Manchmal lese ich bei meinem Namen (in Konferenz- oder Vortragsankündigungen beispielsweise) das Wort „Wissenschaftsjournalist“. Dann zucke ich immer ein wenig zusammen, denn ich selbst würde mich eigentlich nicht so bezeichnen. Ich habe das mit dem Schreiben über wissenschaftliche Themen nicht gelernt. Ja, überhaupt nicht „gelernt“ – etwa in Form eines Volontariats – was das Handwerk des Journalismus ist und sein sollte. Ich bin Quer- und Seiteneinsteiger und übe mich im fortgeschrittenen Dilettantismus…
Und doch ist mir der „Wissenschaftsjournalismus“ in den letzten Jahren eine Herzenssache geworden. Weil ich gerne das Zeug lese, was und worüber (andere) Wissenschaftsjournalisten so schreiben. Und weil ich viele Wissenschaftsjournalisten kennengelernt habe, deren Berufsverständnis (man könnte auch Ethos sagen, wenn das nicht so sehr nach letztem oder vorletztem Jahrhundert klingen würde) ich toll finde. Der „gemeine Wissenschaftsjournalist“ ist wohltuend unschnöselig. Volker Stollorz ist einer davon. Mehr dazu in den Empfehlungen.
Expertenmacht und gemachte Experten: Routinen des Wissenschaftsjournalismus
In kaum einer anderen journalistischen Profession ist der Faktor „Vertrauen“ so wichtig wie im Wissenschaftsjournalismus. Das klingt möglicherweise irritierend, denn es geht doch immer auch um Wissenschaft. Und die ist (jedenfalls dem gewöhnlichen Verständnis zufolge) doch weniger von fragilen Vertrauenstransaktionen, sondern vielmehr von handfesten Fakten geprägt. Was die Meßinstrumente und die Laborprotokolle zeigen, ist doch eindeutig und kann nachgeprüft werden, oder?
Im Wissenschaftsjournalismus dreht sich (fast) alles um Vertrauen. Und das Gespür dafür, wann Mißtrauen angebracht ist.
Dazu ließe sich an der Stelle vieles sagen, aber es geht hier ja nicht um die Wissenschaft und Wissenschaftler selbst. Es geht um die Arbeit von Wissenschaftsjournalisten. Und die können eben (u.a. aus Zeit und Kompetenzgründen) niemals alle Studienergebnisse oder Expertenstatements nachprüfen. Journalisten müssen vertrauen (und ein feines Sensorium dafür entwickeln, wann Mißtrauen angebracht ist etc.). Gleichzeitig ist der Wissenschaftsjournalismus ein Umschlagplatz auf dem mit der Ressource Vertrauen gehandelt wird. Die Leser „vertrauen“ den Informationen und den Positionen der Wissenschaftler, die die Journalisten auswählen und aufbereiten. Die Frage, wann und unter welchen Umständen Wissenschaftler zu „Experten“ werden, ist hier besonders spannend.
Mit diesen und anderen Aspekten des Wissenschaftsjournalismus beschäftigt sich Volker Stollorz in einem Vortrag, den er vor wenigen Wochen als „Journalist in Residence“ am HITS (Heildelberger Institut für theoretische Studien) gehalten hat. Er skizziert, wie Journalisten „Expertise koproduzieren“ und welche „Sünden“ man als Wissenschaftsjournalisten besser nicht begehen sollte.
Über Genmais und andere Unfälle
Ein konkretes Beispiel, an dem sich die Schwierigkeit der wissenschaftsjournalistischen Arbeit gut ablesen lässt, ist die Berichterstattung über die Genmais-Studie von letztem Herbst. Der französische Molekularbiologe Gilles-Éric Séralini hatte ja im September eine Studie vorgelegt, in der er den ziemlich eindeutigen Zusammenhang zwischen genetisch verändertem Mais und der Krebs bei seinen Laborratten herstellt.
Heute läßt sich freilich feststellen, daß Séralini zwar ganz virtuos die (zuerst etwas naiven) Medien für seine Botschaft einspannt, es bei ihm aber gleichzeitig ganz schön an der wissenschaftlichen Arbeitsweise hapert. Um die Ergebnisse in die gewünschte Richtung zu drehen, wurde da wenigstens geschlampert, vermutlich willentlich getrickst.
Über die Berichterstattung über die Seralini-Genmais-Studie hat Marcus Anhäuser mit Volker Stollorz gesprochen. Hinter dem Link verbirgt sich der Blogpost von Marcus bei Plazeboalarm und ein gut 15-minütiges Gespräch der beiden.
Ein großartiger Text über die Herausforderungen der Nüchternheit
Und jetzt zu etwas ganz, ganz anderem: Gefragt nach meinem persönlichen Lieblingstext des letzten Jahres würde ich nicht lange zögern. Meine Wahl fiele auf den Text „Nüchtern“, der im Oktober in der „Welt am Sonntag“ erschien und auch online nachzulesen ist. Es ist der Artikel, der mich am meisten überrascht hat.
Benjamin von Stuckrad-Barre beschreibt darin sehr, sehr eindringlich, wie er seit einigen Jahren konsequent abstinent ist, auf alle Drogen und v.a. Alkohol verzichtet. Wer den Text noch nicht kennt, sollte sich mindestens 10 Minuten Zeit nehmen (das Ding ist lang!). Es geht darum:
„Wie oft und wie sagenhaft viel überall gesoffen wird, fällt einem erst auf, wenn man selbst gar nichts mehr trinkt.“
Und es geht noch um viel, viel mehr:
- Benjamin v. Stuckrad-Barre: Nüchtern (Welt am Sonntag, 28.10.2012)