari zunächst hinter sich lassen – das kann aber eine Woche später schon ganz anders aussehen.
Noch ein Irrtum ist, dass es die Musiker wären, die den Cremona-Hype befeuern – das sind in erster Linie das Publikum, das den antiken Zauber dieser Stücke haben will, und natürlich der Handel und das Spekulanten-Unwesen. Es gibt durchaus Top-Geiger ohne Strad, gar nicht so wenige sogar, z. B. Hilary Hahn mit ihrer Vuillaume.